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Politik

Deutsche Medien bedingt Türkei-kompetent

17. März 2017

Das deutsch-türkische Verhältnis ist ramponiert. Was wir über die Türkei, über Erdogan, über die PKK wissen, stammt aus den Medien. Deren Türkei-Bild kritisiert Caner Aver im DW-Interview.

Niederlande Demonstrationen für Erdogan in Rotterdam
Bild: Reuters/Y. Herman

DW: Die Türkei ist ein Problemland, Erdogan ein Autokrat und die Kurden werden unterdrückt - ist das die Sicht deutscher Medien auf die Türkei? 

Caner Aver: Ein Großteil der deutschen Medien berichtet durchaus Defizit-orientiert. Das hat zwar im Großen und Ganzen seine Berechtigung, aber oftmals kommt dabei die Differenzierung zu kurz. Und warum? Weil nicht ausreichend hinter die Kulissen geschaut wird. Vor allem die innenpolitischen Probleme werden nicht richtig und ausreichend in den Blick genommen.

Über welche politischen, gesellschaftlichen Problembereiche berichten denn deutsche Medien kompetent und differenziert?

Wenige deutsche Medien berichten beispielsweise über die tatsächliche Rolle der PKK, die in Deutschland wie auch in der EU als Terrororganisation eingestuft worden ist. Also nicht nur die Deutsch-Türken oder die offizielle türkische Politik nennt die PKK eine terroristische Organisation. Es gibt durchaus Medienanstalten, die das beispielsweise ansprechen, einige Printmedien berichten darüber sehr objektiv.

Caner Aver: Das deutsch-türkische Verhältnis "hat Schaden genommen"Bild: Privat

Ein anderes Beispiel: Nicht alle erwachsenen Deutsch-Türken sind AKP-Wähler. Es gibt eine breite oppositionelle Bewegung in der Türkei und auch unter den Auslandstürken. Nicht immer wird das in Deutschland medial sachlich richtig dargestellt. Die Mediendarstellung der Türkei im Nahen Osten, im Kontext mit Syrien, Irak, ist da schon besser. 

Da gibt es objektivere Berichterstattungen, auch Berichterstattungen, die über den Tellerrand hinausschauen. Aber im Prinzip unterliegt die Berichterstattung sehr stark einem Mainstream, der an den Problemen orientiert ist und entlang von Schlagwörtern funktioniert. Dass die Türkei längst eine Autokratie ist, wenn nicht sogar schon eine Diktatur, dass das Land abdrifte und dergleichen.

Selten zuvor wurde in deutschen Medien so lange, so kritisch über die Türkei berichtet. Nimmt das deutsch-türkische Verhältnis dadurch Schaden?

Es hat schon Schaden genommen. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind eigentlich seit 2005 durch die Ablehnung des EU-Beitrittsgesuches, damals durch Sarkozy in Frankreich und Merkel in Deutschland, belastet. Sie haben sich langsam verschlechtert. Durch die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei, das Vorgehen gegen Demonstranten beispielsweise, und jetzt durch Hunderttausende Entlassungen in der Türkei, sind sie erst recht auf einem Tiefpunkt. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind nach wie vor gut, allerdings gibt es eine Menge Misstrauen. Man traut sich nicht mehr über den Weg. Und das wirkt sich auch auf Teile der Deutsch-Türken negativ aus. 

Wenn türkische AKP-Politiker in Deutschland auftreten, sehen wir über die TV-Bilder Frauen mit Kopftüchern und Halbmond-Fähnchen schwingende Männer. Wer sind die Deutschland-Türken soziologisch? "Einfache Menschen", was oft etwas herablassend wirkt?

Nein, an dem Bildungsgrad der Erdogan-Anhänger kann man das nicht festmachen, es sind auch durchaus hochqualifizierte Menschen der zweiten und dritten Generation in Deutschland unter ihnen, die Erdogan oder auch der AKP nahe stehen und sie wählen. Es sind eher Menschen, die Identitäts- und Integrationsdefizite haben, die sich hier in Deutschland nicht Zuhause fühlen aus unterschiedlichen Gründen. Vor allem in den konservativ-religiösen Milieus stehen Menschen vor der Herausforderung einer zunehmenden Rechtfertigung ihrer Religiosität.

Die Diskussion um die Rolle des Islam, um seine strukturelle Rolle in Deutschland, führt auch in Teilen dieser Gesellschaft zu Umorientierungstendenzen Richtung Türkei. Weil sie sich hier in Deutschland, trotz ihrer sehr guten Integrationsleistungen, nach wie vor nicht angekommen fühlen. Faktisch gesehen sind aber auch nur zehn Prozent der Deutsch-Türken tatsächlich AKP-Wähler. Etwa die Hälfte ist eingebürgert und kann nicht in der Türkei wählen. Aber auch unter den türkischen Staatsbürgern, die in Deutschland unter den 1,4 Millionen Wahlberechtigten waren, haben nur 40 Prozent an der letzten Wahl teilgenommen, davon haben 60 Prozent Erdogan gewählt. Das heißt, es ist erstens nicht die Mehrheit, sondern die Minderheit, und zweitens sind es eben diese Menschen, die hier in Deutschland keine emotionale Heimat haben finden können, auf die Erdogan seit Jahren sehr identitätsstiftend eingewirkt hat, um ihnen eine emotionale Heimat zu geben.  

Wird das Identitätsproblem der deutschen Türken von den Medien bei uns richtig gesehen?

Nein, nicht ausreichend. Hier muss man ganz klar neue Aspekte der Transnationalität, der Bindestrich-Nationalitäten aufgreifen und diese auch als Normalität verstehen. Das heißt, Menschen, die in Migrationskontexten leben, haben auch zwei Heimaten im Herzen. Die Forderung an Immigranten, sich für ein Land zu entscheiden, ist und bleibt ein Problem. In globalisierten Zeiten oder in Einwanderungsgesellschaften sind solche eindimensionalen Orientierungen und Identitäten nicht mehr gültig - und das kommt in den Medien wie auch in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz.

Die deutschen Medien sind also nur begrenzt kompetent in der Problemanalyse?

Tatsächlich, das kann man so sagen. Es gibt hier durchaus noch Ausbaupotenzial.  

Caner Aver ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Türkeistudien in Essen.

Das Gespräch führte Volker Wagener. 

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