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Deutsche Pflegekräfte-Anwerbung sorgt für Ärger in Brasilien

Bruno Lupion
5. Juni 2024

Die deutsche Bundesregierung bemüht sich, Pflegekräfte im Ausland zu rekrutieren, da es in Deutschland an geeignetem Personal fehlt. Brasiliens Regierung ist mehr als verstimmt.

Ein Krankenpfleger in Rio de Janeiro mit Mundschutz und Handschuhen steht vor einem Tisch
Um den Arbeitskräftemangel in der Pflege zu beheben, rekrutiert Deutschland Krankenpfleger aus anderen Ländern, darunter BrasilienBild: Fabio Teixeira/AA/picture alliance/dpa

Der Besuch des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und einer Ministerdelegation im Dezember in Berlin war geprägt von gegenseitigem Lob und einer Vertiefung der Partnerschaft. Doch ein Thema sorgte für Unbehagen: die deutschen Bemühungen um brasilianische Krankenpfleger.

Damals äußerte der brasilianische Arbeitsminister Luiz Marinho bei einem Treffen mit seinem deutschen Kollegen Hubertus Heil seine Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie Deutschland versuche, brasilianische Fachkräfte anzuwerben. Deutschland halte sich nicht an die Verfahren, auf die man sich geeinigt hatte, so Marinho.

Er bezog sich dabei auf eine im Juni 2023 in Brasília von Marinho und Heil unterzeichnete Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern bei der Migration von Fachkräften. Damals waren Heil und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Brasilien, um angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland brasilianische Pflegekräfte nach Deutschland zu locken.

Im brasilianischen Arbeitsministerium war man davon ausgegangen, dass die deutsche Bundesregierung frühere Initiativen zur Anwerbung brasilianischer Krankenpflegern aussetzen würde, bis die neue Zusammenarbeit zustande gekommen wäre. Die Anwerbung wurde jedoch fortgesetzt und erst Ende 2023 auf Druck der brasilianischen Regierung eingestellt.

Fachkräfte gesucht: Arbeitsminister Heil in Lateinamerika

02:15

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Der brasilianische Bundesverband der Pflegekräfte, der 15 regionale Gewerkschaften vertritt, hatte ebenfalls ein Ende der früheren Anwerbungsinitiative gefordert, die noch unter der Vorgängerregierung zustande gekommen war.

Umstrittenes Abkommen

Im Juni 2022, Präsident war damals noch Jair Bolsonaro, unterzeichnete die Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Vereinbarung mit der brasilianischen Pflegekammer Cofen, um die Anwerbung brasilianischer Pflegekräfte zu fördern. Genau diese Vereinbarung steht im Mittelpunkt der Kontroverse, da sowohl die derzeitige brasilianische Regierung von Präsident Lula da Silva als auch der brasilianische Bundesverband der Pflegekräfte die Legitimität von Cofen bei der Unterzeichnung einer Migrationsvereinbarung mit der BA in Frage stellen. Maíra Lacerda, Leiterin des Büros für internationale Angelegenheiten des brasilianischen Arbeitsministeriums, erklärte gegenüber der DW, dass die Cofen für die Unterzeichnung eines solchen Abkommens nicht zuständig sei.

Die Präsidentin des Bundesverbandes der Pflegekräfte, Solange Caetano, sagte der DW, dass das Abkommen nicht gut für die brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger gewesen sei. Sie kritisierte die fehlende Hilfe bei der Anpassung an ein fremdes Land und dass brasilianische Krankenschwestern nach ihrer Ankunft in Deutschland bis zu drei Jahre auf die Anerkennung ihres Diploms warten müssten. "Wenn Krankenschwestern aus eigenem Antrieb ins Ausland abwandern wollen, ist das in Ordnung, solange sie gute Bedingungen haben. Aber wir ermutigen sie nicht dazu und wir finden auch nicht, dass man sie dazu ermutigen sollte", sagte sie.

Cofen seinerseits erklärte, dass es die Vereinbarung mit der BA unterzeichnet habe, nachdem es von den Ministerien für Gesundheit und Arbeit der damaligen Regierung Bolsonaro als zuständige Stelle benannt wurde. Nach Ansicht von Cofen war die Vereinbarung mit der BA für brasilianische Krankenschwestern vorteilhaft, da sie Rechte für diese Berufsgruppen festlegte und es für diejenigen, die internationale Erfahrungen sammeln wollten, einfacher machte, ins Ausland zu gehen.

"Es war eine Gelegenheit für Krankenpfleger, die in einem anderen Land leben wollten - mit der Gewissheit einer guten Bezahlung und der Chance, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln", sagte Cofens Gesetzgebungsberater Alberto Cabral der DW.

Die BA teilte der DW mit, dass sie die Aussetzung der Vermittlungsabsprache für Pflegefachkräfte in Brasilien bedauere. "Aus Sicht der BA bietet die Vermittlungsabsprache in der bestehenden Form einen verlässlichen Rahmen für eine geregelte, internationalen Standards entsprechende, faire und ethisch vertretbare Erwerbsmigration." Die Gespräche über eine neue Zusammenarbeit sollen in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 fortgesetzt werden.

Überhang an Krankenpfleger?

Der Coven-Vertreter Cabral bekräftigte die frühere Aussage der Pflegekammer, dass es einen Überhang an Fachkräften in Brasilien gibt, was seiner Ansicht nach die Vereinbarung mit Deutschland rechtfertige. Nach Angaben von Cofen liegt die Arbeitslosigkeit in der brasilianischen Krankenpflege bei zehn Prozent.

Der brasilianische Bundesverband der Krankenpfleger wiederum wies das Argument zurück, dass es in der Krankenpflege Arbeitslosigkeit gebe. Vielmehr gebe es eine schlechte Verteilung der Fachkräfte, die sich auf die großen Städte konzentriere, während es in abgelegenen Gebieten an Personal fehle. Auch das Arbeitsministerium in Brasília erklärte gegenüber der DW, dass es im Land keinen Überhang an Krankenschwestern gebe. Zuverlässige und aktuelle Daten zur Arbeitslosigkeit in diesem Sektor gibt es allerdings nicht. Die jüngsten Zahlen, die Cofen zitiert, stammen aus einer Erhebung von 2015.

"Fachkräfte werden gestohlen"

Die Kontroverse scheint auch mit der Haltung der Regierung gegenüber der Abwanderung von Fachkräften zu beruhen. Maíra Lacerda vom Arbeitsministerium wies darauf hin, dass die Ausbildung von Krankenpflegern in Brasilien mit einem fünfjährigen Studium und einer weiteren zweijährigen praktischen Tätigkeit "lange und solide" ist und kritisierte, dass qualifizierte Arbeitskräfte, "in die die brasilianische Regierung investiert hat", ohne Gegenleistung abgeworben werden.

Noch Ende April kritisierte Lula die Anwerbung brasilianischer Ingenieure durch das amerikanische Unternehmen Boeing. "Es ist nicht ehrlich, unsere Ingenieure zu stehlen, ohne einen Cent für ihre Ausbildung ausgegeben zu haben", sagte der Präsident.

Die Bundesagentur für Arbeit betonte, dass sie keine Brain-Drain-Effekte in ihren Partnerländern verursachen möchte und die Bedenken der brasilianischen Regierung respektiert. Die "durch die BA erfolgende Rekrutierungen wurden daher unmittelbar eingestellt."

Das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales sagte der DW, dass die Umsetzung der Absichtserklärung mit Brasilien hohe Priorität hat. "Wichtig ist, einen Austausch zu fördern, von dem beide Länder – sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – profitieren und durch den die Fachkräfteeinwanderung aus Brasilien verstetigt und vertieft wird."

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