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Detroit: Symbol für Aufstieg und Niedergang einer Metropole

Ines Pohl / pj, ski8. Januar 2016

Detroit ist eine ehemalige Metropole, die in den Verfall rutschte. Passend zum Start der größten Automobilmesse in den USA erzählt David Maraniss im DW-Interview, wie sich die Stadt wieder erholen kann.

Detroit Skyline Archiv 2013
Bild: picture-alliance/dpa

Detroit ist nicht nur bekannt als Synonym für den amerikanischen Traum, sondern auch für Gefühle wie Verlust und Angst, schreibt der Pulitzer-Preisträger David Maraniss in "Once in a Great City: A Detroit Story". Die Stadt im US-Bundesstaat Michigan steht für große Musiker von Stevie Wonder bis Eminem und ist auch bekannt für einige der wichtigsten Momente der Bürgerrechtsbewegung. Detroit ist aber auch die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate des Landes und damit Symbol für den Niedergang einer ehemals reichen und blühenden Metropole geworden.

Die North American International Auto Show (NAIAS), die größte Automobilausstellung der Vereinigten Staaten, findet von 11. bis 24. Januar in Detroit statt.

DW: David Maraniss, Sie schreiben, dass Detroit die Mittelklasse nicht nur reich gemacht, sondern ihr auch einen Song geschenkt hat. Was meinen Sie damit?

David Maraniss: Ich meinte das sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Der wörtliche Sinn ist, dass Motown aus Detroit kam. Und Motown ist für mich der fröhliche Soundtrack unserer Generation: Stevie Wonder, Marvin Gaye, Smokey Robinson, The Supremes, The Temptations, Martha And The Vandellas, Mary Wells - alle kommen aus dem Detroit der 1960er Jahre.

Und im übertragenen Sinn?

Detroit hat - vor allem durch die Kraft seiner Arbeiterbewegung, vertreten durch United Auto Workers und ihren fortschrittlichen Präsidenten Walter Reuther - die US-amerikanische Arbeiterklasse zur Mittelklasse gemacht, mit festen Jobs, akzeptablen Wohnverhältnissen, einem guten Gesundheitswesen und Hoffnung für die Zukunft.

US-Autor Davis Maraniss ist selbst in Detroit geborenBild: Lucian Perkins

Das scheint nun Geschichte zu sein.

Ja. Jetzt sind viele der Jobs weg, sie gingen verloren an die Technologie, wegen der unternehmerischen Kurzsichtigkeit von Detroits drei großen Autobauern General Motors, Ford und Chrysler. Die Arbeit wurde an billigere Arbeitskräfte im Ausland vergeben, und wegen schlechten Managements und korrupter Strukturen hat Detroit den Wettkampf gegen Japan, Südkorea, Deutschland usw. verloren.

Was für eine Rolle spielt die Automobilindustrie noch für den Durchschnittsbewohner von Detroit - neben der großen Automobilausstellung NAIAS, die am 11. Januar öffnet?

Detroit definiert sich noch immer durch seine Automobilkultur, aber wenn die Stadt wieder eine Rolle spielen soll, und dafür gibt es erste Anzeichen, wird es ein ganz anderes Detroit sein - weniger abhängig vom Autobau, was eine gute Sache ist. Ein Teil seines Niedergangs war darauf zurückzuführen, dass es eine "Ein-Firmen-Stadt" war, mit dem totalen Fokus auf Autos.

Das war ganz anders in der Ära, auf die Sie sich in ihrem Buch konzentrieren.

Bild: Simon & Schuster

Zu meinem Buch "Once in a Great City" trieb mich das Gefühl, dass Detroit ein solches Symbol für urbanen Zerfall geworden war, dass die Leute all die wichtigen Dinge vergaßen, die Detroit Amerika und der Welt geschenkt hat - sozial, kulturell und wirtschaftlich. Detroit hat Amerika seine Autos geschenkt, es hat Amerika und der Welt mit Motown einen wunderschönen Song geschenkt, es hat den Menschen mit United Auto Workers eine starke Arbeiterbewegung gegeben, und es spielte eine zentrale Rolle in der Bürgerrechtsbewegung, die die unterdrückten Afro-Amerikaner in diesem Land befreite.

Können Sie ein Beispiel nennen?

1963 war ein wichtiges Jahr in der Bürgerrechtsbewegung. Als Martin Luther King die Proteste im Süden der USA anführte, unterstützen ihn die United Auto Workers und andere fortschrittliche Gesellschaften in Form von Leuten, Ideen und Plattformen, aber auch als eine Art Bank für die Bewegung. Als King und andere Demonstranten in Birmingham, Alabama, im Gefängnis saßen, kam das Geld für die Kaution aus Detroit.

Es war kein Zufall, dass die größte Zusammenkunft von Demonstranten für Bürgerrechte am 23. Juni 1963 in Detroit stattfand. Dr. King schloss sich mehr als 100.000 Menschen auf der Woodward Avenue an und hielt die erste Fassung einer der bekanntesten Reden der amerikanischen Geschichte: "I Have a Dream". Zwei Monate später, im August, hielt er sie nochmal in Washington und machte seine Rede unsterblich.

Was verrät die aktuelle Situation in Detroit über den Zustand der Vereinigten Staaten?

Der Film "8 Mile" (2002) zeigt Eminems Weg zum Ruhm in einem verfallenen DetroitBild: picture-alliance/dpa/UIP

Detroit hat noch gewaltige Probleme, jedoch überwindet die Stadt langsam den Bankrott. Die öffentlichen Schulen sind immer noch unter Durchschnitt. Es gibt weite Teile der Stadt mit verlassenen und maroden Häusern, viele davon stehen zur Zwangsversteigerung. Die Zahl der Arbeitslosen ist erschütternd. Es gibt zu viel, was getan werden muss. Die US-amerikanische Regierung, besonders die Republikaner, ist in vielerlei Hinsicht nur daran interessiert, die großen Städte und ihre Bewohner zu verteufeln. Mit Ausnahme einiger Bürgermeister und Gouverneure. Dazu gehört zum Beispiel Rick Snyder, der Gouverneur von Michigan, dem Detroit sehr wichtig ist.

Doch zur gleichen Zeit ziehen immer mehr junge Menschen in Städte wie Detroit. Diese werden dadurch belebt, dass sich junge Menschen zu den kinderlosen Erwachsenen der oberen Mittelschicht gesellen. Doch eine komplette Renaissance kann nicht erreicht werden, wenn die Arbeiterklasse keine Arbeit, Bildung und kein Dach über dem Kopf findet.

David Maraniss ist Mitherausgeber der "The Washington Post". Er gewann 1993 den Pulitzer-Preis für Berichterstattung im Inland und war zweimal Pulitzer-Finalist für seine journalistische Arbeit und für "They Marched into Sunlight", ein Buch über Vietnam und die 1960er Jahre. Er ist Autor von Bestsellern über Bill Clinton, Vince Lombardi und Roberto Clemente. Maraniss ist Mitglied der "Society of American Historians". Seine Frau Linda und er leben in Washington, DC und Madison, Wisconsin.

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