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Deutliche Worte für China

Matthias von Hein15. Juli 2004

Es kommt einer Sensation gleich, wie offen Bundesaußenminister Joschka Fischer in Peking die Defizite seiner chinesischen Gastgeber bei den Menschenrechten ansprach. Matthias von Hein kommentiert.

Die Todesstrafe, Tibet, Taiwan - Bundesaußenminister Joschka Fischer ließ kein sensibles Thema aus, als er am Donnerstag (15.7.2004) mit seinem chinesischen Amtskollegen Li Zhaoxing in Peking vor die Presse trat. Von deutschen Besuchern ist man in China derart deutliche Kritik an der Menschenrechtslage nicht gewohnt. Schließlich sind die strittigen Themen seit vier Jahren in den Rechtstaatsdialog abgeschoben. Außerdem ist China-Politik in Deutschland Kanzler-Sache. Deshalb reist Gerhard Schröder auch jährlich nach China, stets von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet und ebenso stets zu den Menschenrechten schweigend.

Fischer wiederum war vor drei Jahren das letzte Mal in China. Er hat sich aber bereits im Frühjahr 2004 in Peking unbeliebt gemacht: Da hatte Fischer bei der UN-Menschenrechtskomission in Genf nicht mit Kritik an den chinesischen Zuständen gespart. Deshalb dürfte die chinesische Seite jetzt auch nicht allzu überrascht von Fischers Kritik gewesen sein.

Auch wenn der politische Rahmen anderes erwarten ließ: So gehörte es zu den Aufgaben des deutschen Außenministers, um Unterstützung für einen permanenten Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat zu werben. Zusätzlich hatte Gerhard Schröder im Dezember 2003 Hoffnungen auf die Aufhebung des Waffenembargos genährt, das die Europäische Union 1989 nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung über China verhängt hatte. Das Embargo wird von Peking als diskriminierend empfunden.

Dass aber auch 15 Jahre nach dem Massaker vom Tiananmen-Platz dieses Kapitel noch längst nicht abgeschlossen ist, zeigt der Fall des pensionierten Militärarztes Jiang Yanyong: Jiang Yanyong hatte in einem offenen Brief an den Nationalen Volkskongress im März 2004 eine offizielle Neubewertung der Demokratiebewegung gefordert. Jiang ging dieses Wagnis ein, weil er ein populärer Volksheld ist, seit er vor einem Jahr das wahre Ausmaß der SARS-Epidemie publik gemacht hatte - nach Monaten des Verschweigens, Vertuschens und Verharmlosens. Anfang Juni wurde der 72-jährige Jiang in Haft genommen. Seither wird der Mann - die längste Zeit seines Lebens überzeugtes Mitglied der kommunistischen Partei Chinas - in so genannten Studien-Klassen bearbeitet: Er soll "sein Denken ändern". Das Wort "Gehirnwäsche" dürfte den Vorgang zutreffend beschreiben.

Angesichts solcher Fälle, angesichts der massenhaften Verhängung der Todesstrafe und angesichts der verschärften Verfolgung von Dissidenten tut es gut, wenn ein deutscher Politiker den Mund aufmacht und die Werte vertritt, die nicht nur unsere Gesellschaft ausmachen, sondern universell anerkannt sind. Seit diesem Frühjahr genießen die Menschenrechte ja auch in China Verfassungsrang.

Eher nachrangig ist dabei Frage, ob sich Fischer aus eigenem Antrieb und zur Befriedigung der grünen Wählerschaft aufgerafft hat - oder ob es in der China-Politik eine abgestimmte Arbeitsteilung mit dem Kanzler gibt nach dem Muster: Der Kanzler ist zuständig für gute Stimmung, der Außenminister muss die kniffligen Themen ansprechen. Wenn die deutsch-chinesischen Beziehungen tatsächlich so gut sind, wie die Wirtschaftsdaten suggerieren und wie beide Seiten stets behaupten, dann wird Kritik unter Freunden erlaubt sein.