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Industrieproduktion im Rückwärtsgang

7. Juli 2023

Die Produktion im produzierenden Gewerbe ist im Mai zwar nur leicht zurückgegangen. Ökonomen warnen trotzdem vor schwierigen Jahren für Deutschland und fordern eine aggressive Standortpolitik.

Motoren-Montage bei Rolls Royce Power Systems in Friedrichshafen am Bodensee
Motoren-Montage bei Rolls Royce Power Systems in Friedrichshafen am BodenseeBild: Felix Kästle/dpa/picture alliance

Nach einem unerwarteten Minus der Industrieproduktion im Mai wird ein rasches Ende der Konjunkturflaute in Deutschland unwahrscheinlicher. Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 0,2 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einer Stagnation gerechnet. Im April gab es noch ein Wachstum von 0,3 Prozent, das auf einen deutlichen Rückgang im März von 2,1 Prozent folgte.

"Es lässt sich nicht leugnen, dass der Konjunkturmotor weiterhin untertourig läuft", sagte LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch. "Vielleicht sehen wir im zweiten Quartal gerade noch eine Stagnation, viel eher aber einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung."

Stark negativ beeinflusst wurde das Gesamtergebnis von der Herstellung pharmazeutischer Produkte mit einem Minus von 13,1 Prozent sowie von der Energieerzeugung mit einem Rückgang um 7,0 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Bei Kraftfahrzeugen (Kfz) und Kfz-Teilen gab es hingegen ein Plus von 4,9 Prozent.

Die reine Industrieproduktion, zu der nicht das Baugewerbe und die Energieproduktion zählen, stieg den Angaben zufolge im Mai leicht um 0,2 Prozent. In den besonders energieintensiven Industriezweigen sank die Produktion um deutliche 1,4 Prozent im Monatsvergleich und um 12,4 Prozent im Jahresvergleich. Das Baugewerbe ging um 0,4 Prozent im Monatsvergleich zurück.

Trotz der "eingetrübten Stimmung in den Unternehmen" deute die jüngste Stabilisierung der Nachfrage auf eine moderate Erholung der Industriekonjunktur in den kommenden Monaten hin, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium zu den jüngsten Zahlen. Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, erklärte hingegen, die Zahlen unterstrichen die derzeit "schwierige Situation der deutschen Industrie" und eine "durchgreifende Erholung" sei noch nicht in Sicht.

Energiewende: Gut fürs Klima, belastend für die Industrienation? Bild: Georges Schneider/photonews.at/IMAGO

Aggressive Standortpolitik gefordert

"Die Hängepartie in der Industrie hält an, der Produktionsstand bleibt niedrig. Materialengpässe haben zwar deutlich abgenommen, die Nachfrage kommt aber nur schlapp daher", kommentierte Alexander Krüger, die Daten. Wegen der schlechten Stimmung sehe es weiterhin nicht nach einer Trendwende aus, so der Chefvolkswirt der Bank Hauck Aufhäuser Lampe. "Unternehmen beschäftigen sich wegen teurer Energie auch vermehrt mit Produktionsverlagerungen ins Ausland. Letztlich bleibt der Produktionsausblick für das zweite Halbjahr stark getrübt. Für eine Trendumkehr bedarf es längst auch einer aggressiven Standortpolitik."

Sein Kollege Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt, verweist auf eine "toxische Kombination" aus abgeschwächten Produktionserwartungen und dünneren Auftragsbüchern im Mai, "die in den kommenden Monaten weitere Enttäuschungen in der Industrie erwarten lässt". 

Der Optimismus zu Beginn des Jahres scheine einem größeren Realitätssinn gewichen zu sein, so Brzeski. "Und als ob das nicht genug wäre, werden die bekannten strukturellen Faktoren wie der anhaltende Krieg in der Ukraine, der demografische Wandel und die aktuelle Energiewende die deutsche Wirtschaft auch in den kommenden Jahren belasten." Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes habe sich bereits in den letzten Jahren verschlechtert und "wird sich wahrscheinlich weiter verschlechtern."

Spricht Klartext: Ifo-Präsident Clemens FuestBild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

"Leider kein Wirtschaftswunder"

Ähnlich sieht das Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts: "Die kommenden Jahre werden schwierig. Es spricht viel dafür, dass wir eine Phase mageren Wachstums erleben. Tatsächlich haben wir für die Transformation nicht die beste Dekade ausgesucht, eine vorher wäre es leichter gewesen. Die ökologische Transformation haben zwar alle Volkswirtschaften zu stemmen. Aber wir leisten uns darüber hinaus auch noch den Ausstieg aus der Atomenergie, und die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Gürtel enger schnallen ist angesagt".

Es werde leider kein Wirtschaftswunder geben, spricht Fuest in einem aktuellen Interview mit dem Handelsblatt weiter Klartext, "sondern eher etwas in Richtung Schweiß und Tränen. Da sollten wir uns nichts vormachen." Anders als in der 1950er- und 60er-Jahren würden durch die Klimatransformation keine zusätzlichen Produktionskapazitäten geschaffen, so der Ifo-Chef. Es werde stattdessen im günstigsten Fall "ein alter Kapitalstock durch einen neuen ersetzt. Das ist erst mal vor allem teuer. Wer funktionierende Atommeiler, Kohlekraftwerke und Heizungsanlagen ersetzt, schafft dadurch allein nicht mehr Wachstum. Schon gar nicht, wenn der neue Kapitalstock schlechtere Dienste leistet als der alte", bringt es der Ifo-Chef auf den Punkt.

tko/hb (rtr, afp)

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