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Politik

Die Wirbel des Windrush-Skandals

Samira Shackle London / AR
21. April 2018

Sie kamen aus den Kolonien und werden nun vor die Tür gesetzt: Eine Serie von Ausweisungen hat in Großbritannien für einen Aufschrei gesorgt. Die Regierung ist um Schadensbegrenzung bemüht. Von Samira Shackle, London.

Anthony Bryan
Jamikastämmiger Bryan: Nach 52 Jahren in Großbritannien von Abschiebung bedrohtBild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Paulette Wilson ist 61 und Großmutter. Als Kind war sie aus der Karibik nach Großbritannien gekommen. Damals war Wilson zehn. Nach 51 friedlichen Jahren im Vereinigten Königreich erfuhr sie, dass sie keine normale Bürgerin, sondern eine illegale Einwanderin ist. Im Oktober landete sie deshalb in Abschiebehaft. Kurz darauf machte auf der Insel die Geschichte von Anthony Bryan die Runde. Er stammt aus Jamaika, kam als Achtjähriger nach Großbritannien, wo er 52 Jahre lebte. Auch er stand kurz vor der Abschiebung.

Nur zwei Fälle von vielen, die in den vergangenen Wochen bekannt wurden - von Menschen, die in der Karibik geboren wurden, in den 1950er- und 60er-Jahren nach Großbritannien kamen, aber nie die britische Staatsbürgerschaft beantragten oder formell eingebürgert wurden. Status seit Jahrzehnten: illegal.

Wie Innenministerin Amber Rudd vergangene Woche bestätigte, wurde einige von ihnen bereits in ihre Herkunftsländer abgeschoben - fälschlicherweise. Andere Betroffene bekommen auf andere Weise die plötzliche Strenge des britischen Staates zu spüren: Ihnen wird - selbst bei schweren Krankheiten wie Krebs - der Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehrt. Manche haben Jobs und Wohnungen verloren.

"Das hat für Schockwellen in der karibischen Gemeinde in Großbritannien gesorgt", sagt David Michael. Er ist Stadtrat in London-Lewisham und stellvertretender Vorsitzender der "British Caribbean Association", die sich um die Belange karibikstämmiger Bürger in Britannien kümmert. Er selbst ist im Alter von zehn Jahren nach Großbritannien gekommen. Von der Entwicklung sei er aber persönlich nicht überrascht gewesen. Viele britische Politiker seien zurzeit vom Thema Migration wie besessen. "Sie blenden den Nutzen komplett aus, den Großbritannien durch seine einstigen Kolonien hatte, genauso wie den enormen Beitrag, den Einwanderer aus der Karibik und aus Commonwealth-Staaten hierzulande geleistet haben."

Die Windrush-Generation

Die Menschen, die zwischen 1948 und 1971 aus der Karibik nach Großbritannien kamen, werden die "Windrush-Generation" genannt. Der Begriff stammt vom Namen des Schiffs, das die ersten Einwanderer aus Jamaika, Trinidad, Tobago und anderen Inseln über den Atlantik brachte. 492 Passagiere gingen von Bord, als die in Deutschland gebaute "Empire Windrush" am 22. Juni 1948 in Essex anlegte. Viele der Neuankömmlinge waren Kinder.

Ankunft der "Empire Windrush" in Essex (1948): Angeworben, um bei Wiederaufbau zu helfenBild: Getty Images/Keystone

Sie waren wegen des damals großen Arbeitskräftemangels in Großbritannien angeworben worden und sollten beim Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs helfen. In dieser Zeit waren ihre Heimatländer noch britische Kolonien, weshalb der Einwanderungsstatus der Neubürger damals kein Problem war.

1971, als der Zustrom endete, bekamen Commonwealth-Bürger, die bereits im Vereinigten Königreich lebten, eine unbefristete Duldung. Doch das Innenministerium in London versäumte es, entsprechende Papiere auszustellen, weshalb es für die Betroffenen heute schwierig ist, ihren rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zu belegen.

Zum ernsthaften Problem wurde das jahrzehntealte Behördenversagen, als die damalige Innenministerin und heutige Regierungschefin, Theresa May, 2012 ihre Politik gegenüber Migranten verschärfte. Illegalen Einwanderern sollte mit einem "unfreundlichen Umfeld" das Leben schwer gemacht werden. In der Praxis bedeutet das, dass man Aufenthaltspapiere vorlegen muss, um Wohnungen zu mieten, den nationalen Gesundheitsservice zu nutzen oder einen Job zu bekommen.

Trotz der von vielen Medien und Teilen des politischen Establishments angeheizten Einwandererfeindlichkeit im Land hat der Umgang mit älteren Bürgern mit karibischen Wurzeln einhellig für Empörung gesorgt. "Der Windrush-Skandal hat die Regierung völlig überrascht", sagt Sophie Gaston, Leiterin der Abteilung "Internationale Projekte" bei der Londoner Denkfabrik "Demos". Die Würde der Einwanderer und der Respekt vor den britischen Nachkriegsmigranten hätten Land und Medien in dieser Sache geeint. Gewürdigt werde jetzt auch der große gesellschaftliche und wirtschaftliche Beitrag der Neubürger. "Was nicht unterschätzt werden darf", so Gaston, "ist die Einzigartigkeit des Medienkonsenses, nach Jahren der polemischen Debatten rund um das Thema Einwanderung."

Trägheit der Regierung

Die Regierung nahm sich zunächst viel Zeit, um auf das Problem zu reagieren. Als der Windrush-Skandal aber immer mehr Fahrt aufnahm, sah sich die Innenministerin genötigt, eine beispiellose Entschuldigung über den Umgang mit den Betroffenen abzugeben: "Ehrlich gesagt, wie sie behandelt wurden, war falsch - war entsetzlich - und es tut mir leid", sagte Amber Rudd und fügte hinzu, dass ihr eigenes Ressort, "zu sehr mit Politik und Strategie beschäftigt gewesen war und manchmal den Einzelnen aus den Augen verloren habe".

Innenministerin Rudd: beispiellose EntschuldigungBild: picture-alliance/empics/D. Lipinski

Können sich auch EU-Bürger Hoffnung machen, deren Status durch den Brexit bedroht ist und die seit dem EU-Austrittsvotum vielen Anfeindungen ausgesetzt sind? Möglicherweise hat auch hier der Windrush-Skandal Auswirkungen, der die Politik der "unfreundlichen Umgebung" generell infrage gestellt hat." Auf politischer Ebene hat es ernsthafte Fragen über die Fähigkeit des Innenministeriums aufgeworfen, die gewaltige Aufgabe der Verwaltung von EU-Migranten nach dem Brexit zu bewältigen", sagt die Londoner Expertin Gaston.

Das Innenministerium hat ein 20-köpfiges Team benannt, um sicherzustellen, dass Windrush-Bürger nicht mehr als illegale Einwanderer eingestuft werden. "Die britische Regierung muss sich schnell mit der Situation befassen", sagt David Michael von der "British Caribbean Association". Das bisherige Vorgehen sei absolut unverschämt. "Positives Handeln ist gefragt und keine Entschuldigung." Der Umgang mit dem Skandal zeige nur, dass viele Aspekte des britischen Lebens nicht für alle Bürger gelten und dass Unterschiede nicht wertgeschätzt werden.

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