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Der Wunschzettel der Umweltministerin

Sabine Kinkartz, Berlin8. September 2016

Brauchen wir eine neue Umweltpolitik? Für Bundesumweltministerin Hendricks ist das keine Frage. Sie will der Ökologie Priorität in allen politischen Bereichen einräumen. Der Widerstand der Kollegen ist ihr sicher.

Berlin Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Umweltprogramm 2030
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Unter Wissenschaftlern wird seit einiger Zeit darüber diskutiert, ein neues Erdzeitalter auszurufen. Anthropozän soll es heißen. Das ist altgriechisch und bedeutet übersetzt: "Das von Menschen gemachte Neue". Die Wissenschaftler begründen ihren Vorstoß damit, dass der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden sei.

"Viele dieser Veränderungen sind dauerhaft und manche sind praktisch unumkehrbar", formulierte eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe kürzlich. Tatsächlich sind vier der neun planetaren Belastbarkeitsgrenzen überschritten. Unter anderem beim Klimawandel, bei der Belastung durch Phosphor und Stickstoff und beim Verlust tropischer Regenwälder.

Kehrtwende gefordert

In diesem Jahr fiel der sogenannte "Erdüberlastungstag" auf den 8. August. An diesem Tag waren die diesjährigen Erträge des Planeten durch die Menschheit verbraucht. Seitdem wird das, was auf der Erde vorhanden ist, weiter dezimiert. "Unser Lebensstil, unser Konsum, unsere global vernetzte Volkswirtschaft nehmen die natürlichen Ressourcen des Planeten in einem Ausmaß in Anspruch, das Lebens- und Entwicklungschancen in anderen Teilen der Welt gefährdet", stellt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fest.

Ufer in Brasilien: Rücksichtsloser Konsum und Lebensstil hinterlassen weltweit SpurenBild: Getty Images/M.Tama

Die SPD-Politikerin fordert nun eine radikale Kehrtwende. Ein einfaches "Weiter so" oder ein Umsteuern im Schneckentempo dürfe es nicht geben. "Wir brauchen eine neue, eine gestärkte Umweltpolitik, die sich der gewaltigen Probleme, vor denen wir global, aber auch im eigenen Land stehen, systematisch annimmt und die dann auch in der Lage ist, den ökologischen Wandel zu gestalten."

Ein zweites Preisschild soll her

Was darunter zu verstehen ist, hat Hendricks in ihrem "Umweltprogramm 2030" zusammengefasst. Es fordert nicht weniger als "unabdingbare und grundlegende Veränderungen in Gesellschaft, Industrie, Landwirtschaft, Energie und Ressourcennutzung, in Verkehr und Infrastruktur". Umweltschädliche Subventionen sollen abgebaut werden, öffentliche Gelder nur noch in umweltgerechte Anlagen fließen. Bei Gesetzesvorhaben soll es eine verpflichtende Darstellung der umweltschädigenden Wirkungen geben. Tierhaltung müsse umweltverträglich und tiergerecht gestaltet werden.

Für Produkte und Dienstleistungen will Hendricks eine neuartige Produktinformation einführen, die unter anderem über Inhaltsstoffe, Haltbarkeit, Reparaturfähigkeit und die Auswechselbarkeit von einzelnen Komponenten aufklärt. Man könnte auch von einem zweiten Preisschild sprechen, das Verbraucher über die tatsächlichen Kosten für Umwelt und Gesellschaft aufklären soll. "Wir müssen es Verbrauchern erleichtern, eine nachhaltige Kaufentscheidung zu treffen", so die Ministerin. Begonnen werden solle mit Elektrogeräten, sie könne sich solche Zusatzpreisschilder aber auch für Lebensmittel vorstellen. "Das ist aber nicht vordringlich."

Eine streitbare Ministerin

In der Regierungskoalition kommen solche Pläne überhaupt nicht gut an. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Georg Nüßlein, lästert über "die Labelitis aus dem Hause Hendricks", die dem Umweltschutz und dem Klima "gar nichts" bringe. "Der ideologische Versuch, sämtliche Produkte am Ministeriumsschreibtisch in ein pauschales "gut" oder "böse" einzuteilen, muss in der komplexen Welt von heute grandios scheitern", so Nüßlein, der weniger Transparenz erkennt, als vielmehr eine "Entmündigung des Konsumenten".

Tagebau bei Aachen: Industriell zerstörte Landschaften sollen nachhaltig "geheilt" werden könnenBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Solche Reaktionen ist Barbara Hendricks gewöhnt. Regelmäßig gerät sie beispielsweise mit dem Landwirtschafts- und dem Verkehrsministerium in Streit. "In meiner Verantwortung liegen Natur- und Artenschutz, Bodenschutz, Wasserschutz und Emissionsschutz", betont die Umweltministerin. "Die landwirtschaftliche Produktionsweise, so wie wir sie heute haben, tangiert alle diese Bereiche."

Mehr Mitsprache gefordert

Allerdings waren Hendricks Versuche, bei Gesetzesvorhaben in den Bereichen Landwirtschaft und Verkehr mitzureden, bislang selten von Erfolg gekrönt. Weder konnte sich Hendricks bei der Einführung einer blauen Plakette gegen besonders umweltverschmutzende Pkw durchsetzen, noch beim Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat. "Landwirtschafts- und Verkehrspolitik befinden sich außerhalb der Zuständigkeit des Umweltministeriums", stellt die Ministerin nüchtern fest und macht mit ihrem Umweltprogramm 2030 deutlich, dass sie das nicht länger hinnehmen will. "Mein Haus benötigt in Angelegenheiten von umweltpolitischer Bedeutung ein Initiativrecht in anderen Geschäftsbereichen."

Wenn es um Ökologie geht, soll das Bundesumweltministerium in Zukunft grundsätzlich ein Mitspracherecht haben. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte sogar vorgeschlagen, der Ministerin ein Vetorecht einzuräumen. Doch so weit will Hendricks gar nicht gehen. "Ich habe denen gesagt, dass ich das nicht vorhätte." Stattdessen will sie erreichen, dass ihr Ministerium bei "Angelegenheiten von umweltpolitischer Bedeutung" grundsätzlich zur Beratung und Beschlussfassung hinzugezogen wird.

Ein schöner Wunschzettel?

Ein solches Initiativrecht existiert bereits in frauenpolitischen und in verbraucherschutzpolitischen Angelegenheiten. Dass schon bald auch die Umweltpolitik einbezogen wird, damit rechnet allerdings selbst Hendricks nicht. "Ich habe nicht vor, das als Regierungsprogramm vorzuschlagen", räumt sie ein. "Würden wir uns darauf verständigen können, wäre das schön, aber das ist jetzt erst einmal nicht meine Absicht." Mit der Erarbeitung des Umweltprogramms 2030 folge sie vielmehr einem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU): Verfechter der konventionellen AgrarwirtschaftBild: picture-alliance/dpa/M.Gambarini

Ist das Programm also nicht mehr als ein schöner Wunschzettel? Eine umweltpolitische Auflistung, was getan werden müsste, um wirklich etwas zu ändern? Welchen Stellenwert Umweltpolitik in der Bundesregierung noch hat, zeigt der Umgang mit dem Klimaschutzplan 2050. Auf der Grundlage des Pariser Klimaabkommens soll er aufzeigen, wie Deutschland das Ziel einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts erreichen kann.

Was vom Anspruch bleibt

Von den ehrgeizigen Vorschlägen des Umweltministeriums sind nach Interventionen aus dem Wirtschafts-, Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium sowie aus dem Kanzleramt allerdings nicht viele übrig geblieben. Unter anderem musste Hendricks ihre Forderung nach weniger Fleischkonsum streichen und es wird auch nicht mehr ausdrücklich eine Abkehr von Autos angestrebt, die mit konventionellem Kraftstoff betrieben werden. Stattdessen wird in der Präambel betont, dass der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ein wichtiges Ziel bleibe. Nicht nur Umweltverbände sind entsetzt.

Einen der Sätze, die Barbara Hendricks aus dem Klimaschutzplan streichen musste, hat sie in ihr Umweltprogramm übrigens wieder hineingeschrieben. "Im Jahr 2030 neu verkaufte Pkw sollten emissionsfrei betrieben werden können", heißt es mit Hinweis auf eine Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Autos. "Wir sind konsistent in dem, was wir für notwendig und richtig erachten, deswegen bleiben wir in unserem Programm genau bei diesem Punkt, denn es ist mein, es ist unser Umweltprogramm", sagt Barbara Hendricks dazu.

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