Deutsche Bahn: Mit neuer Chefin raus aus der Dauerkrise?
22. September 2025
Verspätungen von oft mehreren Stunden. Verpasste Anschlusszüge. Züge, die ausfallen. Dazu schmutzige Bahnhöfe, marode Gleise, kaputte Stellwerke und Dauerbaustellen. In Zügen selbst: mangelnder Service und verdreckte Toiletten. Seit Jahren steckt die Deutsche Bahn tief in der Krise.
Jetzt soll alles besser werden - mit einer neuen Chefin, einem realistischen Zeitplan, und der Konzentration auf das, wofür die Bahn in den Augen der Bürgerinnen und Bürger da sein sollte: Züge wie im Fahrplan vorgesehen bequem und zuverlässig von A nach B zu fahren. Patrick Schnieder (CDU), Verkehrsminister im Kabinett von Kanzler Friedrich Merz (ebenfalls CDU) stellte am Montag in Berlin die neue Konzernchefin Evelyn Palla vor. Und seine Ideen für eine bessere Bahn. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Neue Bahn-Chefin Evelyn Palla: Neustart auf der Schiene
Ein bisschen angestrengt schaut Evelyn Palla schon noch in die Kameras der Bundespressekonferenz in Berlin an diesem Montagmorgen. Positiv formuliert könnte man sagen: Die 51 Jahre alte Österreicherin, geboren in Südtirol, hat ein realistisches Gefühl für das, was auf sie zukommt. Sie sagt: "Wir nehmen heute den Taktstock für eine neue Ära in die Hand. Eine Ära, in den wir uns wieder auf das konzentrieren, was uns im Inneren ausmacht: das Fahren von Zügen, die Bahn als Lebensader dieses Landes."
Palla löst den glücklosen Bahnchef Richard Lutz ab, der den Konzern seit 2017 leitete. Immer wieder hatte Lutz auf den maroden Zustand der Bahn verwiesen, die dem Staat zu 100 Prozent gehört. Lange Zeit stieß er auf wenig Gehör bei der Politik. Einer seiner markanten Sätze, oft wiederholt, lautete: "Wir fahren den dreifachen Verkehr wie 1990, auf dem nahezu gleichen Netz."
Evelyn Palla sitzt seit 2019 im Vorstand der Bahn und war seit 2022 für den Regionalverkehr zuständig, den sie leidlich auf Vordermann brachte. Zuletzt schrieb der Nahverkehr sogar schwarze Zahlen und lockte auch mehr Kunden an. Den rund 235.000 Beschäftigten der Bahn dürfte gefallen haben, dass Palla im vergangenen Jahr die Prüfung für den "Triebfahrzeugschein" erfolgreich abgelegt hat, also den Führerschein für Lokomotiven. "Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, im Führerstand zu sitzen. Und auch verstehen, was unsere Mitarbeitenden täglich leisten und was unser Kerngeschäft ausmacht", so Palla damals. Am Dienstag wurde Palla vom Aufsichtsrat der Bahn offiziell zur Vorstandsvorsitzenden gewählt.
Das große Problem: Die Unpünktlichkeit
Minister Schnieder begann die Pressekonferenz in Berlin mit einem Seitenhieb auf die bisherige Konzernleitung: Wenn die Bahn verspreche, bereits 2027, also in rund zwei Jahren, wieder eine Pünktlichkeit von 75 bis 80 Prozent im Fernverkehr zu erreichen, dann sei das "nicht annähend erreichbar."
Schnieder gab deshalb ein neues, eigenes Ziel vor: Ab 2029 sollen 70 Prozent der Züge wieder pünktlich sein. Die Bahn bekommt also mehr Zeit, ihre maroden Strecken und Stellwerke, teilweise seit Jahrzehnten unverändert im Dienst, zu sanieren. Aktuelle Zahlen geben Schnieder Recht: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren die Fernzüge in Deutschland zu 63,4 Prozent pünktlich, im Juli allein waren es dann nur noch 56,1 Prozent.
Mit anderen Worten: Mehr als 40 Prozent der Fernzüge kamen nicht pünktlich an, im wichtigsten Reise-Sommermonat des Jahres. Zum Vergleich: In Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden, die ebenfalls wachsende Zugzahlen verzeichnen, liegt die Pünktlichkeit bei rund 90 Prozent - in der Schweiz sogar bei 99 Prozent.
Bei deutschen Bahn-Kunden dagegen ist die Durchsage: "Wegen Verzögerungen im Betriebsablauf hat dieser Zug leider eine Verspätung" längst zum geflügelten Wort geworden. Und ein ständiges Ärgernis. Schnieder sieht auch Gefahren durch die Bahnkrise über das Staats-Unternehmen hinaus: "Viele setzen das Nicht-Funktionieren bei der Bahn gleich mit einem Nicht-Funktionieren unseres Staates. Ich finde das brandgefährlich."
Bis 2036: Sanierung von 40 Bahnstrecken
Die neue Bahnleitung wird, das versprach Minister Schnieder, daran festhalten, bis 2036 rund 40 wichtige Strecken grundlegend zu sanieren. Das hatte bereits der alte Vorstand geplant. Das ist auch bitter notwendig und hat etwa bei der so genannten "Riedbahn" zwischen Frankfurt am Main und Mannheim Ende vergangenen Jahres überraschend gut funktioniert. Nur fünf Monate nahmen die Bauarbeiten in Anspruch, Fernzüge wurden umgeleitet, Nahverkehrszüge oft durch Busse ersetzt. Die Kosten für die rund 70 Kilometer lange Verdingung betrugen am Ende rund 1,3 Milliarden Euro.
Zurzeit wird die vielbefahrene Verbindung zwischen der Hauptstadt Berlin und Hamburg im Norden des Landes saniert, Anfang August wurde damit begonnen, im April nächsten Jahres soll alles fertig sein. Geschätzte Kosten: 2,2 Milliarden Euro. Und damit sind wir beim nächsten Punkt: Dem Geld.
Milliarden aus dem Sondervermögen für Infrastruktur
Allein im letzten Jahr wurden bei der Bahn rund 2.000 Kilometer Gleise und 2.000 Weichen erneuert, an rund 150 Brücken wurde gearbeitet und rund 1.000 Bahnhöfen und Haltepunkte saniert. Kostenpunkt zusammen etwa 16,4 Milliarden Euro. Und viele weitere Milliarden an Euro wird die Bahn aus dem kreditfinanzierten Sondervermögen für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro erhalten, das das Land in den kommenden Jahren insgesamt auf Vordermann bringen soll.
Schnieder teilte mit, an einem entsprechenden Gesetz noch zu arbeiten, aber im Herbst Zahlen vorlegen zu wollen, welchen Anteil genau die Bahn an dem neuen Geldregen bekommt. Denn mit viel Geld aus dem Topf soll auch die Digitalisierung des Landes an Fahrt aufnehmen.
Aber noch während die neuen Bahnverantwortlichen in Berlin vor den Journalisten Rede und Antwort standen, machte diese Meldung die Runde: Im Norden des Landes war der Zugverkehr am Montagmorgen wegen einer Oberleitungsstörung stark eingeschränkt. Die ICE-Züge zwischen Hamburg und Berlin, wegen der bereits erwähnten Bautätigkeit sowieso umgeleitet und länger unterwegs, fielen komplett aus. Über mehrere Stunden. Zwischen der größten und der zweitgrößten deutschen Stadt. Es gibt viel zu tun für die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla, sehr viel.