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Deutsche Bahn: Boni trotz Kundenärger

11. Dezember 2023

Der Vorstand erhält laut einem Bericht Millionen an Bonuszahlungen, obwohl die Deutsche Bahn mit ihrer Unpünktlichkeit für viel Ärger sorgt. Woran liegt das? Und wie kann die Bahn wieder besser werden?

Deutschland Köln | Warnstreik der GDL | Verspätungen und Zugausfälle
Schon mehrmals legten die Gewerkschaften EVG und Verdi im Jahr 2023 mit Warnstreiks den öffentlichen Verkehr lahmBild: Jana Rodenbusch/REUTERS

Nachdem die Bahngewerkschaft GDL jüngst für bessere Löhne und Bedingungen der Beschäftigten gestreikt hat, bekommt nun offenbar das oberste Management der Deutschen Bahn für das Jahr 2022 Bonuszahlungen in Höhe von insgesamt fast fünf Millionen Euro. Das haben NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung am Montag berichtet, die nach eigenen Angaben das langjährige Berechnungsmodell des Konzerns für die Boni einsehen konnten.

Boni werden in der Regel für besonders gute Leistung gewährt. So manche leidgeprüften Kunden der Bahn dürften da zusammenzucken und sich fragen: Wie kann es sein, dass bei den so oft beklagten Missständen bei der Bahn Ziele übertroffen wurden?

Der Clou: Anscheinend können Bereiche, in denen Ziele verfehlt werden, mit anderen Bereichen, in denen Ziele übertroffen werden, verrechnet werden. Für die damals neun Vorstandsmitglieder bedeutet das, dass ihr Grundgehalt im Jahr 2022 von insgesamt rund vier Millionen Euro auf rund neun Millionen Euro aufgestockt wird.

Erfolge bei Frauen in Führung, Zufriedenheit der Mitarbeitenden und CO2-Einsparungen

Laut Bericht übertraf die Bahn die eigenen Ziele im Bereich "Frauen in Führung und Mitarbeitenden-Zufriedenheit" 2022 geringfügig. Der Bonus für diesen Bereich sei aber offenbar deutlich erhöht worden, auf einen Wert von 175 Prozent, heißt es weiter. Allein für dieses Ziel werden rund 1,6 Millionen Euro bezahlt.

Auch beim Thema CO2-Einsparung habe die Bahn ihr selbst gestecktes Ziel den Unterlagen zufolge übererfüllt, und zwar um zwei Prozentpunkte, berichtete das Recherchebündnis. Der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz solle allein dafür knapp 440.000 Euro an Bonuszahlungen erhalten.

Pannen werden weniger wichtig für Einkommen der Chefs

Im kommenden Jahr soll das Bonus-System dem Bericht zufolge verändert werden. Dann hätten Bahn-Vorstände einen höheren Anteil ihres Gehalts als Fix-Gehalt und der Anteil der Boni solle sinken. Über das Bonus-System bei der Bahn entscheidet der Aufsichtsrat, in dem Vertreter der Bundesregierung und der Gewerkschaften sitzen.

In Zukunft wird die Zielerfüllung demnach weniger relevant für die Gehälter der Bahn-Chefs. Damit wird es auch weniger wichtig, ob Züge zu spät kommen, ausfallen oder überbucht sind. Auch wenn sie mitten auf der Strecke "auf unbestimmte Zeit" stehen bleiben, Klimaanlagen im Hochsommer ausfallen und die App nicht immer alle Alternativen und Verspätungen anzeigt, drückt das weniger auf das Gehalt der obersten Führungsetage.

Dabei gibt es gerade bei der Pünktlichkeit der Züge im Fernverkehr einiges zu verbessern. Im vergangenen Jahr kam etwa jeder dritte Zug zu spät. Im Regionalverkehr war jeder zehnte Zug verspätet. Für ihre Statistik erfasst die Bahn nur Verspätungen von mehr als sechs Minuten.

Vor allem diese Unpünktlichkeit verärgert viele Fahrgäste. Sie müssen große Zeitpuffer in ihre Reiseplanung einbauen, um Anschlusszüge oder Termine nicht zu verpassen. Wegen des Klimawandels müsste die Deutsche Bahn aber wesentlich mehr Menschen für sich gewinnen und auch mehr Güter auf die Schienen locken, wenn die Klimaziele bis 2030 erreicht werden sollen.  

Die Deutschen lieben ihr Auto: Im Personenverkehr liegt der Marktanteil der Schiene seit Jahren bei etwa neun Prozent, im Güterverkehr bei rund 18 ProzentBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Lange zu wenig investiert

"Die heutige Unpünktlichkeit ist das Ergebnis von 20 Jahren verfehlter Verkehrs- und Bahnpolitik", sagt Christian Böttger dazu. Er ist Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. In den letzten 20 Jahren seien die Investitionen in die Infrastruktur der Bahn heruntergefahren worden, während gleichzeitig mehr Züge fahren.

"Das Netz ist einfach überlastet", so Böttger. Während in Luxemburg 2022 rund 575 Euro pro Kopf und in der Schweiz 450 Euro pro Kopf in die Schieneninfrastruktur investiert wurden, waren es in Deutschland gerade mal 114 Euro.

Dass die Bahn den Deutschen so wenig wert ist, liege im Endeffekt daran, dass für zwei Drittel der Deutschen Mobilität bedeutete, mit dem Auto zu fahren. Danach richteten sich Politikerinnen und Politiker, die gewählt werden möchten.

In der Schweiz waren 2022 über 92 Prozent der Züge pünktlich. Das Land hat eines der dichtesten Eisenbahnnetze der WeltBild: MARTIN RUETSCHI/Keystone/picture alliance

Zudem hatte die Bahn 15 Jahre lang in ihrem jährlichen Infrastrukturzustandsbericht verkündet, der Zustand des Schienennetztes sei gut. Beim letzten Bericht hieß es dann plötzlich, das Netz sei "alt" und "störanfällig".

"Das ist ein Riesenskandal", meint Bahnexperte Böttger. "Der Bund hat Millionen ausgegeben, um diese Zahlen noch mal zu überprüfen und hat immer bestätigt, dass das Netz in einem tollen Zustand ist."

Nun gebe es noch nicht einmal einen Untersuchungsausschuss, beklagt Böttger. Niemand frage, ob nicht Vorstand und Aufsichtsrat dafür Verantwortung tragen oder wer jahrelang entweder geschlafen habe oder die Zahlen unter dem Tisch gehalten habe.

Immerhin soll es nun eine Investitionsoffensive geben. Die Bahn plant ein Sanierungsprogramm in Milliardenhöhe, wobei vor allem hochbelastete Abschnitte des Schienennetzes wieder in Schuss gebracht werden sollen. Ziel der Bahn ist es, bis 2030 mit den Generalsanierungen auf 40 Strecken ein Netz zu gewährleisten, auf dem der Verkehr zuverlässiger läuft und mehr Züge fahren können.

Sanierung der DB bis 2030 - wird dann alles besser?

"Nun stehen wir vor einer historischen Wende", heißt es dazu bei der Allianz pro Schiene, einer gemeinnützigen Interessenorganisation zur Verbesserung des Schienenverkehrs. Die Ampel-Koalition wolle im Haushalt für 2024 die Investitionen in die Schieneninfrastruktur spürbar aufstocken. "Sie würde dann im kommenden Jahr voraussichtlich erstmals das Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag einlösen, erheblich mehr Geld für die Schiene als für die Straße bereitzustellen."

"Es gibt deutlich mehr Geld als bisher; das ist die gute Nachricht", sagt auch Böttger. Ein Großteil dieses Geldes werde aber benötigt, um die Folgen der hohen Inflation abzudecken.

Außerdem seien im Februar 45 Milliarden Euro extra bis 2027 in Aussicht gestellt worden "und jetzt wird nur etwa die Hälfte, also 23 Milliarden Euro, vom Bund aus dem Haushalt und Klimaschutzfond bereitgestellt", so der Wirtschaftsingenieur. Das Geld werde für die Sanierung der Hochgeschwindigkeits-Korridore eingesetzt, reiche aber nicht, um neue Strecken zu bauen. Mehr Pünktlichkeit erwartet Böttger durch diese Maßnahmen nicht, da das Grundproblem des überlasteten Netzes bleibe.

Für den Neubau von Strecken hat der Bund 90 Milliarden Euro für vordringliche Projekte veranschlagt. Jährlich werden dafür drei Milliarden Euro bereitgestellt. Zusätzlich braucht es für Projekte, um den sogenannten Deutschlandtakt zu realisieren, weitere 50 Milliarden Euro.

Dieser Takt soll die deutschen Metropolen mindestens im Stundentakt miteinander verbinden. In den seit langem defizitären Güterverkehr müssten auch noch mal 30 Milliarden gepumpt werden.

"Aber es gibt keine Übersicht über die wirklichen Zahlen", sagt Böttger. "Und ich glaube, die Regierung möchte auch nicht, dass es eine Übersicht gibt. Das Ergebnis wäre einigermaßen peinlich, weil es zeigen würde, dass die politischen Ziele nicht finanzierbar sind." Erschwerend komme hinzu, dass es zu wenig Planer und Baufirmen gebe, die Sanierungsmaßnahmen durchführen könnten, so Böttger.

In Deutschland teilen sich Güter-, Regional- und Fernverkehrszüge ein und dasselbe Schienennetz. Japan dagegen hat ein separates Netz für die Hochgeschwindigkeitszüge Shinkansen. Auf diesen Strecken können die Züge bis auf mehr als 320 Kilometer in der Stunde beschleunigen, ohne auf langsamere Personen- und Güterzüge Rücksicht nehmen zu müssenBild: Hiroki Ochimizu/Jiji Press/dpa/picture alliance

Ist die DB zu groß?

Neben den Baustellen bei der Infrastruktur gibt es auch noch solche in der Unternehmensstruktur der DB. Der ganze Konzern ist in wirtschaftlicher Schieflage. Dafür ist der Traum von einem "internationalen Logistikriesen" mitverantwortlich. Jahrelang wurden immer wieder neue Unternehmen zugekauft.

Heute besteht die DB aus rund 760 Gesellschaften. Fast die Hälfte ihres Umsatzes macht die Deutsche Bahn mit Geschäften, die nichts mit Eisenbahn zu tun haben. So betreibt sie beispielsweise Weinlogistik in Australien, Minenlogistik in Südafrika, Busse in London und Regionalverkehr in Kroatien.

Auch IT-Startups und Rettungswagen gehören zum Portfolio der DB. Die meisten der Zukäufe hätten sich finanziell als Fiasko erwiesen und Milliarden an Steuergeldern gekostet, urteilt Verkehrsexperte Böttger und rät, die Bahn solle sich lieber auf ihr Kerngeschäft fokussieren.

Das italienische Streckennetz ist gerade einmal halb so groß wie das deutsche. Der italienische Staat hat insbesondere das Fernverkehrsnetz in den vergangenen Jahren stark ausgebaut und Milliarden in die Modernisierung und den Ausbau investiertBild: Gian Mattia D'Alberto/ZUMAPRESS/picture alliance

Bei der Frage, ob die Bahn zu groß sei, geht es aber nicht nur um die Zukäufe. Seit Jahren empfehlen Experten, die Bahn aufzuspalten, damit Schienennetz und Betrieb in verschiedenen Gesellschaften geführt werden. Erst im Juli hat die Monopolkommission erneut eine Zerschlagung des Konzerns in die Diskussion gebracht.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber hält dagegen. Er plant eine neue Infrastrukturgesellschaft, die künftig zwar Instandhaltung und Ausbau des Schienennetzes getrennt vom Betrieb der Bahn vorantreiben soll. "Aber das Ganze im integrierten Konzern", so Wissing. Diese Infrastrukturgesellschaft soll am 1. Januar 2024 ihre Arbeit aufnehmen.

Es gibt Länder, die gute Erfahrungen mit einer Trennung von Netz und Betrieb gemacht haben, etwa die Niederlande, Dänemark, Schweden und Großbritannien. "Eine Zauberlösung ist das aber nicht", meint auch Böttger, auch wenn mit einer Trennung manche Probleme leichter zu lösen wären.

Mit einer schnellen Verbesserung bei Bahnreisen sollten Bahnkundinnen und -kunden lieber nicht rechnen. Im Gegenteil. Es werde erst einmal schlimmer, denn für die geplanten Sanierungsmaßnahmen müssen viel befahrene Strecken zeitweise komplett gesperrt werden.

"Angesichts der Liste der Probleme und der sichtbaren Lösungswege habe ich Zweifel, dass die aufgestauten Probleme der Bahn in den nächsten zehn Jahren wirklich beseitigt werden können", meint Böttger. Aber er bleibt optimistisch, denn "wenn man ein bisschen was macht, dann wird es auch besser."
 

Aktualisierter Artikel, der erstmals am 4.09.2023 veröffentlicht wurde.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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