Der Wert der Sprache
Schon im Kindergarten heißt es: Lernt Englisch! Für Holger Klatte vom Verein Deutsche Sprache ist das nur ein Beispiel für den bedauerlichen Rückzug des Deutschen. Er fordert: Die deutsche Sprache gehört ins Grundgesetz.
Über 120 Millionen Menschen weltweit sprechen Deutsch als Erst- oder Zweitsprache. In der Europäischen Union ist Deutsch die häufigste Muttersprache. Deutschsprachige Schriftsteller sind weltweit bekannt. In keine andere Sprache wird so viel Literatur übersetzt. Durch neue Medientechniken und durch die weltweite politische und wirtschaftliche Vernetzung stehen das Deutsche und die anderen Sprachen der Welt vor Herausforderungen, die mehr Einsatz erfordern, um sie für nachfolgende Generationen als vollwertiges Mittel der Verständigung zu erhalten. Hierauf reagieren manche mit Gelassenheit und dem Argument: Sprachen haben sich seit ihrer Entstehung bis zu ihrem heutigen Stand immer weiterentwickelt und verändert. Andere hingegen sehen die Vielfalt der Kulturen bedroht und befürchten Hindernisse im sprachlichen Alltag.
Sprache und Sprachgemeinschaft
Sprachen haben einander stets beeinflusst. Die deutsche Sprache hat in den vergangenen Jahrhunderten neue Wörter aufgenommen, Endungen umgeformt; Wortverbindungen und ihre Bedeutungen wandelten sich. In der gesprochenen Sprache fielen Veränderungen lange Zeit kaum auf. Die Variation der Dialekte und der Gruppensprachen aus der Vergangenheit wäre für heutige Ohren kaum vorstellbar.
Viele Sprachen wurden bis in die Gegenwart verschriftlicht, sie wurden Gegenstand der Wissenschaft, in Grammatiken beschrieben und ihr Wortschatz in Wörterbüchern erfasst. Unterricht in der Muttersprache gehört zum grundlegenden Teil der Lehrpläne an den Schulen. Sprachen sind wichtig für die Identität einer Sprachgemeinschaft und für deren Kultur. Dies sind Merkmale, an die sich die Sprecher und Schreiber länger halten, von denen sie sogar ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit erwarten. Eine Sprachgemeinschaft hat deswegen das berechtigte Anliegen, für den Ausbau und für die Weiterentwicklung ihrer Sprache einzutreten.
Das Deutsche jedoch verliert seit Jahrzehnten in den Funktionen, welche eine Hochsprache auszeichnen, an Bedeutung. Eine Folge davon ist auch, dass sich hierzulande die englische Sprache im Alltag zunehmend ausbreitet. Unternehmen geben sich und ihren Produkten englische Bezeichnungen, Werbesprüche sind englisch, die Presse und der Rundfunk greifen nicht nur den gerade angesagten Sprachgebrauch auf, sondern entwerfen und verbreiten selbst neue Sprechweisen, die für viele unverständlich sind. Diese Funktionsverluste beinhalten nicht nur wirtschaftliche Nachteile, sie verringern auch den Wert, den eine Sprache für die Sprachgemeinschaft besitzt.
Sprache als Kulturgut
Es scheint, als sei die deutsche Sprache in unserer Gesellschaft eine Nebensache. Herausragende sprachliche Leistungen werden selten anerkannt – und wenn überhaupt, dann nur von einer kleinen Minderheit wahrgenommen. Zwar haben über hundert Organisationen das Ziel, die deutsche Sprache zu fördern, dennoch konnten sie den Ansehensverlust des Deutschen bisher nicht aufhalten.
In der Grundschule – oder noch früher: im Kindergarten – ist es neuerdings üblich, nicht die Muttersprache, sondern die erste Fremdsprache besonders zu fördern. Leider handelt es sich dabei zumeist um das Englische, da dies die Sprache mit dem weltweit größten Verbreitungsgrad ist. Englisch ist als erste Fremdsprache jedoch eher ungeeignet, weil dadurch die Motivation unterdrückt wird, eine weitere Sprache zu lernen. Zu den neueren methodischen Errungenschaften gehört auch der sogenannte Immersionsunterricht, also Fachunterricht in der Fremdsprache. Dieser führt allerdings dazu, dass der deutsche Wortschatz in den jeweiligen Fachgebieten, zum Beispiel der Geographie, der Geschichte, der Physik, verkümmert.
Seit einiger Zeit gewinnt die Frage der Landessprache im Zusammenhang mit der Zuwanderungspolitik an Gewicht. Jahrzehntelang war es nicht üblich, sich über die sprachliche Integration von Zuwanderern Gedanken zu machen. Die Folge ist, dass viele Migranten der zweiten und dritten Generation heute nicht genügend Deutsch beherrschen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Mittlerweile besteht Übereinstimmung darin, dass die deutsche Sprache die Grundlage zur Verständigung in Deutschland ist. Es fehlt allerdings an einem eindeutigen Signal, das diesen Einstellungswandel bekräftigen und deutlich machen würde, dass die deutsche Sprache als Kulturgut geschätzt wird. Deswegen wäre es wünschenswert, die deutsche Sprache als Landessprache im Grundgesetz zu verankern. Es würde damit das Sprachbewusstsein sowohl der Bürger als auch der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien gestärkt und maßgebliche Gruppen würden dazu ermuntert, die deutsche Sprache zu gebrauchen und zu pflegen.
Deutsch als Wirtschaftsfaktor
In den internationalen Wirtschaftsbeziehungen wird Deutsch nur noch selten verwendet. Viele Unternehmen in Deutschland haben selbst ihre interne Kommunikation auf Englisch umgestellt. Ob daraus Nachteile für den Wettbewerb entstehen, ist bisher kaum untersucht. Studien belegen, dass deutsche Unternehmen Nachteile erleiden, wenn Ausschreibungen der Europäischen Union ausschließlich auf Englisch veröffentlicht werden. Auch Arbeitsplätze in den EU-Einrichtungen werden eher an Bewerber vergeben, deren Muttersprache Englisch ist.
Mitarbeiter von Firmen, deren Unternehmensführung eine andere Sprache spricht, fühlen sich ausgegrenzt. Untersuchungen haben ergeben, dass die Sprache der Vorgesetzten die Einstellungen der Belegschaft ihnen gegenüber beeinflusst. Diese Zusammenhänge wirken sich sicherlich auf die Produktivität und auf das Maß der Identifizierung mit dem Arbeitgeber aus. Reibungsverluste bei der Produktion könnten vermieden werden, wenn Mitarbeiter und Vorgesetzte Deutsch miteinander sprechen würden.
Käufer oder Verbraucher werden über die Werbung und über Warenauszeichnungen auf die Güter aufmerksam gemacht. Es ist wichtig, dass Kunden die Informationen, die sie finden können, auch verstehen – und deswegen sollten diese in der für alle gültigen Landessprache sein. Dies hätte nicht bloß Auswirkungen auf die Stellung des Deutschen als Sprache der Werbung, sondern würde als Zeichen verstanden, dass die deutsche Sprache hierzulande ernst genommen wird.
Schließlich ist die Sprache selbst als Wirtschaftsfaktor anzusehen. Der British Council, die britische Kulturorganisation im Ausland, beziffert den Ertrag, den das Erlernen des Englischen als Fremdsprache jährlich einbringt, auf zwölf Milliarden Euro. Einkünfte durch Sprachkurse, die Ausbildung von Lehrkräften, die Herstellung von Lehrmaterialien und das Angebot von Sprachreisen entgehen einer Sprachgemeinschaft, die sich um die Verbreitung ihrer Sprache nicht schert.
Ein Anfang wäre gemacht, wenn die Deutschen entschieden dafür einträten, dass Deutsch als Arbeitssprache auf europäischer Ebene auch tatsächlich genutzt wird. Das wäre wichtig, damit es seine Attraktivität als Fremdsprache behält.
Dr. Holger Klatte, Jahrgang 1973, ist Sprachwissenschaftler und Geschäftsführer beim Verein Deutsche Sprache (VDS). Der Verein tritt seit 1997 dafür ein, das Deutsche als eigenständige Kultur- und Wissenschaftssprache zu fördern.