Deutsch-ungarischer Justiz-Skandal: Maja T. im Hungerstreik
5. Juni 2025
"Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen. Meine Zelle war über drei Monate rund um die Uhr videoüberwacht. Ich musste über sieben Monate außerhalb meiner Zelle immer Handschellen tragen." Sätze aus Maja T.s Erklärung zum Hungerstreik, den die non-binäre Person am 5. Juni begonnen hat.
Non-binär bedeutet, dass sich jemand weder als ausschließlich weiblich noch männlich identifiziert. Menschen wie Maja T. haben es in Ungarn, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU), grundsätzlich schwer. Anfang 2025 wurde in dem von Viktor Orbán autoritär regierten Land ein Gesetz beschlossen, mit dem Veranstaltungen wie der Christopher Street Day (CSD) verboten werden können.
Keine Hoffnung auf einen rechtsstaatlichen Prozess
Maja T. hat schon längst die Hoffnung auf ein faires Strafverfahren aufgegeben und will mit dem Hungerstreik die Rückkehr nach Deutschland erreichen. Im Juni 2024 war T. von Deutschland an Ungarn ausgeliefert worden und befindet sich seitdem in Isolationshaft in einem Budapester Gefängnis. Der Prozess hat am 21. Februar begonnen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Jena (Thüringen) stammenden Häftling vor, im Februar 2023 in Budapest mehrere Menschen überfallen und schwer verletzt zu haben. Die Opfer hatten sich am sogenannten "Tag der Ehre" beteiligt, einem jährlich stattfindenden Aufmarsch von Neonazis aus ganz Europa.
Maja T. lehnt ein Schuldgeständnis ab
Zum Auftakt des Strafverfahrens wurde T. in Handschellen und mit Fußfesseln von Sicherheitspersonal an einer Leine in den Gerichtssaal geführt. Die Staatsanwaltschaft machte T. das Angebot, ein Schuldgeständnis abzulegen und dafür ohne weitere Verhandlung 14 Jahre Haft zu akzeptieren. Darauf ließ sich T. aber nicht ein und gab stattdessen eine sechsseitige Erklärung mit deutlicher Kritik an Ungarn ab:
"Es ist ein Staat, der ganz offen Menschen wegen ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht ausgrenzt und separiert. Ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich Antifaschist*in bin."
Zum Inhalt der Anklage - mehrfache schwere Körperverletzung - äußerte sich T. nicht. Auseinandersetzungen zwischen militanten Antifaschisten und Neonazis gibt es immer wieder, auch in Deutschland. Eine Gruppe um die Linksextremistin Lina E. wurde dafür 2023 vom Oberlandesgericht Dresden (Sachsen) zu Haftstrafen von maximal fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Für Maja T. könnte es wesentlich schlimmer kommen: Bis zu 24 Jahre sind nach ungarischem Recht möglich.
Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig
Vor einem deutschen Gericht wäre die Aussicht auf ein deutlich milderes Urteil garantiert. Was den Fall besonders brisant macht: T.s Auslieferung von Deutschland nach Ungarn war rechtswidrig. So hat das Bundesverfassungsgericht Ende Januar entschieden. Dabei wurde ausdrücklich auf die Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU) verwiesen und die das damit verbundene Verbot unmenschlicher Behandlung.
Verantwortlich für die unrechtmäßige Auslieferung ist das Berliner Kammergericht, dem das Bundesverfassungsgericht schwere Versäumnisse vorwirft: So seien unter anderem aktuelle Informationen zu Überbelegung und Haftbedingungen in ungarischen Gefängnissen nicht ausreichend geprüft worden. Was T. in einem ungarischen Gefängnis befürchtete, ist in der Verfassungsbeschwerde aufgelistet:
Unzureichende hygienische Bedingungen, mangelnder Zugang zu warmem Wasser, Bettwanzen, schlechtes und wenig Essen, extreme Temperaturen im Winter und im Sommer, schlechte Belichtung und Belüftung der Zellen, Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge und Gefängnis-Personal, rechtsstaatliche Defizite.
Der Vater spricht von einem "politischen Prozess"
Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde ist allerdings wertlos: Maja T. war schon längst ausgeliefert und der Prozess findet in Ungarn statt. Zum Auftakt fuhr Vater Wolfram Jarosch nach Budapest, um seinem 24-jährigen Kind moralischen Beistand zu leisten. Im Telefonat mit der Deutschen Welle bezeichnete er das Strafverfahren als "politischen Prozess".
Von einer ordentlichen Vorbereitung könne keine Rede sein. Maja habe in der Zelle zwei riesige Kartons mit über 8000 Akten. "Aber die sind größtenteils auf Ungarisch und nur ganz wenige sind übersetzt." Seit der überstürzten Auslieferung nach Ungarn haben sich die beiden nur selten gesehen. Jarosch ist Lehrer und kann nur in den Schulferien oder an Wochenenden reisen. Aber Samstag und Sonntag dürfen Häftlinge keinen Besuch empfangen. Zudem sind mehr als zwei Stunden im Monat nicht erlaubt.
"Das Schlimmste ist die Isolationshaft"
"Das Schlimmste ist die Isolationshaft, sagt der Vater. Umso beeindruckter ist der 54-Jährige von der Selbstdisziplin seines Kindes. Kraftübungen, Lesen und Schreiben - damit versuche es, sich einen Tages- und Wochenplan zu geben. "Trotzdem merke ich letztlich, dass Maja sowohl psychisch als auch körperlich dort immer mehr unter diesen Bedingungen leidet."
Jetzt hat sein Kind einen Punkt erreicht, wo es keinen anderen Ausweg als den Hungerstreik sieht. In Maja T.s Erklärung ist von stündlichen Sichtkontrollen in der Zelle die Rede, die bei eingeschaltetem Licht auch nachts stattfänden. "Bis heute sehe oder höre ich weniger als eine Stunde am Tag andere Menschen. Dieser dauerhafte Entzug von menschlichem Kontakt soll bewusst seelischen und körperlichen Schaden hervorrufen. Hier in Ungarn bin ich lebendig in einer Gefängniszelle begraben."
Maja T. darf 80 Minuten telefonieren - pro Woche
Immerhin gibt es in der Zelle inzwischen ein Telefon. Das ist aber nur für sechs Nummern von nahen Verwandten und dem ungarischen Anwalt zugelassen. Außerdem ist der Zeitrahmen stark limitiert: 80 Minuten in einer Woche. Das höre sich erstmal nach viel an, sagt der Vater. "Aber wenn man dort den ganzen Tag alleine ist, dann möchte man einfach mal reden. Die Zeit ist ganz schnell weg, wenn man sonst 24 Stunden am Tag nur die Zellenwände anstarrt."
Neben Wolfram Jarosch kümmern sich mehrere Abgeordnete der deutschen Linken um Maja T. Die Europa-Parlamentarierin Carola Rackete war schon zweimal zu Besuch und konnte mit dem Sicherheitspersonal auch über die Haftbedingungen sprechen. Dabei habe man ihr gesagt, die Isolationshaft sei "von oben" angeordnet worden, berichtet sie im DW-Gespräch.
Entwürdigende Sicherungsmaßnahmen im Gefängnis
Während die anderen Inhaftierten in Mehrbett-Zellen untergebracht sind und gemeinsam Hofgang haben, ist Maja T. auf sich allein gestellt. Angeblich wegen der non-binären Identität. Von einer Verlegung in eine Zelle mit anderen Personen sei noch nie die Rede gewesen. Dass sich daran etwas ändern könne, hält Rackete für unwahrscheinlich.
Die Europa-Abgeordnete fordert Bundeskanzler Friedrich Merz und die deutsche Regierung auf, Druck auf Ungarn auszuüben: Wenn man sich ernsthaft von Rechtsextremen abgrenze und für demokratische Werte einsetzen wolle, dürfe man nicht untätig zusehen, wie Orbans Regime in ungarischen Gerichten Menschenleben zerstöre.
Racketes Partei-Kollege im Europaparlament, Martin Schirdewan, ruft die politisch und juristisch Verantwortlichen zur Umkehr auf: Sie dürften nicht tatenlos zusehen, wie Maja T.s Gesundheit und Leben auf dem Spiel stehe, um ein Mindestmaß an einem gerechten Justizverfahren zu erhalten. "Es ist erschütternd, dass ein junger Mensch zu einem solch drastischen Mittel greifen muss, um von der Bundesregierung gehört zu werden", meint Schirdewan.
Keine weitere Auslieferung mutmaßlicher Linksextremisten
Mehr Glück als Maja T. hatten sechs lange untergetauchte mutmaßliche Linksextremisten, die sich 2023 ebenfalls an den Überfällen auf vermeintliche Neonazis in Budapest beteiligt haben sollen. Die Gruppe hat sich im Januar freiwillig den deutschen Behörden gestellt. Eine Auslieferung nach Ungarn müssen sie offenbar nicht befürchten, wie die Bundesanwaltschaft der DW auf Anfrage bestätigte.
Demnach wurde den für Auslieferungsverfahren zuständigen Generalstaatsanwaltschaften schriftlich mitgeteilt, dass die Ermittlungen in Deutschland vorrangig seien. Mit anderen Worten: Sollte es zu Anklagen kommen, fänden die Prozesse in Deutschland statt.
Dieser Artikel wurde am 21.02.2025 veröffentlicht und am 05.06.2025 aktualisiert, nachdem Maja T. in den Hungerstreik getreten war.