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Kampf gegen AIDS: Deutsches Team findet Antikörper gegen HIV

14. Oktober 2025

Kurz vor Beginn der Europäischen AIDS-Konferenz wurde an der Uniklinik Köln ein neuer Antikörper gegen das HI-Virus entdeckt. Er kann im Labor Infektionen verhindern und Viren neutralisieren - eine neue Waffe gegen AIDS?

Computergenerierte dreidimensionale Darstellung des AIDS-auslösenden HI-Virus
Seit mehr als 40 Jahren grassiert das AIDS-auslösende HI-Virus Bild: Westend61/picture alliance

44 Millionen Tote weltweit – das ist die traurige Bilanz der Immunschwächekrankheit AIDS seit ihrem Bekanntwerden im Jahr 1981. AIDS gilt als eine der schlimmsten Epidemien, die die Menschheit bisher erlebt hat. Auch wenn die Zahl der AIDS-Toten durch Aufklärung und Prävention kontinuierlich abnahm, sterben heute immer noch Menschen an den Folgen der Krankheit. Im Jahr 2024 waren das weltweit etwa 630.000 Menschen.

Und so schürt die Entdeckung der Uniklinik Köln Hoffnung, dass eine weitere Waffe im Kampf gegen AIDS gefunden sein könnte. 

Mehr als 800 Antikörper gegen HIV getestet

Das Forschungsteam um Florian Klein, den Direktor des Instituts für Virologie, untersuchte Blutproben von 32 Personen. Sie alle sind mit HIV infiziert, haben aber von alleine, also ohne Therapie, eine besonders starke und breit wirksame Antikörperantwort gegen das Virus entwickelt.

Die Forschenden testeten im Labor mehr als 800 verschiedene Antikörper dieser Blutproben auf ihre Fähigkeit, HI-Viren zu neutralisieren. Einer unter ihnen mit dem Namen 04_A06 fiel dabei besonders auf. Der Antikörper blockiert die Stelle, mit der sich das Virus während einer Infektion an die körpereigenen Zellen bindet. Er verhindert also das Eindringen des HI-Virus in die Körperzellen. Gelangt das Virus in eine Zelle, programmiert es sie zu seiner eigenen Vermehrung um und schwächt so auf lange Sicht das Immunsystem.

Der Bauplan für Antikörper findet sich im menschlichen Immunsystem in den sogenannten B-Lymphozyten. Treffen sie auf Krankheitserreger, reifen sie zu Plasmazellen, die große Mengen an Antikörpern ausschüttet – auch 04_A06 entsteht auf diese Weise. Die Forschenden entschlüsselten den Bauplan des Antikörpers und reproduzierten ihn.

"Man muss also nicht immer wieder Patienten Blut abnehmen, sondern nutzt den genetischen Bauplan des Antikörpers. Dieser wird dann im Labor in eine Zelllinie überführt. Man nutz also eine andere Zelle und sagt ihr: Bitte produziere dieses Protein, also diesen Antikörper. So lässt sich der Antikörper in großen Mengen herstellen."

Blutanalyse zu Hause: Mittlerweile gibt es in vielen Ländern auch HIV-SelbsttestsBild: ALICE/BSIP/IMAGO

Antikörper 04_A06: zur HIV-Therapie und zur Prophylaxe

In Experimenten mit Mäusen, die Komponenten des menschlichen Immunsystems in sich trugen und mit HIV infiziert waren, konnte der besagte Antikörper 04_A06 die meisten HI-Viren vollständig neutralisiert. Insgesamt führten die Forschenden die Experimente mit fast 340 Varianten des HI-Virus durch – auch mit solchen, die bereits resistent gegen andere Antikörper waren.

"HIV besitzt eine hohe genetische Diversität, die Viren sind alle ziemlich unterschiedlich und das macht HIV auch so schwer zu behandeln", erläutert Projektleiter Florian Klein. Der nun entdeckte Antikörper habe aber 98 Prozent der getesteten Virenvarianten neutralisieren können.

04_A06 könnte also Menschen helfen, die bereits mit HIV infiziert sind. Denn er versperrt dem Virus den Zugang zur Zelle. "Er setzt sich auf das Hüllprotein des Virus. Dadurch kann das Virus die Zielzelle nicht mehr infizieren." Zudem würden die Viren mit den angedockten Antikörpern vom Immunsystem des Körpers besser erkannt und aktiv eliminiert, erklärt Klein.

04_A06 könnte aber auch präventiv wirken, um HIV-Infektionen zu verhindern. "Dann fängt der Antikörper Viren ab bevor diese Zelle infizieren und sich im Körper vermehren können."

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Bislang gibt es noch keine Impfung gegen HIV

Der neu entdeckte Antikörper könnte also als sogenannte passive Immunisierung wirken. Ein aktive Immunisierung wäre eine Impfung, durch die der Körper in die Lage gebracht wird, selbst Antikörper herzustellen. Doch die gibt es bislang noch nicht.

Zwar laufen Studien mit einem mRNA-Impfstoff. Hier soll das Immunsystem mit einem Protein der HI-Virushülle zu einer Antikörper-Antwort angeregt werden. Allerdings wurde dieses Verfahren bisher nur für eine HIV-Variante getestet. Zudem wird es laut Klein eine Herausforderung, mit einer aktiven Impfung die körpereigene Produktion von besonders potenten und breitneutralisierenden Antikörper hervorzurufen.

Derzeit werden verschiedene Medikamente als Tabletten oder auch als Spritzen prophylaktisch gegen HIV-Infektionen eingesetzt. Und das auch sehr erfolgreich. Doch die Tabletten müssen bisher meist täglich eingenommen werden. Langzeitpräparate mit Depotwirkung, etwa mit dem Wirkstoff Lenacapavir, sind zwar nach den USA nun auch in der EU zugelassen, aber noch gibt es gibt sie in der EU nicht zu kaufen. 

HIV-Prophylaxe mit Depotwirkung: Der Wirkstoff Lenacapavir ist nun auch in der EU zugelassenBild: Nardus Engelbrecht/AP/picture alliance

Die Idee hinter einer Antikörper-Prophylaxe mit 04_A06 wäre, so Florian Klein: "Dass man auf Tabletten verzichten kann, denn man hätte eine über 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, das eine Infektion verhindert wird." Die Antikörper-Prophylaxe müsste etwa alle sechs Monate genommen werden. 

Neuer HIV-Antikörper mit hoher Wirksamkeit 

Zwar wurden auch schon andere breit neutralisierende Antikörper gegen HIV entdeckt. Doch sei "04_A06 definitiv ein außerordentlich potenter Vertreter dieser Gruppe", so bewertet Alexandra Trkola, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich, den Forschungsfund aus Köln. "Theoretisch erreicht 04_A06 allein eine Wirksamkeit, die sonst nur in Antikörperkombinationen erreicht wird."

"Potent" meint in diesem Zusammenhang: Selbst wenn nur wenige Antikörper auf die infizierten Zellen gegeben wurden, entfalteten sie eine hohe Wirkung. Das wiederum ist wichtig, wenn aus der Kölner Entdeckung tatsächlich mal ein Medikament werden soll, das etwa per Spritze verabreicht wird. Denn dann lässt sich nur eine gewisse Menge verabreichen. 20 Mal zu spritzen wäre nicht nur sehr unangenehm. Das Medikament wäre dann auch sehr teuer in der Herstellung, erläutert Klein. 

Noch ein langer Weg bis zum AIDS-Medikament

Doch bis aus 04_A06 ein Medikament wird, dürfte es noch eine Weile dauern, meint Christoph Spinner, Leiter der Infektiologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Denn bei der Kölner Studie handle es sich eben bisher nur um Labordaten, "sodass die Wirksamkeit nicht direkt in das echte Leben übertragen werden kann." Nun müssten weitere Studien zu Dosierung,  Verträglichkeit und Wirksamkeit des Antikörpers folgen.

Auch Alexandra Trkola betont: "Ob sich der Antikörper auch im klinischen Einsatz bewähren wird, lässt sich jetzt noch nicht vorhersagen." Aber: "Die Vorzeichen sind auf jeden Fall vielversprechend."

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima, Umwelt und Wissenschaft
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