1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Die Freiheit des Wortes

Sabine Kieselbach
11. November 2016

Die Türkei gilt seit dem vereitelten Putsch als großes Gefängnis für Schriftsteller und Journalisten. Deutschland nimmt jetzt als Gastland an der Internationalen Buchmesse Istanbul teil. Mit welchen Erwartungen?

Symbolbild Türkische Literatur
Bild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Nach Angaben des türkischen PEN-Zentrums sind am Bosporus derzeit 154 Journalisten und Schriftsteller inhaftiert. Über 100 Medienunternehmen wurden dicht gemacht, 29 Verlagshäuser geschlossen. Eine Teilnahme Deutschlands als Ehrengast der 35. Istanbuler Buchmesse schließt das nicht aus, im Gegenteil, wie Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt in Berlin, betont: "Wir wollen unsere Rolle als Gastland nutzen und uns für die Freiheit des Wortes und der Gedanken einsetzen."

So eröffnet Böhmer am 12. November den deutschen Gemeinschaftsstand. 30 Verlage und Kulturinstitutionen sind angereist, 14 deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller stellen sich und ihr Werk im Gespräch und auf Veranstaltungen vor, darunter Silke Scheuermann, Olga Grjasnowa, Moritz Rinke, Peter Schneider und Ilija Trojanow. Und sie wollen mit türkischen Kollegen diskutieren, über ihre Werke und auch über die Situation in der Türkei, in Europa.

Asli ErdoganBild: Imago

Auch Kritik an Deutschlands Teilnahme

Am Auftritt Deutschlands regt sich allerdings auch Kritik. So räumt der Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos, ein, dass man tatsächlich überlegt habe, ob ein solcher derzeit sinnvoll sei. Er und sein Team haben - gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Istanbul -  ein Programm entworfen, das den Balanceakt wagt. "Hart in der Sache, aber höflich im Ton" wolle man für die Freiheit des Wortes eintreten - auch für die Freiheit türkischer Autoren, die der Einladung zum Gespräch nicht folgen könnten, weil sie inhaftiert sind. Asli Erdogan zählt dazu. Sie ist Mitherausgeberin einer pro-kurdischen Zeitung und sitzt wegen Terrorismus-Verdachts seit August im Gefängnis. Noch 2008 war sie als Mitglied der offiziellen türkischen Delegation zur Frankfurter Buchmesse gereist.

Damals war die Türkei Gastland am Main. Gerade "in dieser politisch angespannten Zeit" sei es notwendig, Präsenz zu zeigen, sagt Boos. Auch türkische Verlage hätten ihm deutlich gemacht, wie wichtig der intensive internationale Austausch sei. Und es ist wohl kein Zufall, dass die Einladung an Deutschland nicht von der türkischen Regierung, sondern vom fortschrittlichen Verlegerverband ausgesprochen wurde, der die Messe durchführt.

Deutsche Verleger geben sich solidarisch

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, ist Teilnehmer der deutschen Delegation auf der Buchmesse in Istanbul. "Wir haben als Buch- und Medienbranche eine Verpflichtung gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen und gegenüber der Gesellschaft", betont er. Man wolle mit allen Seiten reden. Für die Inhaftierten sei es wichtig zu sehen, dass sie Fürsprecher hätten. Auch Reimar Volker, Leiter des Goethe-Instituts in Istanbul und derjenige, der Kontakt zu den türkischen Autoren hält, setzt auf Dialog: Man wolle Räume schaffen, um im Gespräch zu bleiben. "Wir sind solidarisch mit Autoren und Verlegern, die unter schweren Bedingungen arbeiten", sagt Volker.

Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur von CumhuriyetBild: picture-alliance/dpa/S. Prautsch

Zwar begrüßt auch Zeynep Oral alle Solidaritätsaktionen. Doch ist die Schriftstellerin und Präsidentin des türkischen PEN-Zentrums zugleich skeptisch. Ihre Versuche, mit den türkischen Behörden Kontakt aufzunehmen, seien unerhört geblieben, ein offizieller Brief an den Kulturminister unbeantwortet. Oral ist seit 15 Jahren Kolumnistin der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet, die ihren Sitz in Istanbul hat und seit Jahren unter Druck gesetzt wird. Ihr früherer Chefredakteur Can Dündar lebt seit August im deutschen Exil, sein Nachfolger Murat Sabuncu sowie acht Mitarbeiter wurden unlängst verhaftet. Die PEN-Präsidentin berichtet von Panzern und Polizeibarrikaden vor dem Redaktionsgebäude, aber auch von Solidaritätsveranstaltungen. Von der Internationalen Buchmesse in ihrer Stadt erhofft sie sich mehr Aufmerksamkeit für ihr Land, für die Situation von Schriftstellern und Journalisten. Sie und ihre Kollegen seien allerdings auch "der westlichen Heuchelei müde" und versuchten derzeit vor allem, nicht verrückt zu werden und ihren Job zu machen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen