1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Islampolitik auf dem Prüfstand der neuen Regierung

10. Juli 2025

Wird es auch in dieser Legislaturperiode eine Deutsche Islam Konferenz geben? In welcher Form? Ein Vertreter der Bundesregierung kündigt Veränderungen an.

Im Vordergrund der Minarette der Sehitlik-Moschee weht eine deutsche Fahne (Archivbild von 2006)
Die Sehitlik-Moschee in Berlin: Viele Experten vertreten die Meinung, dass die deutsche Islampolitik gescheitert ist.Bild: Stefan Trappe/IMAGO

"Ich teile die Feststellung, dass die Islam-Politik der letzten 20 Jahre gescheitert ist und wir dringend den Hebel umstellen müssen." Mit einem Satz räumt Christoph de Vries, CDU-Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär beim Bundesinnenminister, zwei Jahrzehnte der Deutschen Islam Konferenz (DIK) ab.

Zu de Vries' Fachgebiet gehört die Extremismusbekämpfung. Gut 60 Tage nach der Regierungsbildung kam er zu einem Workshop des "Arbeitskreis Politischer Islam" (Polis) mit dem Thema "Bekämpfung des politischen Islam". Der Ende 2024 gegründete Arbeitskreis versteht sich als "parteiübergreifendes und weltanschaulich plurales Netzwerk" und will über die "Bedrohungen durch den 'Politischen Islam' aufklären".

In der liberalen Ibn Rushd Moschee in Berlin: Seyran Ates (l.) und Staatssekretär Christoph de Vries Bild: Christoph Strack/DW

Da geht es um Einfluss auf das gesellschaftliche Leben, Hass auf Schwule, Druck auf Frauen, um Antisemitismus, auch um islamistische Attacken bis hin zu Terror. Beteiligt waren unter anderen die Initiatorin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ates, und der Zentralrat der Konfessionsfreien.

Das Zögern des Staatssekretärs 

Er habe, sagte de Vries zu Beginn, einen "kleinen Moment" gezögert, ob er der Einladung folgen solle - "weil Sie wahnsinnig schnell sind". Der Arbeitskreis hatte im Januar deutliche Erwartungen an eine künftige Bundesregierung vorgelegt - und drängt jetzt auf Tempo. Dabei geht es um ein Thema, das viele auch direkt betrifft. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration von 2021 leben bis zu 5,6 Millionen Muslime in Deutschland. De Vries sprach von 4,5 Millionen bis fünf Millionen. Genaue Zahlen gibt es nicht. 

Die erste Deutsche Islam Konferenz kam im September 2006 zur ersten Sitzung im Berliner Schloss Charlottenburg zusammen Bild: epd/IMAGO

In den vergangenen 20 Jahren, seit Beginn der Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, gab es stets als Großthema die "Deutsche Islam Konferenz" (DIK). Und es dauerte nach einer Regierungsbildung stets einige Monate, bis das Thema Islam in den Blick rückte. Als der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die DIK Ende September 2006 erstmals eröffnete, lag die Bundestagswahl schon gut ein Jahr zurück.

Damals wollte Schäubles Ministerium die in Deutschland lebenden Muslime "religions- und gesellschaftspolitisch besser integrieren". Noch vor Beginn gab es harte Kontroversen zwischen den in Deutschland bestehenden Islam-Verbänden, die einen deutlich konservativen Islam vertreten, und den Kritikern dieser Verbände. Damals saßen zum Auftakt neben fünf Verbandsvertretern auch Einzelpersönlichkeiten wie Seyran Ates, wie der Schriftsteller Feridun Zaimoglu und der Orientalist und Publizist Navid Kermani. Immer wurde auch intern gestritten.

November 2023: Die Imamin Seyran Ates mit dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff bei einer DIK-Fachtagung in BerlinBild: Christian Ditsch/epd-bild/picture alliance

Seitdem trudelte die DIK irgendwie durch das politische Geschäft, knapp 20 Jahre lang. Nach 2017 taucht sie nicht einmal mehr in den Koalitionsverträgen auf. Ein einziges Mal, im Jahr 2009, gab es dort mehr als eine Erwähnung. Da waren es zwei würdigende Sätze mit der Ankündigung, "die DIK als wichtigstes Forum zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen fortsetzen" zu wollen. Eine Formulierung, die heute undenkbar wäre.

Islam und Islamismus

Im jüngsten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD findet sich keine Erwähnung. Drei Mal ist in dem Papier vom Wortfeld "Islam" die Rede. Aber immer geht es dabei um Islamismus oder islamistische Gefahren. Doch fest angekündigt ist, dass die Koalition die "Task Force Islamismusprävention" zu einem "ständigen Gremium im Bundesinnenministerium" entwickeln wolle. In den aktuellen Debatten geht es nur noch selten um Themen wie die Seelsorge an Muslimen - beispielsweise in Krankenhäusern oder bei der Bundeswehr - oder um die konkrete Gestalt eines "deutschen Islam". Heute dominieren Aspekte der inneren Sicherheit, auch der Abgrenzung.

Staatssekretär de Vries bewertete Islamismus als "ernsthafte große Bedrohung". Das könne man beispielsweise bei Demonstrationen in Berlin oder in seiner Heimatstadt Hamburg sehen, bei denen ausdrücklich für ein "Kalifat" in Deutschland geworben werde. Islamistische Ideologien, sagte er, "greifen in unsere demokratische Kultur ein. Es werden soziale Räume unterwandert, individuelle Freiheitsräume unterdrückt, insbesondere für Frauen und Mädchen".

Demo von Islamisten im April 2024 in HamburgBild: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Langfristig, so der Politiker, gehe es um eine Gesellschaftsordnung, "die mit unseren Grundwerten unvereinbar ist". Dem müsse der Staat konsequent entgegenwirken, "und zwar auf allen Ebenen". Es gehe "um ideologische Vorfeldstrategien" und "gezielte Einflussnahme unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit".

Darauf folgte breite Zustimmung im Saal. Im Idealfall, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien, Philipp Möller, sei das gemeinsame Handeln von Bund und Ländern "nicht weniger als der Anfang vom Ende des politischen Islam in Deutschland".

"Die DIK hat nicht geholfen, überhaupt nicht", sagte ein Teilnehmer. Eine andere mahnte, man müsse Islampolitik "völlig neu denken". Eine terre-de-femmes-Vertreterin berichtete detailliert über neuere Umfragen zum - wohl zunehmenden - Tragen des Kopftuchs schon bei Kindern und entsprechendem Druck auf die Mädchen. Ein Muslim, der vor einer Reihe von Jahren aus Mauretanien nach Deutschland kam, erzählte, er sei vor Islamisten geflohen und begegne nun einem konservativen Islam.

Der Streit ums Kopftuch

Die Erwartungen klangen nach politischer Schärfe. Aber Seyran Ates wendete sich vehement gegen die Vorstellung, dass Islamkritiker der in Teilen rechtsextremen AfD näherstünden. "Jeder Extremismus ist ein Problem", sagte sie.

De Vries bekam Zuspruch von einem Berliner CDU-Landespolitiker, der Überlegungen aus seinem Senat zum muslimischen Kopftuch kritisierte und dann ausdrücklich betonte, er äußere sich nur als Kreisvorsitzender, nicht als Staatssekretär.

Als dann der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft "Säkulare Grüne" entschieden ein Vorgehen gegen islamistische Strömungen begrüßte, nahm de Vries den Ball gern auf. Jahrelang sei er in Hamburg "gerade bei den Grünen" kritisiert worden, weil er und seine Partei sich gegen das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) engagierten, das mittlerweile wegen islamistischer Propaganda und Nähe zum Iran verboten wurde.  

Sitzung der Deutschen Islam Konferenz 2009 im "Hamburger Bahnhof" in BerlinBild: AP

Also keine Deutsche Islam Konferenz mehr? Trotz mancher Äußerung aus dem Saal stimmte de Vries nicht explizit ein. Eine Zusammenarbeit, so der CDU-Politiker, solle aber "nicht so wie bisher" laufen. Der Staat brauche kein Format, um mit Verbänden im Gespräch zu bleiben.

Er würde sich stattdessen "eine andere Repräsentanz der Muslime in Deutschland wünschen". Ziel sei eine "Zusammenarbeit auf Augenhöhe", bei der man auch Probleme wie den verbreiteten Antisemitismus ansprechen könne.

Dann wird der Staatssekretär konkret. Es könne "keine Zusammenarbeit geben" mit Vereinen und Verbänden, "die aus dem Ausland gesteuert und finanziert werden" oder die von den Verfassungsschutzämtern in Deutschland beobachtet würden.

Er erläuterte dann aber nicht, was das zum Beispiel für einen Austausch mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) heißt, die nach Schätzungen in Deutschland gut 900 Moscheen betreibt. Kritikern gelten diese Gemeinden als verlängerter Arm des türkischen Präsidenten.

Staatssekretär Christoph de Vries, Lala Süsskind, Seyran Ates und Philipp Möller (v.l.n.r.)Bild: Arbeitskreis politischer Islam (polis)

Für ihn, so de Vries, sei der "Arbeitskreis politischer Islam" für die neue Aufstellung der Zusammenarbeit "ein Leuchtturm".

Das Schlusswort hatte Lala Süsskind, die von 2008 bis 2012 den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde in Berlin innehatte und heute im interreligiösen Dialog engagiert ist. Sie wandte sich lächelnd und ernst an den Staatssekretär: Vor dem politischen Islam habe bisher die Bundesregierung, sagte sie, "leider Gottes - Sie inklusive - die Augen verschlossen".

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen