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Politik

Kosovo: "Bürger sind weiter als Politiker"

11. August 2017

Die Regierungsbildung im Kosovo ist auch nach einem zweiten Anlauf gescheitert. Angelika Viets, deutsche Botschafterin in Pristina, kritisiert die persönlichen Egoismen der kosovarischen Politiker.

Kosovo Jahrestag der Unabhängigkeit - Parade in Pristina
Parade am Jahrestag der Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz KosovoBild: Reuters/M. Djurica

DW: Die aktuellen Entwicklungen im Kosovo stimmen nicht gerade optimistisch. Wiederholt werden Parlamentssitzungen unterbrochen, sie bleiben ergebnislos. Verstehen Sie dieses politische Chaos?

Angelika Viets: Wir können das sehr gut verstehen. Zum einen erinnert die Situation sehr an die vorgezogenen Parlamentswahlen von 2014, aber im Grunde genommen geht der Konflikt schon auf eine Zeit um 1999 und davor zurück. Verfeindete Parteien und verfeindete Personen stehen sich gegenüber. Das macht es sehr schwierig, jetzt Rezepte für eine Lösung zu bieten. Die Krise wurde bei den Wahlen 2014 nicht überwunden. Es geht den Parteien hauptsächlich um Machterhalt, und den Personen, die agieren, nicht zuletzt auch um die Frage, was aus ihnen wird. Viele haben Angst vor Strafverfolgung (Anm. d. Red.: unter anderem durch das neue Kosovo-Sondertribunal für Kriegsverbrechen), wenn sie nicht mehr an der Macht bleiben. Insofern ist es also im Moment eine Pattsituation. Ein langer Stillstand ist zu erwarten.          

Meinen Sie, dass das Land zur Geisel alter Konflikte wird?   

Nein, das meine ich nicht. Den verschiedenen Parteien ist es nicht gelungen, sich auf eine nationale Agenda zu einigen und einen Konsens für diese Agenda herbeizuführen. Es sind in erster Linie Egoismen, die die Politiker daran hindern, an das Geschick Kosovos, seine Bürger und die Zukunft zu denken. Auf der anderen Seite, um auch etwas Positives zu erwähnen: Wir hatten den Eindruck, dass die Wahlen im Kosovo sehr fair und transparent waren. Das haben auch die Wahlbeobachter bestätigt. Die Bürger haben zum ersten Mal nicht nach Opportunität gewählt, so wie in der Vergangenheit, sondern nach ihrem Verstand und ihrem Gewissen. Das ist für uns ein Zeichen, dass die Bürger sehr viel weiter vorangekommen sind als die Politiker, die im Grunde genommen dieselben Akteure sind wie immer. Den gesellschaftlichen Wandel haben wir - Deutschland, die EU, andere Partner - mit unseren Projekten auch gestärkt.     

Erwarten Sie, dass der neue Anlauf zur Regierungsbildung im kosovarischen Parlament am Donnerstag eine Lösung der politischen Krise bringen wird?

Nein. Selbst wenn es in den nächsten Tagen oder Wochen zu einer Regierungsmehrheit kommt, sind dafür 61 Stimmen notwendig. 61 oder 62 von 120: Das wäre eine sehr instabile Regierung, wenn man berücksichtigt, dass hier oft das Quorum im Parlament nicht erreicht wird und viele Abgeordnete nicht anwesend sind. Das heißt, auch ein normales Gesetz, für das eine einfache Mehrheit nötig ist, wird kaum verabschiedet werden können.   

Botschafterin Angelika Viets (l.) mit Außenminister Sigmar Gabriel (Mitte) in Pristina Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Wie kann das Land denn aus dieser Sackgasse herausfinden?

Ich sehe es im Moment nicht, dass die Parteien, die sich jetzt zu einer Koalition zusammengefunden haben, eine langfristig stabile Regierung bilden können. Das wahrscheinlichere Szenario wird vermutlich leider eine Phase der Instabilität bis hin zu Neuwahlen sein. Das ist für unsere Agenda sehr ungünstig, aber ich fürchte, man kann diesen Prozess kaum seriös beschleunigen. Kosovo hat anders als die Nachbarländer kaum Regierungserfahrung vor 2008, es hatte nur über einige Jahrzehnte Autonomie. Jetzt entsteht ein modernes Kosovo, das ist ein schmerzhafter Prozess. Und die Kosovaren brauchen Zeit. Ich fürchte, diese Zeit müssen wir ihnen geben.

Wie sehen Sie die konkreten Folgen einer späten Regierungsbildung oder - falls es doch dazu kommt - einer schwachen Regierung für Kosovo?  

Die Implementierung von Reformprogrammen wie dem Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen wird sich weiter verzögern, genau wie die EU-Reformagenda oder andere Wirtschaftsprojekte, die die EU mit Kosovo abgeschlossen hat. Das ist sehr misslich, aber aufgrund seiner nach wie vor umstrittenen Statusfrage für einen Teil der Weltbevölkerung ist Kosovo ohnehin ein Sonderfall unter den Westbalkanstaaten. Die kosovarischen Politiker wissen, dass es unter anderem wegen der Problematik der Nicht-Anerkennung ein weiter Weg in die EU sein wird (Anm. d. Red.: 23 der 28 EU-Staaten erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo an). Deshalb ist es hier mitunter sehr schwierig, den Reformwillen aufrechtzuerhalten. Und unsere Aufgabe ist es, diesen Willen weiter zu stärken. Dafür haben wir ja auch wichtige Initiativen ergriffen als Bundesregierung - wie den Berlin-Prozess- um diese schwierige Übergangsphase zu beschleunigen und Impulse für eine stärkere regionale Zusammenarbeit und Aussöhnung zu geben.  

Was ist Ihre Botschaft an die Politik im Kosovo?

Die Politiker müssen sich über die Agenda einigen, die Kosovo und seine Bürger braucht - und ihre Partikularinteressen zurückstellen. Was den Dialog mit Serbien betrifft, so ist das eine unserer politischen Prioritäten im Kosovo. Er ist de facto seit mindestens einem Jahr zum Stillstand gekommen. Wir sehen nicht, wie er im Moment fortgesetzt werden kann. Es gibt zahlreiche Vereinbarungen, die nicht implementiert wurden. Auch jenseits davon gibt es leider eine große Asymmetrie: Wir haben auf der einen Seite den serbischen Staatschef Aleksandar Vucic, der sehr gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen ist und eine starke Partei hinter sich hat, und auf der anderen im Kosovo eine Situation, in der die Macht zwischen drei verschiedenen Lagern geteilt ist und es keinen nationalen Konsens für irgendein Thema gibt. Es ist nicht vorstellbar, dass der Dialog fortgesetzt wird, ohne dass das Parlament im Kosovo involviert ist.        

Die deutsche Diplomatin Angelika Viets ist seit 2014 Botschafterin im Kosovo.  

Das Gespräch führte Lindita Arapi.

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