Sierens China
6. Juni 2014Wenn es eine Woche gibt, die zeigt, wie schwierig der Übergang zu einer neuen multipolaren Weltordnung ist, dann ist es diese Woche. Die G8 tagen als G7 in Zeiten der G20. Obama redet nicht mit Putin. Er will auch nicht neben ihm stehen. Und wäre China in der G8, würde Obama auch nicht mit Staats- und Parteichef Xi Jinping reden - in der Woche des 25. Jahrestages der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung am Platz des Himmlischen Friedens.
Stattdessen reist Obama um China herum und an Russlands europäische Grenzen und verspricht erhöhte Militärpräsenz von US-Truppen. Häuptling Eiserne Faust. Die G8 Staaten lassen Putin in der Ecke stehen - da waren es nur noch sieben - und meinen, es sei moderne Politik, in alte Strukturen zurückzufallen. Die trotzigen G7 trafen sich zwei Tage in Brüssel anstatt im russischen Sotschi. Mit von der Partie: Vertreter der EU. Am Ende wurde ein Katalog mit Forderungen an Russland beschlossen. G7 plus EU gleich Nato 2.0? Ein frommer Wunsch.
Es geht nicht ohne China
Tatsächlich ist auch diese Konstellation allen Beteuerungen zum Trotz sehr uneinig. Sie ist, in welcher Kombination auch immer, nicht der Lage die Ukraine-Krise zu lösen. Denn seitdem die Welt im September 2008 von G8 auf G20 umstellen musste und damit auch China mit am Tisch sitzt, gibt es keinen Weg zurück. Wenn es ohne die USA in der Krise nicht geht, dann geht es in jedem Fall auch nur mit China. Und China könnte nun sogar, da die Europäer sich festgefahren haben, als Vermittler auftreten. Denn ganz dicke Freunde sind die Chinesen mit den Russen ja auch nicht. Peking jedoch drängt sich, anders als die USA, in diesem Konflikt nicht auf. Ohne, wie Obama, die Muskeln spielen zu lassen, haben sie mit dem jüngsten 400 Milliarden-Gasgeschäft und einigen anderen Deals bisher sehr von der europäisch-amerikanischen Werte-Soap profitiert. Und solange Obama nicht neben Putin stehen will, wird das noch weiter gehen.
Der Westen trickst sich mit seiner Engstirnigkeit selbst aus und versucht krampfhaft zusammenzuhalten, was nicht in jedem Fall zusammen passt. Immer öfter sind wechselnde globale Zweckgemeinschaften pragmatischer. Die kann der Aufsteiger und Libero China schon besser bilden. Der D-Day Gedenktag, der heute (06.06.2014) begangen wird, verrät viel über die enge 20. Jahrhundert-Denke des Westens.
Der Weltkrieg war ein Weltkrieg
Die Landung der Briten und Nord-Amerikaner in der Normandie jährt sich zum siebzigsten Mal. Ehrengast in diesem Jahr ausgerechnet Russland. Doch auch diese Besetzung mit nunmehr vier Siegern und einem Besiegten ist zu unvollständig, um einem Weltkrieg zu gedenken, der eben die ganze Welt umfasste. Wer Russland zum D-Day einlädt, könnte mit einer gewissen Berechtigung auch China einladen. Russland, das die meisten Opfer im 2. Weltkrieg hatte (27 Millionen), wurde nicht zuletzt durch die Intervention der USA im Westen zum Sieger im Osten. China, mit der zweithöchsten Opferzahl (15 Millionen), wurde im gleichen Krieg ebenfalls durch den amerikanischen Atomschlag gegen Japan zum Sieger. Warum also nicht zusammen Gedenken und dies hinter den Kulissen für politische Gespräche nutzen?
Dazu sind wir 70 Jahren nach dem Ende des 2. Weltkrieges im Westen offensichtlich nicht offen genug. Wenn wir dieses Denken der westlichen Überlegenheit - um nicht zu sagen: Überheblichkeit - nicht überwinden, wird es für uns immer schwieriger, internationale Konflikte zu lösen. Und so lange ist die Nachkriegszeit noch nicht zu Ende. Und während der Westen von Nato 2.0 träumt, macht China die Geschäfte.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.