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Vatikanumfrage

Günther Birkenstock4. Februar 2014

Deutsche Katholiken halten die Sexualmoral ihrer Kirche für lebensfern. Das zeigt eine Umfrage, die der Papst weltweit an Gläubige verteilen ließ. Das Echo aus Deutschland ist überwiegend positiv.

Herbstvollversammlung Deutsche Bischofskonferenz
Bild: picture-alliance/dpa

Der Vatikan hatte im vergangenen Herbst einen Fragebogen zu Ehe, Familie und Sexualmoral zusammengestellt, um damit eine außerordentliche Bischofssynode vom 5. bis 19. Oktober 2014 zum Thema Familie in Rom vorzubereiten. In ihrem Bericht, der zur weiteren Vorbereitung der Synode in die Beratungen einfließen soll, haben die deutschen Bischöfe rund 1.000 Seiten Rückmeldungen aus den Diözesen, katholischen Einrichtungen und von Einzelpersonen zusammengefasst.

Das Ergebnis ist eindeutig. Die kirchlichen Aussagen zu Geschlechtsverkehr vor der Ehe, Homosexualität, zur Wiederverheiratung Geschiedener und zur Geburtenregelung fänden bei den Gläubigen "kaum Akzeptanz" oder würden "überwiegend explizit abgelehnt", bilanzierte die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem am Montag (03.02.2014) veröffentlichten Bericht zur kirchlichen Sexuallehre. "Die Antworten verpflichten uns dazu in einem hohen Maß", schreibt der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, in einem am Dienstag vorab veröffentlichten Beitrag für seine Mainzer Bistumszeitung "Glaube und Leben".

Der Religionssoziologe Detlef Pollack rät der katholischen Kirche, ihrer Umfrage zur Sexualmoral unter den Gläubigen keine zu große Bedeutung beizumessen. "Wenn die Kirche sich davon abhängig macht, was Mehrheitsmeinung ist, gibt sie Theologie und Offenbarung als eigene Erkenntnisquelle preis", sagte der Münsteraner Forscher dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Neuausrichtung kirchlichen Handelns müsse letztlich aus theologischen Überlegungen kommen. "Der Widerspruch zwischen Lehre und Leben ist in der katholischen Kirche ja mit Händen zu greifen", sagte Pollack. "Aber aus dieser Diagnose folgt keineswegs, dass die Kirche ihre Vorgaben an das Verhalten der Menschen anpassen müsste."

Gebote wollen Werte erhalten

Für Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Erzbistum Köln, ist die Tatsache, dass der Vatikan den Fragebogen überhaupt zusammengestellt und verschickt hat, "ein großer Fortschritt an Kommunikation." Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte Bosbach, "Da fängt Papst Franziskus an, deutlich zu machen, dass es in der Verkündigung des Evangeliums erstmal nicht darum geht, Gesetze, Verbote und Gebote zu verkünden, sondern das Schöne, was darin steckt, aufscheinen zu lassen." Dadurch könne man vielleicht auch zu manchem Gebot einen neuen Zugang bekommen und seinen Sinn besser verstehen." Bei den Geboten der Kirchenlehre würden viele denken, die Katholische Kirche wolle den Menschen den Spaß am Sex verbieten. Darum gehe es nicht, sondern darum, das Schöne und Wertvolle am Sex zu schützen. Es sei wichtig, die Dinge bewusst zu tun und sich und andere nicht zu verletzen.

Bosbach: Gebote haben auch etwas WertvollesBild: Erzbistum Köln

Kirchenvolk kritisiert Verbote

Magnus Lux vom Bundesvorstand der Laienorganisation "Wir sind Kirche" sieht das deutlich anders. "Man kann zwar davon ausgehen, dass in diesem Papier die Grundmeinung vorherrscht, dass die kirchliche Lehre einfach nur deutlicher vorgetragen werden müsste und die Gläubigen sich darauf einlassen sollen. Aber das ist so nicht der Fall." Die Umfrage, so Lux im DW-Interview, mache vielmehr deutlich, dass die Menschen in Partnerschaft, in Ehe und Familie, sehr wohl Treue und Verlässlichkeit und christliche Wertevermittlung wollten. Zugleich würden aber Verbote, Ablehnung und Ausgrenzung nicht mehr akzeptiert. Letztlich zeigten die Antworten, "dass die Gläubigen die christliche Botschaft vielleicht deutlicher verstanden haben, als es manche Gebote und Vorschriften zum Ausdruck bringen."

Lux: Wir brauchen andere KirchengesetzeBild: Wir sind Kirche-Bundesteam

Es sei wichtig, so Lux, dass man die Kirchenlehre, die historisch gewachsen ist, aber auf biologischen Irrtümern beruhe, nicht mit unnachgiebiger Härte vertrete, sondern "dass man sie mit unverstelltem Blick auf die christliche Botschaft revidiert." Wenn dieses Papier nicht zu Konsequenzen führe, werde das Kirchenvolk vollends das Vertrauen in die Institution Kirche verlieren, warnt Magnus Lux. Er plädiert für klare gesetzliche Änderungen. "Wir brauchen nicht nur Barmherzigkeit, sondern festgelegte Gerechtigkeit", so Lux, "das entspricht der Würde des Menschen." Die Kirchenlehre müsse der biblischen Lehre angepasst werden, nicht umgekehrt.

Jetzt können wir jungen Katholiken besser Orientierung geben

Dirk Tänzler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Katholischer Jugend, BDKJ, sagte der DW: "Wer mit offenen Augen in der Welt unterwegs war, und wer mit jungen Menschen in Gesprächen war und wahrgenommen hat, wie sie leben, den überraschen diese Ergebnisse nicht." Es gebe eine große Diskrepanz zwischen der Lebenswirklichkeit und der kirchlichen Lehre. Das Papier verkünde zwar nichts Neues, so Tänzler. Aber es sei gut, dass dies jetzt noch mal schwarz auf weiß zu lesen sei. Damit könnten nunmehr alle - Rom, die deutschen Bischöfe und auch der BDKJ - mit der Realität besser umgehen. Jungen Menschen lasse sich jetzt klarer Orientierung geben. Außerdem müsse die kirchliche Lehrmeinung weiterentwickelt werden. Der BDKJ hatte die Vatikan-Umfrage mit einer Online-Befragung begleitet. Die Fragen wurden in eine "junge Sprache" übersetzt. Innerhalb von drei Wochen bekam die katholische Jugendorganisation rund 10.000 Antworten, die in die Veröffentlichung der Bischofskonferenz eingeflossen sind.

Dirk Tänzler: Die Ergebnisse der Umfrage sind nicht neuBild: BDKJ-Bundesstelle/Udo Geisler

EKD lobt die Vatikan-Initiative

Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD, hält den Vorstoß des Vatikan und die Antworten der Gläubigen für ausgesprochen mutig. Im DW-Interview sagte er: "Zu fragen, was die Leute denken, das ist ja im Grunde schon etwas, was von der dogmatischen Festlegung wegführt zu dem, was die Menschen bewegt." Die evangelische Kirche mache das in ähnlicher Weise mit eigenen Untersuchungen seit vielen Jahren. Allerdings, so betont Gundlach, sei das Ergebnis der Vatikan-Umfrage nicht in erster Linie Kritik, sondern erstmal eine Feststellung, dass das, was die meisten Gläubigen leben, nichts mit dem zu tun habe, was die Kirchenleitung vertrete. "Jetzt geht es darum, wie das umgesetzt wird. Wie lässt man sich anregen, was kann man davon übernehmen?"

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