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Politik

Die Psychologie der GroKo-Verhandlungen

Cathrin Hennicke
7. Februar 2018

Nach 24 Stunden Dauerverhandlungen hatten sich CDU/CSU und SPD also auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Der psychisch Stärkere war bei diesem Marathon klar im Vorteil, meint der Psychologe Roman Trötschel.

Berlin Koalitionsverhandlungen von Union und SPD
Momentaufnahme aus einer nächtlichen Verhandlungspause in der CDU-Parteizentrale in BerlinBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

DW: Herr Trötschel, Was war letztlich ausschlaggebend für den Durchbruch bei den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD? Schiere physische oder doch psychische Stärke?

Roman Trötschel: Verhandlungen haben natürlich, wenn sie so lange dauern, eine klare physische Komponente. Weil es ermüdend wirkt, wenn man über viele, viele Stunden hinweg miteinander redet und versucht, die Gegenseite von seinen Argumenten zu überzeugen und gemeinsame Lösungen zu finden. Aber ich glaube, die psychologische Ermüdung, dass man am Ende keine Willenskraft mehr hat, die eigenen Positionen überzeugend zu vertreten, spielt eine ganz zentrale Rolle. Wir müssen uns vorstellen, dass es psychologisch so etwas wie einen "Muskel" der Willenskraft gibt. Wenn man den die ganze Zeit beansprucht und versucht, seine Position durchzusetzen, ermüdet und erschlafft auch der irgendwann. Aber dieser "Muskel" lässt sich trainieren. Das zeigt zumindest die gängige psychologische Forschung.

Wie muss man sich das vorstellen?

Je häufiger man mit Willenskraft arbeitet und versucht, sich Dinge zu erarbeiten, sei es im sportlichen Bereich, sei es im politischen Bereich, sei es  im Arbeitsbereich, also immer dann wenn man Willenskraft beansprucht, dann nutzt man auch diesen "Muskel". Und je häufiger man diesen "Muskel" nutzt, um so größer und um so stärker wird er mit der Zeit. Und umso mehr Willenskraft hat man dann mit der Zeit zur Verfügung.

Das Stehvermögen von Kanzlerin Angela Merkel, die für die CDU am Verhandlungstisch saß, gilt als legendär - eher eine herausragende physische Konstitution oder doch ein extrem gut trainierter "Willens-Muskel"?

Ich glaube schon dass sie eine immense Willenskraft hat. Man konnte ja in der Vergangenheit auch immer wieder beobachten, dass sie gegen Widerstände aus der Bevölkerung oder gegen politische Mitstreiter immer wieder ihren Willen versucht hat, durchzusetzen. Und dass sie das auch mit Erfolg getan hat. Bei SPD-Chef Martin Schulz ist das aber auch nicht anders.

Ich glaube, es mangelt nicht an der Willenskraft bei den verschiedenen Verhandlungsführern. Was mir aber doch immer wieder in Deutschland auffällt, im Vergleich zu anderen Ländern: weder Politiker noch Personen in der Wirtschaft werden systematisch in Verhandlungsführung geschult und trainiert. Wenn wir da in andere Länder schauen, in die USA, nach Großbritannien oder Frankreich, finden dort an jeder Universität Kurse statt. Dort lernt man von Beginn an wie man Verhandlungen führt.

Und wenn wir schauen wie häufig Verhandlungen in unserem Alltag eine Rolle spielen, nicht nur bei Politikern sondern bei jedem von uns, ist es doch erstaunlich dass dies nicht Bestandteil unseres systematischen Ausbildung ist.

Roman Trötschel, Professor für Sozial- und OrganisationspsychologieBild: Leuphana Universität Lüneburg

Wie gut kann ein Ergebnis sein, das nach 24 Stunden zehrendem Verhandlungsmarathon entsteht?

Es ist ja schon mehrere Tage vorher verhandelt worden. Wenn alle Positionen, Interessen und Argumente ausgetauscht sind, dann ist es tatsächlich am Ende sehr wichtig, dass man durchhält und dann meinetwegen auch 24 Stunden am Tisch sitzen bleibt und versucht zu einer Einigung zu kommen. Mit zunehmender Zeit steigt natürlich auch bei einem selbst und der Gegenseite der innere Druck, dass man jetzt zu einer Einigung kommen sollte. Das sehe ich eigentlich weniger kritisch, sondern eher als strategisches Mittel - wenn genügend Zeit vorher gegeben war, um kreative Lösungen zu erarbeiten.

Was ist aus Ihrer Sicht bei den Verhandlungen jetzt falsch gelaufen?

Was man immer wieder in politischen Verhandlungen beobachten kann: Die verschiedenen Akteure versuchen, sich wechselseitig von der Richtigkeit ihrer Sichtweise zu überzeugen. Das führt am Ende des Tages nicht zu einer Lösung, sondern einfach nur zum Austausch von Informationen. Nach kreativen Lösungsansätzen zu suchen, sich Alternativen zu überlegen - das kam in den Koalitonsverhandlungen oft viel zu spät.

Wenn man große Themenkomplexe verhandelt, sollte man auch nicht die großen Brocken ganz am Schluss isoliert behandeln. Auch das hat in diesem Fall, glaube ich, nochmal dazu geführt, dass es so lange gedauert hat. Man hat zuerst die kleinen Themen abgehakt, über die eigentlich schon vorher größerer Konsens geherrscht hat. Wenn man sich erst ganz am Schluss die großen Brocken vornimmt, hat man kaum noch Verhandlungsmasse für weitere Zugeständnisse.

Man muss natürlich auch bedenken, dass dieses lange Verhandeln auch immer eine symbolische Wirkung nach außen hat. Politiker wollen natürlich auch nach außen signalisieren, dass sie unnachgiebig waren und das hat es so lange gedauert.

Roman Trötschel ist Professor für Sozial- und Organisationspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich mit psychologischen Prozessen in Verhandlungen.

Das Interview führte Cathrin Hennicke.