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Gesellschaft

Der zähe Abschied von der Prügelstrafe

Clarissa Herrmann | Amida Issa
18. November 2019

Vor 30 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet. Doch nach wie vor ist körperliche Züchtigung in vielen afrikanischen Ländern als Erziehungsmittel verbreitet. Teilweise mit fatalen Folgen.

Die Bettel-Schüler aus Nordnigeria
An vielen Schulen in Afrika gehört der Stock noch zum Erziehungsrepertoire - hier in NordnigeriaBild: DW

Nyabenda Emmanuelle und ihr Mann Misago Jean Mari stehen noch immer unter Schock. Sie leben im Viertel Kinama, im Norden der burundischen Hauptstadt Bujumbura. Viel Geld zum Leben haben sie nicht. Als Nyabenda an einem Dienstag Ende Oktober von der Arbeit auf dem Feld nach Hause kommt, empfangen sie Mitschüler ihrer Tochter Shadia mit einer schrecklichen Nachricht: Shadia sei in der Schule in Ohnmacht gefallen.

Nyabenda eilt zur Schule, wo sie von der Lehrerin ihrer Tochter mit Vorwürfen empfangen wird: Nyabenda hätte ihr sagen müssen, dass Shadia krank sei und dass man sie nicht schlagen dürfe. Ihre Tochter ist nicht mehr da – sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Doch das 13-jährige Mädchen ist noch vor seiner Ankunft dort verstorben.

Die genauen Umstände des Todes sind unklar. Shadias Vater Misago erzählt der DW, dass die Lehrerin mittlerweile verschwunden sei. Die Direktorin der Schule sei zwar in Untersuchungshaft genommen worden, aber nach ein paar Tagen schon wieder auf freiem Fuß gewesen. Die Verwaltung in Kinama begründet dies mit einer Epilepsieerkrankung des Mädchens. Dies weist die Familie allerdings vehement zurück. "Sie war gesund und hatte einen guten Charakter", sagt Shugwejimana, Shadias Schwester, im Gespräch mit der DW. 

Nyabenda Emmanuelle, die Mutter der nach einer Prügelstrafe verstorbenen 13-jährigen ShadiaBild: DW/A. Issa

Die Familie berichtet von zahlreichen blauen Flecken auf dem Leichnam des Mädchens, aus der Nase sei Blut geflossen. Ein Mitschüler habe Shugwejimana die Situation in der Klasse beschrieben. Shadia sei für einen Test an die Tafel gerufen worden und als sie die Antwort nicht wusste, habe die Lehrerin sie mit einem Stock auf den Hals, die Taille und den Rücken geschlagen. "Zurück an ihrem Platz, ist sie auf den Boden gefallen, ohnmächtig geworden und hat sich eingenässt", schildert Shugwejimana den Bericht des Mitschülers.

Gravierende Folgen für die Entwicklung des Kindes

Dass eine körperliche Züchtigung mit dem Tod endet, mag eine grausame Ausnahme sein. Doch der Einsatz von Gewalt als Erziehungsmittel habe immer gravierende Folgen für Kinder, sagt Palenfo Goro vom Internationalen Kinderrechtsbüro in Burkina Faso. Der Sozialarbeiter ist der Meinung, dass es wenig Sinn macht, zwischen schwerer oder leichter körperlicher Züchtigung zu unterscheiden. "Denn sie bringt immer eine ganze Reihe von Konsequenzen mit sich, körperlich und psychisch." Auch sei die Praxis nicht auf Schulen begrenzt. "Körperliche Züchtigung ist gesellschaftlich toleriert. Prügel und Schläge als Erziehungsmaßnahme werden auch in Familien angewandt", so Goro.

Um diese abzuschaffen, bedarf es nicht nur eines gesellschaftlichen Umdenkens, sagt Sonia Vohito von der Globalen Initiative zur Beendigung von Körperstrafen gegenüber Kindern. Wichtig sei zunächst, dass Gewalt als Erziehungsmittel gesetzlich verboten würde. Denn auch wenn - ähnlich wie bei sexuellen Gewalttaten - nur wenige Fälle überhaupt zur Anzeige gebracht würden, müsse gewährleistet werden, dass das betroffene Kind vor Gericht geschützt werden könne. "Außerdem stärken Gesetze die Lobbyarbeit für Kinderschutz und sie wirken abschreckend", sagt die Afrika-Koordinatorin der Initiative.

In acht afrikanischen Ländern ist die Körperstrafe komplett verboten

Aktivistin für Kinderrechte: Obiageli EzekwesiliBild: DW/K. Gänsler

Doch die Einführung von Gesetzen kann sich hinziehen. Obiageli Ezekwesili, die ehemalige Erziehungsministerin Nigerias und Mitgründerin der BringBackOurGirls-Kampagne, berichtet im DW-Interview aus ihrem Land: "Wir haben ein Kinderrechtsgesetz, das verabschiedet wurde und nun in den verschiedenen Bundesstaaten des Landes ratifiziert werden muss." Die meisten Staaten im Süden des Landes hätten dies bereits getan und die Vorschriften des Bundes mit jeweils eigenen Gesetzen ergänzt, sagt Ezekwesili.

Die Bundesstaaten im Norden des Landes hingegen zögern noch. Dabei ist es gerade der Norden Nigerias, der in den vergangenen Monaten immer wieder mit Berichten über misshandelte Schüler Negativschlagzeilen macht: Im September wurden mehr als 300 misshandelte Koranschüler im Bundesstaat Kaduna befreit, im Oktober ebenso viele in Katsina. Ezekwesili sagt hierzu: "Wenn Kriminalität nicht bestraft wird und Menschen ungestraft davonkommen, die Kindern Leid zufügen, wenn sich eine Gesellschaft nicht um ihre Schwachen und Verletzlichen kümmert, ist das ein gefährlicher Trend."

Die Bilder der befreiten Koranschüler im nigerianischen Bundesstaat Katsina gingen im Oktober um die Welt Bild: Reuters/Str

Dieselben Argumente in Europa und Afrika

30 Jahre nach Einführung der UN-Kinderrechtskonvention haben erst acht afrikanische Länder die Körperstrafe gegenüber Kindern komplett verboten. Als letztes Land ist im September Südafrika dazugekommen. Das Verfassungsgericht urteilte, dass das Prügeln von Kindern gegen die Verfassung verstoße. Sowohl in Burundi als auch in Burkina Faso ist körperliche Züchtigung zu Hause weiterhin erlaubt, auch wenn der burkinische Staat eine Absichtserklärung abgegeben hat, ein komplettes Verbot durchzusetzen.

Doch auch wenn es in Afrika bei der Umsetzung der Konvention nur langsam voran geht - körperliche Züchtigung von Kindern sei kein spezifisch afrikanisches Problem, betont die Aktivistin Sonia Vohito: "Die Argumente für den Erhalt von Körperstrafen als Erziehungsmittel sind in Europa und Afrika dieselben." Der einzige Unterschied sei ein zeitlicher. In Europa war Schweden der erste Staat, der die Prügelstrafe 1997 komplett verboten hat. In Afrika war es Togo 2007. Hilfreich im Kampf gegen diese Praxis seien ohnehin vor allem die positiven Beispiele, meint  die Kinderechtsexpertin. "Wir müssen zeigen, wie gut es Kindern ohne Prügelstrafe geht und dass dies nicht gleichbedeutend ist mit einem Verlust an Disziplin. Deswegen fördern wir positive Kindererziehung."