Deutsch lernen mit Rainer W. Fassbinder
27. November 2013Ming Wong bringt es auf den Punkt: "Die deutsche Sprache verstand ich damals nicht, aber sie verstand ich ganz genau." Mit sie meint der in Singapur geborene Künstler Ming Wong die Figur der Petra von Kant aus dem Fassbinder-Film "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" aus dem Jahr 1972. Die Filme des deutschen Regisseurs lernte Ming Wong in den späten 1990er Jahren über die Goethe-Institute kennen. Er war begeistert und fasziniert von der Figurenwelt des Rainer Werner Fassbinder.
Emotional berührt
"Ohne viel Vorwissen über Fassbinder geriet ich völlig unvorbereitet in die Welt von Petra von Kant." Er sei zutiefst berührt gewesen von der im Film gezeigten Welt, in der nur überspannte Frauen existierten. "Ich war Petra von Kant" sagt Ming Wong über sein damaliges Verhältnis zum Filmcharakter. Die Faszination hielt an. Ming Wong, der in Singapur und London Medienkunst studierte und heute abwechselnd in seiner Heimat und in Berlin lebt, beschäftigte sich in den folgenden Jahren weiter mit Fassbinder.
Zwei seiner Installationen sind gerade in Frankfurt zu sehen, im Deutschen Filmmuseum in der Ausstellung "Fassbinder JETZT". Ming Wong ist einer von sieben Künstlern, die sich mit Fassbinder auseinandergesetzt haben. Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus Bangladesch und Pakistan, aber auch aus dem europäischen Ausland. Die Frankfurter Schau ist ein schönes Beispiel für den Erfolg deutscher Kulturarbeit im Ausland. Und sie ist wieder einmal ein Beleg für die Tatsache, welch starke Wirkung Fassbinder auf das deutsche und das internationale Kino hatte.
Begegnung der Kulturen
Fassbinder war das Herzstück des deutschen Kinos in der Ära des Neuen Deutschen Films, jener künstlerischen Bewegung, die in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik zu neuen formalen und inhaltlichen Ufern aufbrach. "Fassbinder JETZT" zeigt eindrucksvoll, dass das auch im Ausland wahrgenommen wurde und wird: "Die interkulturelle Bezugnahme ist ziemlich wesentlich für die Ausstellung", sagt Kuratorin Anna Fricke. "Es zeigt, dass Fassbinders Oeuvre - mehr als einem das in Deutschland bewusst ist -, international rezipiert wird und im Bewusstsein gerade auch junger Künstler eine Rolle spielt - auf Filmhochschulen, aber auch auf Kunsthochschulen." Fassbinder komme im Ausland auch im Unterricht vor und werde in Goethe-Instituten gezeigt, sagt Fricke. Die Filme seien noch immer aktuell.
Wie ist das zu erklären? Zum einen liegt es am ästhetischen Konzept Fassbinders, das bis heute nachwirkt, zum anderen an Fassbinders inhaltlichen Akzentsetzungen. Der Regisseur beschäftigte sich in seinen 44 Filmen dezidiert mit deutscher Geschichte. "Lili Marleen" zeigte die Deutschen während des NS-Regimes. "Lola" und "Die Ehe der Maria Braun" blätterte Kapitel aus dem bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder auf. Mit "In einem Jahr mit 13 Monden" und "Deutschland im Herbst" kommentierte Fassbinder die spannungsreiche Zeit des deutschen Linksterrors Ende der 1970er Jahre. Und sein Monumentalepos "Berlin Alexanderplatz" schließlich bot einen eindrucksvollen Blick zurück in das Deutschland der 1920er Jahre.
Faszinosum Ästhetik
Auf der anderen Seite sind die in Frankfurt gezeigten Künstler, aber auch viele internationale Filmemacher, von der ausgefeilten Bildsprache Fassbinders fasziniert. Die Farbästhetik der Filme, die komplexen Kamerabewegungen, das Spiel mit Blicken und Perspektiven, oft durch Spiegel, das ins Extreme verdichtete melodramatische Moment seiner Filme - all das wird aufgegriffen. So wie Fassbinder sich auf Filmkünstler früherer Epochen berief, so beziehen sich heutige Filmemacher wie Pedro Almodóvar, François Ozon oder auch ein Martin Scorsese deutlich auf das Werk des Deutschen.
Auf das Melodramatische trifft man bei den Künstlern und Filmemachern immer wieder. Fassbinder habe sich zum Beispiel auf den aus Deutschland ausgewanderten Hollywood-Regisseur Douglas Sirk bezogen, sagt Anna Fricke, um "das Publikum zum Denken anzuregen." Er habe die Illusionsmaschine Kino benutzt, "um einen Inhalt zu transportieren". Das hätten die Künstler aufgegriffen. Das komme in fast allen künstlerischen Arbeiten in Frankfurt vor.
Genius Fassbinder
Dass Fassbinder heute im Ausland stärker wahrgenommen wird als in seiner Heimat, das bestätigt auch Juliane Maria Lorenz, langjährige Cutterin des Regisseurs und heute Verwalterin von Fassbinders Nachlass. "In Deutschland wird er von vielen schon allein wegen seiner Schaffenskraft für verrückt gehalten." Das sei beispielsweise in den USA anders. Amerikaner fänden Genie großartig, sagt Lorenz. "Ich sage jetzt nicht, dass er ein Genie war, Rainer hätte das auch nicht von sich gesagt. Aber er war wahnsinnig fleißig und er hatte Charisma und hat die richtigen, sehr begabten jungen Leute, um sich versammelt."
Ming Wong spielt in seiner Installation "Lerne Deutsch mit Petra von Kant" Szenen aus Fassbinders Film aus dem Jahre 1972 nach. Kostümiert wie die Filmcharaktere, spricht der Künstler in gebrochenem Deutsch Sätze aus dem Film. Das ist absurd und komisch zugleich. Für ihn sei der Film damals ein "selbst ausgedachter kultureller und linguistischer Integrationskurs" gewesen. Ming Wong: "Mit Inbrunst kann ich Sätze wiederholen wie 'Oh Mann, ich bin so am Arsch', 'Du ekelst mich an', 'Meinst Du, mir liegt was an Dir?', 'Wenn Ihr wüsstet, wie dreckig ihr seid'. Glauben Sie mir, diese Sätze haben mir während meiner Zeit in Deutschland gute Dienste geleistet."
Die Ausstellung "Fassbinder JETZT - Film- und Videokunst" ist noch bis zum 1. Juni 2014 im Deutschen Filmmuseum/Filminstitut in Frankfurt/Main zu sehen und wurde gemeinsam mit der Rainer Werner Fassbinder Foundation in Berlin geplant.