Deutsch-russische "Hassliebe"
22. Dezember 2013Einen Knacks hatten sie ja schon bekommen, die deutsch-russischen Beziehungen in den vergangenen Monaten: Ständig schwelte der Streit um demokratische Reformen und Menschenrechte in Russland. Bundespräsident Joachim Gauck hatte deshalb angekündigt, nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen zu wollen. Hinzu kam das russische Vorgehen in der Ukraine: Monatelang torpedierte Präsident Wladimir Putin die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen zwischen der Regierung in Kiew und der Europäischen Union - bis die Ukraine dieses schließlich auf Eis legte.
Die einen kritisierten, die anderen blockierten. Und jetzt das: Putin begnadigt den früheren Öl-Tycoon und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski - und die deutsche Politik zeigt sich Russland gegenüber milde gestimmt. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Freilassung. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte: "Das ist ein gutes Zeichen." Die Begnadigung könnte, ebenso wie die Amnestie für die Greenpeace-Aktivisten und die Mitglieder der Punkband Pussy Riot "eine neue Chance für intensivere Gesprächskontakte nach Moskau sein", so der SPD-Politiker Rolf Mützenich.
Kalkül statt Barmherzigkeit
Doch ganz so einfach lassen sich Beziehungen nicht kitten - das ist auch den deutschen Politikern klar. Mützenich etwa, in seiner Fraktion zuständig für Außenpolitik und Menschenrechte, fügte hinzu: "Aber natürlich gilt grundsätzlich: Von Tauwetter kann keine Rede sein."
Denn in der Putin'schen Entscheidung lässt sich viel Taktik erahnen - und nur bedingt tatsächliche Gnade: In gut sieben Wochen, am 7. Februar 2014, beginnen die Olympischen Winterspiele. Jene, wegen derer Putin stark kritisiert wurde, wegen derer die deutsch-russischen Beziehungen auch belastet sind. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Sotschi und der Begnadigung von Chodorkowski, so der deutsche Außenminister Steinmeier, "sei offenbar".
Chodorkowski meldet sich zu Wort
Bei aller Freude über die erreichten Erfolge sieht CDU-Politiker Andreas Schockenhoff die Verhältnisse klar: Chodorkowskis Begnadigung ersetze ein faires Verfahren ja nicht, sagte der bisherige Russland-Beauftragte der Bundesregierung im Interview mit der DW."Die Verurteilung Chodorkowskis hat gegen grundlegende, rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Und deshalb muss man auch diese Form von politisch gesteuerter Justiz in Russland weiter kritisieren."
Der, der das am besten kann, tut es auch gleich nach seiner Entlassung: "Es gibt noch viele Geiseln, die es zu befreien gilt, die noch immer im Gefängnis sitzen - allen voran Platon Lebedew", sagte Michail Chodorkowski der kremlkritischen Moskauer Zeitschrift "The New Times", für die er auch als Autor schreibt, in einem Telefonat.Lebedew war sein Geschäftspartner im heute zerschlagenen Öl-Konzern Yukos. Er wurde zeitgleich mit Chodorkowski in zwei international umstrittenen Verfahren unter anderem wegen Steuerbetrugs verurteilt.
Auch Andreas Schockenhoff richtet den Blick darauf: Neben prominenten Fällen wie Chodorkowski, Pussy Riot oder dem der Greenpeace-Aktivisten gebe es "unzählige Gefangene, die in rechtsstaatlich fragwürdigen Verfahren verurteilt wurden und die Recht auf ein faires Verfahren haben."
Der eine kommt frei, der andere ins Gefängnis
Ein solcher Fall ist der des Geologen Jewgeni Witischko. Er gehört einer Organisation von Umweltschützern an, die gegen die Olympischen Spiele von Sotschi protestieren. Schon seit einiger Zeit geht die Staatsanwaltschaft gegen die Gruppe "Environmental Watch on the North Caucasus" vor.
Just an dem Tag, als Chodorkowski nun freigelassen wurde, verurteilte das Gericht im südrussischen Tuapse Witischko zu drei Jahren Straflager. Er habe gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, hieß es in der Urteilsbegründung. "Jewgeni Witischko ist ein politischer Gefangener der Olympischen Spiele geworden", schreibt seine Organisation auf Facebook.Auch Human Rights Watchund Freedom Housekritisieren das Vorgehen der Behörden als politisch motiviert.
Die Hand bleibt ausgestreckt
"Das sind einzelne humanitäre Fälle, um die wir uns zu kümmern haben", betont Rolf Mützenich von der SPD. "Auf der anderen Seite müssen wir aber auch alles versuchen, mit den derzeit politischen Verantwortlichen gemeinsame Interessen in der internationalen Politik zu beraten und die Angebote, die wir zu einer Modernisierungspartnerschaft gemacht haben, weiterhin umzusetzen."
Die aktuelle Entwicklung sei eine Chance, die man ergreifen müsse - egal, welche Motive dahinter steckten, meint auch CDU-Politiker Andreas Schockenhoff: "Wir sollten gegenüber Russland immer die Hand ausstrecken. Immer die Zusammenarbeit anbieten." Deutschland und die EU wollten schließlich ein modernes, rechtsstaatliches und offenes Russland, in dem Korruption tatsächlich bekämpft werde. "Und wenn sich Russland weiter entwickelt, sollten wir jeden Schritt begrüßen und immer unsere Partnerschaft bei der Modernisierung des Landes anbieten."
Vielleicht ist das im Moment das wichtigste: Beide Seiten scheinen die Beziehungen verbessern zu wollen. Und irgendwann werden sie das auch können. Vielleicht.