Deutsch lernen erst in der Schule?
6. August 2019In Deutschland neigen sich die Sommerferien dem Ende zu. In Berlin und Brandenburg hat am Montag die Schule wieder begonnen, die übrigen Bundesländer folgen nach und nach bis Anfang September. Bundesweit sind mehr als 700.000 Erstklässler mit am Start.
Kinder also, die in der Regel mit sechs Jahren schulpflichtig geworden sind. Lesen, schreiben und rechnen sollen sie in der Grundschule lernen. Aber auch Sachkunde, also Grundzüge von Erdkunde, Geschichte und Naturwissenschaften, Musik, Kunst und Sport stehen auf dem Lehrplan.
An den staatlichen Schulen wird auf Deutsch unterrichtet. Für Kinder, die vor der Schule keinen deutschen Kindergarten besucht haben, oder die zuhause in der Familie kein Deutsch sprechen, ist das eine Herausforderung. Aber auch für die Lehrer. Vor allem dann, wenn in den Klassen sehr viele Kinder die Unterrichtssprache nicht beherrschen. Das ist vor allem in großen Städten regional keine Seltenheit. Zwischen 2013 und 2018 ist der Anteil ausländischer Schüler an deutschen Grundschulen von 6,6 auf 11,6 Prozent gestiegen.
Deutsch als Fremdsprache
Beispiel Duisburg. Laut einem Gesundheitsbericht aus diesem Jahr sprechen in der nordrhein-westfälischen Stadt von hundert Erstklässlern mit Migrationshintergrund nur acht fehlerfrei Deutsch. Von allen im vergangenen Jahr in Duisburg eingeschulten Kindern konnten rund 16 Prozent überhaupt kein Deutsch.
Nach Ansicht des CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann dürften diese Kinder nicht regulär eingeschult werden. "Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Zeitung Rheinische Post. In solchen Fällen müsse es eine Vorschulpflicht geben, notfalls müsse die Einschulung zurückgestellt werden.
Eine Äußerung, für die Linnemann zunächst Kritik erntete, auch aus den eigenen Reihen. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von "populistischem Unfug" und nannte Linnemanns Forderung einen "völlig falschen Weg". An der Schulpflicht gebe es nichts zu rütteln, betonte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU). Gebraucht würden aber verpflichtende Sprachtests und Förderprogramme, die möglichst früh ansetzen.
Genau das habe er doch gefordert, wehrte sich Linnemann später. Ihm gehe es darum, dass es Konsequenzen haben müsse, wenn Kinder vor der Schule die sogenannten Sprachstand-Tests nicht bestünden. Wenn dann trotzdem eingeschult würde, hätten weder die Kinder aus deutschsprachigen noch die aus nicht-deutschsprachigen Haushalten etwas davon, sagte Linnemann der Deutschen Presse-Agentur.
Auch deutsche Kinder lassen nach
Bei der Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht man das differenzierter. Es sei vor allem auf den zunehmenden Fachkräftemangel zurückzuführen, dass die Lehrer kaum in der Lage seien, den Sprachproblemen an der Schule zu begegnen. Zumal auch deutsche Kinder "zunehmend erhebliche Sprachprobleme" hätten, wie die Ilka Hoffmann, Bildungsexpertin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) betont. Dies sei keinesfalls nur ein Problem bei Kindern mit Migrationshintergrund.
Hoffmann fordert, dass Lehrkräfte mehr Zeit für Sprachbildung bekommen. Die Unterrichtsgruppen müssten kleiner sein und die Lernbedingungen insgesamt verbessert werden. Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen notfalls erst später einzuschulen, wie Carsten Linnemann es fordere, komme einem Ausschluss der betroffenen Kinder gleich. Wenn die Begegnung mit anderen Kindern begrenzt werde, "leisten wir der Integration einen Bärendienst". Kinder lernten von Kindern und "gerade kleine Kinder lernen im Spiel, nicht im klassischen Deutschkurs".
"Es nervt"
So sehen es auch Politiker, die selbst ausländische Wurzeln haben und in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind.
"Es nervt mich einfach tierisch, wenn Politiker*innen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden und sich nicht darum kümmern, worum sie sich kümmern sollten: Lösungen erarbeiten, statt Probleme zu schaffen", schreibt die grüne Landtagsabgeordnete Aminata Touré aus Schleswig-Holstin auf Twitter.
Vierjährige testen
Berlin und Hamburg haben bereits ein Lösung gefunden: In den beiden Bundesländern sind Sprachtests im Kindergarten längst vorgeschrieben. Vierjährige, deren Sprachkenntnisse nicht ausreichen, um später erfolgreich am Unterricht teilzunehmen, müssen eine Vorschulklasse besuchen. In Berlin bis zu 18 Monate. Fünf Tage in der Woche mit täglich fünf Stunden Deutschunterricht.
Allerdings können nur die Kinder getestet werden, die tatsächlich eine Kindertagesstätte besuchen. Denn das ist keine Pflicht. Bundesweit bleiben mehr als 100.000 Kinder zwischen drei und sechs Jahren zuhause. In der Regel kommen sie aus Familien mit geringem Einkommen, wenig Bildung und Migrationshintergrund.
Also genau aus dem Teil der Gesellschaft, die Förderung nötig hat. Das hat zur Folge, dass natürlich auch in Hamburg und Berlin Kinder mit unzureichenden Sprachkenntnissen eingeschult werden. Die in Berlin regierende SPD will nun das letzte Kita-Jahr verpflichtend machen.
Übrigens nicht nur, um Sprachkenntnisse von Kindern zu fördern. Auch die motorischen Fähigkeiten der Kleinen lassen immer mehr zu wünschen übrig. Bei Einschulungsuntersuchungen in Berlin wurden zuletzt bei rund 28 Prozent aller Kinder Defizite bei der Körperkoordination festgestellt, 31 Prozent taten sich bei feinmotorischen Tätigkeiten schwer und 35 Prozent wiesen Probleme in der kognitiven Entwicklung auf.