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Zugewanderte Literaten

Silke Bartlick15. März 2013

Wandlungen gehören zu unserer Zeit. Und auch, dass man seine Heimat verlässt und in ein anderes Land umzieht - nach Deutschland zum Beispiel. Wenn Buchautoren das tun, kann dies allerschönste Folgen haben.

Besucher auf der Leipziger Buchmesse 2013 (Foto: Norman Rembarz, DW)
Bild: Norman Rembarz

Ein zugewanderter Literat? Nein, das sei er nicht, sagt Thomas Martini. Und überhaupt, die Bezeichnung missfällt ihm. Man werde dann gleich in eine bestimmte Ecke gestellt. Er sei schließlich längst angekommen. Seit 1990 lebt Martini in Deutschland, viele Jahre davon schon in Berlin. Dort, auf diesem Spielplatz der internationalen "Jeunesse dorée", wie er das nennt, spielt auch sein erster, soeben erschienener Roman "Der Clown ohne Ort". Ein dunkles, sprachgewaltiges Portrait seiner Generation, der Erwachsenen um die 30, die nach außen lächeln müssen, innen drin aber leer und vor allem hilflos sind, ausgestattet mit einem ausgeprägten Krisenbewusstsein, aber unfähig, dieses in praktisches Handeln umzusetzen.

Seiner Generation fehle eine Utopie, sagt Thomas Martini. Genau darum geht es in seinem Buch. Vielleicht, überlegt er im Gespräch, habe er dank seiner Biografie einen besonderen Blick auf die Thematik, vielleicht habe er auch mehr Abstand. Schließlich hat Thomas Martini im rumänischen Transsilvanien nicht nur in einer Diktatur gelebt, sondern auch weit verbreitete Armut kennengelernt. Wohlstand hat er erst nach dem Umzug seiner Familie nach Süddeutschland kennengelernt.

Zuhause in mehr als einer Sprache

Wie viele Autoren und Autorinnen es in Deutschland gibt, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben? Erhebungen gibt es keine. Klaus Hübner wagt eine vorsichtige Schätzung: zwei-  bis dreitausend, sagt er. Klaus Hübner kennt sich aus in der Szene, denn er betreut den Adelbert-von-Chamisso-Preis, mit dem die Robert Bosch Stiftung seit 1985 herausragende Werke deutsch schreibender Autoren nicht deutscher Muttersprache auszeichnet. Das wichtigste Kriterium sei die Qualität der Werke, sagt  Hübner. Dazu sollten sie die deutschsprachige Gegenwartsliteratur bereichern, schmücken und zieren.

Zu den Preisträgern gehören herausragende Autoren wie Zsuzsa Bánk, Aras Ören, Ilja Trojanow oder Feridun Zaimoglu. Und, ganz aktuell, die 1981 in Odessa in der Ukraine geborene Marjana Gaponenko. In ihrem Roman "Wer ist Martha?" erzählt sie von einem 96-jährigen emeritierten Ornithologen, der in den letzten Tagen, die ihm verbleiben, das Leben wie ein einziges Fest feiert. Und gleichzeitig beschwört die junge Autorin all die vertanen Chancen des 20. Jahrhunderts. Von diesem Roman, schwärmt Klaus Hübner, könne man wirklich lernen, wie man in deutscher Sprache gute Literatur schreibe.

"Wer ist Martha?" von Marjana GaponenkoBild: DW/S. Bartlick

Etwas Neues entsteht

Deutschland ist längst ein Einwanderungsland, die Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber immer bringen sie ihre Kultur mit und eine Muttersprache. Wenn sich zu dieser, wie bei Marjana Gaponenko, dann eine zweite Sprache, nämlich Deutsch, gesellt, kann etwas wunderbar Neues entstehen. Literatur, in der die erste Muttersprache ganz selbstverständlich nachklingt, mit ihren eigenen Metaphern und Sprachstrukturen, mit Wortneuschöpfungen, adaptierten Redewendungen und Sprichwörtern, die es im Deutschen gar nicht gibt. So ein Text, sagt Klaus Hübner, sei für Leser deutscher Herkunft wirklich erhellend. Denn so eine Sprache haben sie noch nicht gehört.

Im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte ist die Literatur der zugewanderten Autorinnen und Autoren unglaublich vielfältig geworden, auch wenn es immer noch die klassische Flüchtlingsgeschichte gibt. Aber eigentlich, sagt Klaus Hübner, schreiben diese Autoren deutsche Literatur, in der europäische oder auch globale Fragen und Themen verhandelt werden. Und die eigene Erfahrungswelt, die unterschwellig einfließt, macht die Geschichte einzigartig. Wie der Roman "Zuckerleben" des in der Sowjetunion geborenen, in Moldawien, Rumänien und Österreich aufgewachsenen Pyotr Magnus Nedov, der in Paris, Moskau, Montreal, Wien und Köln studiert hat. Gerade mal 31 Jahre alt, ist er bereits Keltologe, Regisseur sowie promovierter Filmwissenschaftler.

Pyotr Magnus Nedov, Autor von "Zuckerleben"Bild: DW/S.Bartlick

Schriftsteller und Weltbürger

Dieser junge Autor ist einer, der das Leben liebt. Der neugierig auf das Leben ist, den das Krisengerede nervt und der dagegen wortgewaltig angeschrieben hat. Und der dann gesteht, dass er in Wirklichkeit doch nur von Moldawien erzählen wollte, vom Umbruch und Untergang, und was das mit den Menschen damals, Anfang der 90er Jahre, gemacht hat. Der die verrückte, heute spielende Geschichte von einem Lastwagenfahrer und einem todessehnsüchtigen jungen Pärchen, das dann doch nicht überfahren wird, nur hinzugefügt habe, damit sein Buch eingängiger sei für das deutsche Publikum. Aber weil Pyotr Magnus Nedov so gerne scherzt und lacht, weiß man nicht genau, ob er das wirklich ernst meint. Wirklich ernst meint er etwas anderes: dass die ganze Welt sein Zuhause ist. Und dass er ein Weltbürger ist. Von solchen Literaten gibt es neuerdings immer mehr. Auf ihre Literatur darf man gespannt sein!

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