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Deutsch-europäischer Rechtsstreit

Constantin Schreiber21. Oktober 2004

Welches Recht ist stärker? Das Grundgesetz oder die Europäische Menschenrechtskonvention? Das Bundesverfassungsgericht urteilte: das Grundgesetz. Aus purem Kalkül.

Kämpfen um Autorität: Richter am BundesverfassungsgerichtBild: AP

Da gibt es einen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - doch zu sagen hat er nichts. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 19. Oktober 2004. Das Gericht in Karlsruhe hat entschieden, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht unbedingt bindend seien für die deutsche Rechtsprechung.

Die deutschen Gerichte hätten zwar die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte bei der Interpretation des nationalen Rechts zu beachten und anzuwenden. Die Konvention und ihre Zusatzprotokolle seien aber "kein unmittelbar verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab". Sie dienten lediglich als "Auslegungshilfen", heißt es in der Entscheidung.

Hochkompliziertes Problem

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde 1950 zum Schutz vor Willkür und Staatsterror in den Unterzeichnerstaaten erlassen. Die meisten der Länder, die die Charta ratifizierten, sahen diesen Schutz als so wichtig an, dass sie ihn als verfassungsgleiches Recht übernahmen. Nicht so Deutschland. Hier gilt: die Menschenrechtskonvention entspricht einem normalen Gesetz, und über diesen normalen Gesetzen steht eben noch das alles entscheidende Grundgesetz. "Es kann natürlich sein, dass in besonderen Fällen die Grundrechte des Grundgesetzes wichtiger sind", sagt Professor Michael Schweitzer, Europarechtler an der Universität Passau.

Kampf um Rechtsmacht

Hinter dieser juristischen Argumentation versteckt sich aber noch etwas ganz anderes: Seit Jahrzehnten befindet sich das Bundesverfassungsgericht in einer Bedeutungsrivalität mit den europäischen Gerichten. Dadurch, dass immer mehr Souveränität an Europa abgegeben wird, verliert das Bundesverfassungsgericht an Kompetenz. Und das versuchen die Karlsruher Richter hartnäckig zu verhindern.

So streiten sich das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof seit Jahren darum, wer bei Grundrechtsstreitigkeiten das letzte Wort hat. Und die Zuständigkeit änderte sich in den vergangenen Jahre mehrmals. Selbst für viele Juristen ist das Kompetenzgezänk mittlerweile undurchsichtig. Das Bundesverfassungsgericht, höchstes deutsches Gericht, kämpft um seine Bedeutung in einem übergroß werdenden Europa, und setzt den Streit an anderer Stelle fort - nämlich bei der Frage um die bindende Wirkung von Urteilen des EGMR.

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