Festival der Autorenfilmer
25. September 2009Wenn man so will, hat Regisseur Matthias Glasner mit seinem Wettbewerbsbeitrag "This is love" gleich zwei Kinoklischees erfüllt, die - nicht nur in Spanien - über die Deutschen kursieren: Die Teutonen lieben Krimis und quälende Seelenerkundungen. War es in seinem letzten Film "Der freie Wille" das Gefühlsleben eines Vergewaltigers, in das Glasner eindrang, ist es in "This is love" das eines Pädophilen.
Protagonist Chris (Jens Albinus) liebt ein neunjähriges vietnamesisches Mädchen. Der Versuch, es von der Mafia freizukaufen scheitert und in langen Verhören erzählt er der alkoholsüchtigen Kommissarin Maggie von seinen Verletzungen und Wünschen und sie ihm von ihren: Die von Corinna Harfouch gespielte Polizistin wurde von ihrem Mann von einem Tag auf den anderen verlassen.
Glasners kalkulierter Tabubruch
Für den Regisseur ist das eigentliche Thema des Films die nicht ausgelebte und unerwiderte Liebe, die sich die Protagonisten gegenseitig beichten. Kinderprostitution und Pädophilie sind für ihn lediglich Vehikel, um dieses Drama zu schildern. Auf den Zuschauer wirkt dieser "kalkulierte Tabubruch" jedoch zu durchschaubar. Er kann nicht über die Schwächen in der Konstruktion hinwegtäuschen.
Die Geschichte der Kriminalkommissarin, die ihre Einsamkeit und die Trauer um ihren verschwundenen Ehemann in literweise Cognac ersäuft, und die von einem kinderrettenden Pädophilen kommen nicht recht zusammen und schließlich endet der Film in einer Art Exorzismus, der die Logik der Geschichte gänzlich auf den Kopf stellt.
Deutsches Kino: risikobereit und formbewußt
In seiner düsteren Tonlage hat "This is love" nichts mit den zärtlich-heiteren oder klamaukigen Beiträgen eines Andreas Dresen oder Hans Weingartner zu tun, die in den letzten Jahren im Wettbewerb zu sehen waren. Auch wenn der deutsche Film in San Sebastian nicht zu den großen Aushängeschildern zählt, ganz im Gegensatz etwa zu Frankreich oder Argentinien, sind deutsche Regisseure und Produzenten im nordspanischen Kurstädtchen ein gern gesehener Gast.
"Gerade in den letzten Jahren sind in Deutschland viele formal moderne und risikofreudige Filme entstanden", urteilt Festivaldirektor Mikel Olaciregui. Gerade von den Abgängern der Filmhochschulen kämen interessante Impulse. Auf dem diesjährigen Festival in San Sebastian sind in der Nebensektion "Zabaltegui - New Directors" gleich zwei solcher Newcomer zu sehen.
"Desperados on the Block"
Tomasz Emil Rudzik erzählt in seinem noch während des Studiums entstandenen Film "Desperados on the Block" die Geschichten dreier Studenten, deren Wege sich regelmäßig im Aufzug ihres Wohnheims überschneiden: Eine russische Theologie-Studentin, die die Zehn Gebote bricht, um Gott dazu zu bewegen, sich endlich zu zeigen, ein chinesischer Mathestudent, der sich in seine Nachhilfeschülerin verliebt und ein Taubstummer, der die von ihm angehimmelte Bibliothekarin einlädt, mit ihm einen Tag zu verbringen - ohne zu reden. Die Ausgangsidee ist charmant, der Film wirkt dennoch etwas gewollt und schlicht, weil er zu viele Fragen aufwirft.
Kurdenkonflikt im Kino
Auf ein konkretes und dazu noch politisch brisantes Thema hat sich Miraz Bezar konzentriert. Der in Ankara geborene Berliner erzählt im von Fatih Akin koproduzierten "Min Dit - Die Kinder von Diyarbarkir" vom Kurdenkonflikt in der Türkei. Die zehnjährige Gülistan und ihr Bruder Firat müssen mit ansehen, wie ihre Eltern von einem paramilitärischen Kommando erschossen werden. Auf sich selbst gestellt schlagen sie sich als Straßenkinder durch.
Politische Parabel ohne Happy End
Sensibel inszeniert, in schlichten stimmigen Bildern und mit großem Sinn für Dramaturgie und überraschenden Wendungen gelingt Miraz Bezir eine politische Parabel, die aufs Happy End verzichtet, dennoch Hoffnung verbreitet. Für das Drehbuch hat Miraz Bezar monatelang in der Türkei recherchiert. Besonders erschüttert hat ihn dabei die Selbstverständlichkeit, mit der der Konflikt akzeptiert wird.
"In fast jeder Familie wird jemand vermisst, fast jeder hat einen Toten zu beklagen", erzählt der Sohn kurdischer Eltern. "Mir war es wichtig, ihre Geschichten zu erzählen." Dadurch, dass Bezar den Konflikt aus der Sicht der Kinder erzählt, entideologisiert er ihn nicht nur, sondern öffnet den Blick für andere Themenfelder. "Im Westen der Türkei nehmen viele die kurdischen Straßenkinder nur als Kriminelle wahr", so der Regisseur, "die wenigsten wissen, was für eine Gewalthistorie diese Kinder mitbringen."
Produktionen über Landesgrenzen hinweg
"Min Dit", eine in der Türkei gedrehte deutsch-türkische Koproduktion in kurdischer Sprache, zeigt auch die Grenzen nationaler Etiketten. Vielleicht sind solche Zuschreibungen im Zeitalter internationaler Koproduktionen ohnehin zweitrangig. Elf der in San Sebastian gezeigten Filme wurden von Deutschland koproduziert oder -finanziert. Letztlich kann von solcher cineastischen Vielfalt die Krisenbranche Kino nur profitieren.
Autorin: Julia Macher
Redaktion: Jochen Kürten