Die Deutsche Grammophon, das älteste Klassik-Label der Welt, feiert sein Jubiläum. Ein Rückblick auf zwölf Jahrzehnte Klassik- und Musikgeschichte.
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Die Künstler des gelben Labels
Eine Auswahl der vielen klassischen Musiker zu treffen, deren Aufführungen von der Deutschen Grammophon Gesellschaft (DG) aufgenommen und produziert wurden, ist schier unmöglich. Wir wagen dennoch den Versuch.
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Herbert von Karajan
Über 50 Jahre lang arbeitete Karajan mit dem "gelben Label" zusammen. Ganze vier Mal nahm er alle neun Beethoven-Sinfonien auf, aber auch unzählige andere Werke. Auf der offiziellen Karajan-Website wird eine Zahl genannt: 1279 Aufnahmen. Mustergültige, nach Perfektion strebende Interpretationen und eine großes Interesse an der Technik waren Karajans Markenzeichen.
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Ferenc Fricsay
Als Chefdirigent beim Radio-Sinfonie-Orchester Berlin war er maßgeblich am Wiederaufbau des Musiklebens im Nachkriegsdeutschland beteiligt. Der 1914 in Budapest geborene Dirigent war besonders für seine Mozart-Aufführungen geschätzt, die von Drama, Wärme und Inbrunst geprägt waren. 1948 unterschrieb er einen Exklusivvertrag mit der DG und hat nie für ein anderes Label aufgenommen.
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Dietrich Fischer-Dieskau
Er leitete eine Renaissance des Kunstliedes ein und nahm alle Lieder von Franz Schubert und hunderte mehr auf. Seine Aufnahmetätigkeit scheint sogar fast enzyklopädisch. Mit seinen intellektuell geprägten Interpretationen, perfekter Gesangstechnik und klarer Sinnvermittlung prägte er einen Gesangsstil so nachhaltig, dass jeder Liedersänger heute seinen Einfluss zeigt.
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Leonard Bernstein
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben viele jüdische Künstler der Firma jahrzehntelang fern; Bernstein war einer der ersten, der mit dem ungeschrieben Gesetz brach. Ab Ende der 70er-Jahre war er mit der DG verbunden und war danach Exklusivkünstler. Vor allem seine späteren Jahre mit den Wiener Philharmonikern wurden auf Tonträgern dokumentiert.
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Anne-Sophie Mutter
40 Jahre – ein Drittel der Firmengeschichte der DG – ist die Geigerin mittlerweile mit dem Label verbunden. Damals als 13-Jährige vom Dirigenten Herbert von Karajan entdeckt, kam ihr erstes Album 1978 heraus: Mozarts Violinkonzerte mit Karajan und den Berliner Philharmonikern. Seitdem entstanden weitere 46 Aufnahmen mit mehr als 140 Werken.
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Maurizio Pollini
1960 nahm DG den italienischen Pianisten zum ersten Mal auf, 2020 werden es 60 Jahre Zusammenarbeit zwischen Label und Künstler sein. Pollini schätzt vor allem die Firmenpolitik des "gelben Labels", jenseits Marktstrategien auch weniger bekannte, jedoch wichtige Werke herauszugeben.
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Gustavo Dudamel
"Seit meiner Kindheit in Barquisimeto gehört die DG zu meiner DNA", sagt der Venezolaner. Die Künstler auf den Aufnahmen haben ihm eine Welt jenseits seiner Heimatstadt erschlossen, "die so groß ist wie die Vorstellungskraft selbst". Als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra gehört Dudamel zu den jungen Hoffnungsträgern der Klassikwelt.
Wie bei allen Dirigenten seiner Generation gehörten die Aufnahmen der DG zu den prägenden Einflüssen in seiner Jugend. Der lettische Dirigent leitet zwei wichtige Weltorchester und macht mit jedem ein großes Projekt: mit dem Boston Symphony Orchestra nimmt er einen Zyklus der Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch auf und mit dem Gewandhausorchester Leipzig alle Sinfonien Anton Bruckners.
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Yannick Nézet-Séguin
Der erst 43-jährige kanadische Maestro hat bereits Aufnahmen mit verschiedenen Orchestern gemacht, nun beginnt eine neue Ära: Als zukünftiger Chefdirigent der Metropolitan Opera in New York wird "Yannick" möglicherweise jahrzehntelang Aufführungen leiten, die auf Tonträger gebannt werden.
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Lang Lang
Dass es zehn Millionen junger Chinesen und Chinesinnen gibt, die heute Klavierunterricht nehmen, ist auch diesem Pianisten zuzuschreiben. Bei der DG schätzt er die "einmalige Synergie zwischen Traditionellem und Neuem".
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Daniil Trifonov
"Fraglos der erstaunlichste Pianist unserer Zeit" nennt ihn die Londoner "Times". Wegen seiner einmaligen, nie vorhersehbaren Interpretationen genießt der 27-jährige Russe Kultstatus. Sein Premierenalbum im Jahr 2013 war eine Live-Aufnahme aus der Carnegie Hall. In einer Folgeaufnahme zwei Jahre später ist ein von Trifonov selbst komponiertes Werk mit dem Namen "Rachmaniana" zu hören.
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Anna Netrebko
Während ihrer Kindheit in Russland spielten Schallplattenaufnahmen aus dem Westen keine allzu wichtige Rolle. In der Ausbildung von Sängerinnen und Profimusikern aber schon. Kein nennenswerter Klassik-Künstler, keine wichtige Künstlerin bleibt von den auf Tonträgern festgehaltenen Aufnahmen ihrer Vorgänger unbeeinflusst.
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Im Dezember 1898 in Hannover gegründet, ist die Plattenfirma Deutsche Grammophon Gesellschaft (DG) so alt wie die Aufnahmetechnik selbst. Dahinter standen Emil Berliner - der in Hannover geborene, US-amerikanische Erfinder der Schellack-Scheibe und des Abspielgeräts - und dessen Bruder Josef. Berliners Scheibe war eine Weiterentwicklung der Walze Thomas Edisons.
Schon 1902 entstanden erste Aufnahmen mit dem großen italienischen Tenor Enrico Caruso. Viele andere folgten. Bis 1907 hatte die Schallplattenfabrik in Hannover 200 Pressmaschinen.
Viele Namen, eine Tradition
In den Jahrzehnten danach standen viele Namen mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft in Verbindung: die Grammophone Company, Polydor, Siemens & Halske, Telefunken, Archiv Produktionen, Polygram. Mit einigen war die Firma affiliert, andere hat sie gegründet, in anderen ist sie aufgegangen. Heute gehört die Deutsche Grammophon zur Universal Music Group, aber der Firmenname ist ebenso geblieben wie die langjährigen Beziehungen mit den Künstlern.
1913 gab es die erste vollständige Aufnahme eines Orchesterwerks: Ludwig van Beethovens Fünfte Sinfonie wurde auf vier doppelseitigen Scheiben herausgegeben; Arthur Nikisch leitete die Berliner Philharmoniker.
Zwei Weltkriege bedeuteten auch zwei herbe Einbrüche in der Firmengeschichte. Im Ersten Weltkrieg wurden Exportartikel aus Deutschland - auch Tonaufnahmen - von den Alliierten boykottiert. Vor dem Zweiten Weltkrieg trieben die Nationalsozialisten den Prozess der "Arisierung" voran. Jüdische und andere "nicht-arische" Künstler wurden vertrieben, viele ihrer Tondokumente zerstört: ein unwiederbringlicher Verlust für die Musikgeschichte.
Man geht mit der Zeit
Erst in der Nachkriegszeit kam das gelbe Label. Die DG musste sich neu erfinden, und bald stand sie für die größten Namen der Klassikwelt: die Dirigenten Herbert von Karajan, Karl Böhm und Wilhelm Furtwängler oder den Sänger Dietrich Fischer-Dieskau. Auch ihre Barock-Aufnahmen der Reihe "Archiv Produktion" waren weltweit geschätzt.
Zu einem großen Aufschwung trug die Erfindung der Compact Disc Anfang der 1980er-Jahre bei. Nach einer Marktsättigung waren Konsumenten plötzlich von der neuen Technik fasziniert, viele ältere Aufnahmen wurden digital remastert.
Im digitalen Zeitalter geht die Firma mit der Zeit und bietet Aufnahmen auf Streaming-Plattformen von Spotify über Apple Music bis Amazon. Jedoch macht die DG noch immer 80 Prozent ihres Umsatzes im Klassikbereich in Form von Tonträgern, nur 20 Prozent mit digitalen Verbreitungswegen - zumindest in Deutschland. In den USA werden inzwischen 55 Prozent der Klassikaufnahmen digital vertrieben.
Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon, sieht "im Internetzeitalter mit seiner verwirrenden Vielfalt an Musikerlebnissen eine Sehnsucht nach Wertebestand und Orientierung - und das führt zu einer Klassik-Renaissance." Das schließt neue Genres oder Vermittlungswege nicht aus, darunter die von der Firma geförderte Neo-Klassik oder die "Klassik-Lounge", in der seriöse Künstler in einem ungezwungenen Club-Ambiente auftreten. Oft wird das Event dann via Livestream gesendet.
Allgemein, sagt Trautman, gehe der Trend am Klassikmarkt heute hin zu individuellen und einzigartigen Interpretationen - und die Grenzen zwischen den Medien seien flüssiger geworden. Dabei vermitteln Musiker ihre Kunst oft über mehrere Medienkanäle bis hin zu den Sozialen Medien.
Das "gelbe Label" feiert sein 120. Jubiläum mit einer einjährigen weltweiten Konzertreihe. Den Auftakt bildete eine Gala am 10. Oktober 2018 in Pekings Verbotener Stadt. Jubiläumskonzerte finden am 6. und am 7. Dezember in Seoul statt, und die Reihe setzt sich dann im neuen Jahr fort, unter anderen am 19. Januar in Hamburg, am 9. April in Hannover und am 1. Mai in London.