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Deutsche Liberale auf Profilsuche

12. November 2011

Angela Merkels Koalitionspartnerin, die FDP, steckt im Umfrage- und Stimmungstief. Ein außerordentlicher Parteitag an diesem Wochenende soll die Liberalen nun wieder auf Kurs bringen. Das Manöver könnte aber misslingen.

Abstimmung bei einem FDP-Parteitag (Foto: AP)
Bild: AP

Noch vor wenigen Monaten hätte der bevorstehende außerordentliche FDP-Parteitag in Frankfurt am Main (12. und 13.11.2011) nur wenig Aufmerksamkeit geweckt. Er findet nämlich nur deshalb statt, weil beim Wahl-Konvent im Mai Anträge zum Thema Bildung aus zeitlichen Gründen nicht mehr behandelt werden konnten. Die Delegierten werden sich beeilen müssen, um Versäumtes nachzuholen. Denn für Bildung sind am Ende des Parteitags gerade einmal fünf Stunden vorgesehen. Vorher werden sich die Delegierten hauptsächlich der Frage widmen, wie es mit der kriselnden FDP weitergehen soll.

Deutliche Worte: Dirk NiebelBild: DW-TV

Eine überzeugende Antwort wird vom Parteivorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler erwartet. Für seine Rede und die anschließende Aussprache sind mehr als sieben Stunden eingeplant. Das könnte immer noch zu wenig sein, um den schlechten Eindruck zu korrigieren, den die FDP in der Öffentlichkeit erweckt, aber auch in den eigenen Reihen. Entwicklungsminister Dirk Niebel beklagte kürzlich in der "Rheinischen Post", man sei als Bürgerbewegung in die Regierung gestartet und als "Angestellte von Angela Merkel" gelandet. Drastischer als der frühere FDP-Generalsekretär hat noch niemand die liberale Bilanz nach zwei Jahren Koalition auf den Punkt gebracht.

Kleiner Durchbruch!?

Geradezu verzweifelt ringen die Liberalen um mehr Einfluss. Auf der Suche nach einem schärferen Profil glückte ihnen eine Woche vor dem Parteitag ein erster kleiner Durchbruch – jedenfalls sehen sie das selbst so. Bei einem Koalitionsgipfel in Berlin setzte Parteichef Rösler gegen Bedenken in Kanzlerin Merkels CDU Steuersenkungen durch, obwohl die Staatsverschuldung in Deutschland noch immer wächst. Um rund sechs Milliarden Euro soll die Bevölkerung von 2013 an entlastet werden.

Im selben Jahr finden Bundestagswahlen statt. Und die Liberalen wissen, dass sie auf keinen Fall auch nur in die Nähe ihres 2009 erzielten historisch besten Ergebnisses von knapp 15 Prozent gelangen werden. Seitdem ist die FDP auf Umfragewerte von unter fünf Prozent gestürzt und würde bei vorgezogenen Neuwahlen wohl in der außerparlamentarischen Opposition landen. Daran dürfte die um ihre Macht bangende Angela Merkel kein Interesse haben. Nur deshalb akzeptierte sie die von der FDP geforderte Steuersenkung.

Parteichef Rösler setzt Steuersenkungen durch

Hat alle Hände voll zu tun: FDP-Chef Philipp RöslerBild: dapd

Rösler kann nun behaupten, die FDP habe ein zentrales Wahlversprechen erfüllt: nämlich die Steuern zu senken. Als der 38-Jährige im Mai 2011 den Parteivorsitz von Außenminister Guido Westerwelle übernahm, versprach er, die FDP werde ab sofort "liefern". Damit sind in der Politikersprache messbare Ergebnisse gemeint. Doch schnell wurde deutlich, dass der Bundeskanzlerin den Mund zu voll genommen hatte. In den ersten sechs Monaten als FDP-Chef musste Rösler zahlreiche Niederlagen bei Landtagswahlen verkraften. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um als Juniorpartner in der Bundesregierung selbstbewusst aufzutreten.

Vor diesem Hintergrund werden die Liberalen der CDU dankbar sein, dass sie ihnen ein zweites Thema beschert hat, mit dem sich aus ihrer Sicht kurzfristig punkten lässt. Denn plötzlich können sich auch Angela Merkels Konservative einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn vorstellen, wie ihn Gewerkschaften, Sozialdemokraten, Grüne und Linke schon seit langem fordern. Die FDP will bei dieser Frage standhaft bleiben. Ein flächendeckender Mindestlohn sei ein Anschlag auf die Tarifautonomie und vernichte Arbeitsplätze statt neue zu schaffen, lautet die Begründung.

Kritik am Kurs der Kanzlerin

Dass Angela Merkel den von ihr stets abgelehnten Mindestlohn auf einmal gut findet, interpretieren liberale Politiker als Führungsschwäche der Kanzlerin. "Es fehlt häufig der Kompass", kritisierte der stellvertretende Ministerpräsident des wirtschaftlich starken Bundeslandes Hessen, Jörg-Uwe Hahn, den Meinungsumschwung der deutschen Regierungschefin. Hahns in der "Wetzlaer Neuen Zeitung" erhobener Vorwurf wird auch auf dem außerordentlichen Bundesparteitag der FDP eine Rolle spielen. Denn das Thema Mindestlohn gehörte zu den wenigen Punkten, bei denen sich die chronisch zerstrittene Koalition zuletzt noch einig war.

Kritiker Hahn persönlich bietet sich die Gelegenheit, der Kanzlerin erneut die Leviten zu lesen. Denn als Vorsitzender der gastgebenden FDP Hessens wird er zum Auftakt des Parteitags ein Grußwort sprechen und dabei sicherlich nicht nur die Vorzüge der europäischen Banken-Metropole Frankfurt preisen. Auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und jetzige Fraktionschef im Bundestag, Rainer Brüderle, will die Chance nutzen, die Einführung eines allgemein gültigen Mindestlohns als ökonomischen Unfug zu brandmarken.

Euro-Skeptiker könnten Koalition sprengen

Nicht auf Parteilinie: Euro-Skeptiker Frank SchäfflerBild: picture-alliance/dpa

Der Zeitpunkt dafür könnte kaum besser sein: Einen Tag nach dem FDP-Parteitag in Frankfurt/Main wird in Leipzig der Kongress von Merkels CDU beginnen (14./15. November 2011). Da können sich die durch etliche Landtagswahl-Schlappen und miese Umfragewerte arg gebeutelten Liberalen rechtzeitig den Frust von der Seele reden. Die Botschaft soll lauten: "Wir halten Kurs!" Wie schwer sich die FDP damit allerdings tut, offenbart der seit langem schwelende parteiinterne Streit über das alles beherrschende Thema der europäischen Staatsverschuldung: Pünktlich zum Parteitag beginnt ein Mitgliederentscheid über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Eine Gruppe um den Bundestagsabgeordneten und Euro-Skeptiker Frank Schäffler will die Zustimmung der FDP zu dem von der Partei-Spitze befürworteten dauerhaften Rettungsschirm in der Euro-Zone verhindern. Das Ergebnis wird eine Woche vor Weihnachten bekanntgegeben. Sollten sich die ESM-Gegner durchsetzen, wäre das für die FDP bindend. Ihr bliebe dann nichts anderes übrig, als die Regierungskoalition zu verlassen.


Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Bernd Gräßler