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Deutsche Bahn: Das Chaos wird noch schlimmer

3. Juli 2024

Überfüllt, verspätet, ausgefallen: Die Fußball-EM legt die Probleme der Bahn schonungslos offen. 4000 Schienenkilometer sind so marode, dass neu gebaut werden muss. Sperrungen inklusive.

Deutschland | Deutsche Bahn | Hauptbahnhof Stuttgart. ein weißer ICE-Zug fährt auf einem mit Unkraut bewachsenen Gleis in den Bahnhof ein. Am Bahnsteig warten sehr viele Menschen.
Ein marodes Schienennetz bremst auch moderne Züge ausBild: Arnulf Hettrich/IMAGO

Wer ab Mitte Juli mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, der braucht für die nächsten Jahre vor allem eins: viel mehr Zeit und noch mehr Geduld als bisher. Am 15. Juli, also einen Tag nach dem Ende der Fußball-Europameisterschaft, startet das Staatsunternehmen ein großes Sanierungsprogramm.

Bis 2030 sollen 40 Hauptstrecken erneuert und für die Bauarbeiten monatelang komplett gesperrt werden. Den Anfang macht die rund 70 Kilometer lange Verbindungsstrecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, also in der Mitte Deutschlands, "Riedbahn" genannt.

Erster Schritt zum deutschen Hochleistungsnetz: die Riedbahn

"Die Riedbahn ist der erste Baustein auf unserem Weg zu einem Hochleistungsnetz", sagt der Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber. "Nirgendwo sonst in Deutschland wird die Infrastruktur derzeit stärker beansprucht. Täglich verkehren auf der Strecke rund 300 Züge im Nah-, Fern- und Güterverkehr." Das können sie nur noch mit gedrosseltem Tempo, weil die Strecke, die Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, mehr nicht zulässt.

Regelmäßig gibt es Störungen, weil Weichen, Stellwerke oder die stromführenden Oberleitungen so marode sind, dass ständig irgendwelche Anlagenteile defekt sind. Die Folge: So gut wie jeder Zug baut auf der Riedbahn Verspätung auf und das wirkt sich bundesweit auf den Schienenverkehr aus.

Verspätungen und Unpünktlichkeit sind ein wachsendes Problem bei der DB

Die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. 2023 erreichten nicht einmal zwei Drittel der Fernverkehrszüge ihr Ziel pünktlich - ein neues Rekordtief. Als pünktlich gilt ein Zug mit einer Verspätung von unter sechs Minuten.

Immer wieder kommt es vor, dass Züge wegen massiver Verspätung vorzeitig enden, also gar nicht mehr bis zur Endhaltestelle fahren. Für die Bahn hat das unter anderem den Vorteil, dass solche Züge nicht in die Pünktlichkeitsstatistik einfließen. Wäre das der Fall, würde die Statistik noch viel dramatischer ausfallen.

Entschädigungen und finanzielle Herausforderungen

Hat ein Zug mehr als 60 Minuten Verspätung, können Reisende einen Teil des Reisepreises zurückfordern. 133 Millionen Euro musste die Bahn 2023 erstatten, 43 Prozent mehr als im Vorjahr. Geld, das für Investitionen fehlt.

Um die Finanzen der Bahn ist es ohnehin schlecht bestellt. Seit dem massiven Einbruch der Fahrgastzahlen während der Corona-Pandemie kommt die Bahn nicht aus der Verlustzone heraus. 2023 wies die Bilanz ein Minus von rund 2,4 Milliarden Euro aus. Der Konzern sitzt auf einem Schuldenberg von inzwischen rund 34 Milliarden Euro.

Investitionen in die Bahn-Infrastruktur: Notwendig, aber teuer

Immer mehr Geld verschlingen Reparaturen. 2023 investierte die Bahn aus Eigenmitteln den Rekordbetrag von rund 7,6 Milliarden Euro. Doch der überwiegende Teil der Anlagen ist so veraltet, dass er oft gar nicht mehr richtig repariert werden kann. Für den digital gesteuerten Bahnbetrieb, wie er in Zukunft Standard werden soll, sind die meisten Anlagen ohnehin nicht zu gebrauchen.

Als Staatsunternehmen ist der Konzern von Zuschüssen des Bundes abhängig. Doch der investierte in den vergangenen Jahrzehnten viel zu wenig. Stattdessen wurde die Deutsche Bahn auf Verschleiß gefahren und das rächt sich jetzt. Die Misere ist so gewaltig, dass es mit kleinen Eingriffen nicht mehr getan ist. Mit gravierenden Folgen. Bei den 40 Hauptstrecken, die für den Betrieb eines Bahn-Hochleistungsnetzes unverzichtbar sind, geht es um insgesamt rund 4.200 Streckenkilometer. Die notwendigen, monatelangen Sperrungen werden deutlich spürbar sein.

Größtes Bauprojekt in der Geschichte der Bahn

Das größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Deutschen Bahn soll 45 Milliarden Euro kosten. Rund 1,3 Milliarden Euro davon fließen in die Sanierung der Riedbahn. Auf etwa 117 Gleiskilometer werden Schienen und Schotter, 152 Weichen und 140 Kilometer Oberleitung herausgerissen und neu installiert.

Am Hauptbahnhof in Hannover wird seit zwei Jahren gebautBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Gebaut wird auch auf den 20 Bahnhöfen auf der Strecke, die Signaltechnik wird erneuert und der Schallschutz verbessert. Mindestens fünf Monate wird die Strecke komplett gesperrt und das hat Folgen für den gesamten Bahnverkehr. Auch für internationale Transitzüge.

Schienenersatzverkehr "deluxe"

Auf den Umleitungsstrecken dauert die Fahrt deutlich länger, die Haltepunkte auf der gesperrten Strecke sind mit der Bahn nicht mehr zu erreichen. Tausende Passagiere werden auf Busse umsteigen müssen. Um die Kunden nicht zu sehr zu verärgern, steht eine Fahrzeug-Flotte bereit, die extra modernisiert wurde.

Von einem "Schienenersatzverkehr deluxe" schwärmt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). "Es werden Busse sein mit einer hochwertigen Ausstattung, mit Toiletten, mit WLAN und so weiter, damit die Kunden über diese fünf Monate sich auch im Ersatzverkehr wohlfühlen." Was dieser Satz auch bedeutet: Solcher Komfort ist in Deutschland normalerweise nicht selbstverständlich.

Bus statt Zug: Im Januar 2024 gab es bereits einen Testlauf mit dem Ersatzverkehr zwischen Mannheim und Frankfurt am MainBild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Flughafen Frankfurt wird abgekoppelt

Wichtig für Flugreisende: Während der Bauzeit wird es unter anderem nicht mehr möglich sein, den größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main auf direktem Weg mit der Bahn zu erreichen. Dazu kommt, dass zwischen Mitte Juli und Mitte August auch die von Nordwesten kommende Schnellbahnstrecke zwischen Köln und Frankfurt gesperrt ist und die Züge umgeleitet werden.

Wissing findet den Zustand der Bahn und vor allem auch die finanzielle Situation "nicht besonders zufriedenstellend", wie er nach der Vorlage der Bahnbilanz im März 2024 sagte. Er forderte den Vorstand auf, "deutlich effizienter mit seinen Mitteln umzugehen". Massiv in die Infrastruktur zu investieren, sei dennoch der richtige Weg.

Finanzierung und Zukunft der Deutschen Bahn

Das Problem: Der Bund als Hauptgeldgeber und die Bundesländer, die bei der Bahn ebenfalls finanziell gefragt sind, müssen sparen, weil die Haushalte überschuldet sind. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2023 Teile des Bundeshaushalts für verfassungswidrig erklärt hat, fehlen auch für Investitionen in die Bahn viele Milliarden Euro.

Nach derzeitigem Stand sind die 45 Milliarden Euro, die die Bahn für ihre Sanierungspläne braucht, nicht komplett finanziert. Zugesagt hat der Bund lediglich 30 Milliarden Euro. Die Planungen der Bahn sehen vor, dass nach der Riedbahn 2025 die knapp 280 Kilometer lange Strecke von Hamburg nach Berlin gesperrt und saniert werden soll.

Wird nach der Sanierung alles gut bei der Bahn?

Mit bis zu 30.000 Fahrgästen am Tag ist es die meistgenutzte Städte-Direktverbindung im deutschen Fernverkehr. Rund 230 Regional-, Fern- und Güterzüge fahren täglich über die Gleise zwischen den beiden größten deutschen Metropolen. Ebenfalls 2025 soll die Strecke zwischen Emmerich und Oberhausen in Richtung der niederländischen Grenze saniert werden.

Die Erneuerung bestehender Strecken reicht allerdings nicht aus, wenn die Bahn nicht nur zuverlässiger, sondern auch leistungsfähiger werden will. Das bestehende Netz ist ausgelastet, zusätzliche Züge könnten nur über zusätzlich zu bauende Strecken fahren. Wie das angesichts der öffentlichen Sparpläne möglich sein soll, das kann derzeit niemand so genau sagen.

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