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Ein Debütfilm in Cannes

Aygül Cizmecioglu24. Mai 2013

Wie schafft man es gleich mit dem ersten eigenen Spielfilm ins offizielle Festivalprogramm in Cannes - und das als einzige Deutsche? Die Hamburgerin Katrin Gebbe zeigt es: "Tore tanzt" - ein verstörender Debütfilm.

ARCHIV - Die in Hamburg lebende Katrin Gebbe posiert am 19.05.2013 bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes. Am 23.05.2013 stellt sie in der renommierten Nebenreihe Un certain regard ihr Debüt «Tore tanzt» vor. Der Film ist der einzige deutsche Langspielfilm. Foto: Hubert Boesl/dpa (zu dpa-Interview "Deutsche Regisseurin Gebbe: Das Schöne im Kaputten finden" vom 22.05.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Katrin Gebbe Cannes 2013Bild: picture alliance / dpa

Gleißende Sonnenstrahlen, Natur-Romantik. Idyllischer könnte ein Film nicht anfangen. Wären da nicht die harten Beats unter den Bildern. Ein schlaksiger Blondschopf wird in einem See getauft. Tore ist ein sogenannter Jesus-Freak. Er hört Punkmusik, trägt eine abgewetzte Lederjacke und lebt zusammen mit anderen gläubigen Außenseitern in einer Art christlicher Kommune. In ihrem Universum ist Gott "cool" und eine Irokesenfrisur kein Widerspruch zum Rosenkranz, den man um den Hals trägt.Realität als Vorlage

Die erste große Rolle für Julius FeldmeierBild: Junafilm

Als der naive Tore merkt, dass nicht alle den Glauben so konsequent leben wie er, verlässt er die Kommune. Er freundet sich mit dem dubiosen Benno an und zieht kurzerhand zu dessen Familie in den Schrebergarten. Was als spontane Freundschaft beginnt, wird allmählich zur Tortur. Benno beginnt Tore zu misshandeln. Erst wird das Essen rationiert, dann gibt's Schläge. Schließlich muss der völlig verwahrloste Junge für die Familie anschaffen gehen. Tore erleidet die Demütigungen als Gottes Prüfung, als Akt der Nächstenliebe.

Genau diese grenzenlose Opferbereitschaft macht den Film so verstörend. "Dabei gab die Realität die Vorlage", erzählt die Regisseurin Katrin Gebbe. 2009 hatte ein Ehepaar einen geistig behinderten Jungen über Monate im Keller gefangen gehalten und zu Tode gequält. Die 30-Jährige hatte davon in der Zeitung gelesen. Sie hatte gerade ihren Abschluss an der Hamburg Media School in der Tasche und suchte nach einem Stoff für den ersten langen Spielfilm.

Wie ein Sechser im Lotto

Qualen ertragen als Prüfung von ganz obenBild: Junafilm

Zusammen mit der Produzentin Verena Gräfe-Höft, die ebenfalls in Hamburg studiert hat, stemmte sie das Projekt gegen alle Widerstände. Ein Film ohne eine klassische Liebesgeschichte, noch dazu ein sperriges Thema und relativ unbekannte Schauspieler. Die Erfolglosigkeit schien vorprogrammiert. Und dann passierte das kleine Wunder!
Die Low-Budget-Produktion wurde in diesem Jahr nach Cannes eingeladen, zu einem der renommiertesten Filmfestivals der Welt, noch dazu als einziger deutscher Beitrag im offiziellen Programm. "Das ist natürlich großartig, vor allem für mich als junge Filmemacherin", meint Katrin Gebbe voller Stolz. "Es fühlt sich an wie ein Sechser im Lotto."


Kreative Spielwiese

Tore findet Gott "cool"Bild: Junafilm
Die Einladung nach Cannes - für Katrin Gebbe ein Sprungbrett ins internationale FilmbusinessBild: Junafilm

Die Nebenreihe "Un Certain Regard", in der "Tore tanzt" läuft, gilt als kreative Spielwiese. Hier laufen die kleinen, aber feinen Filme jenseits des Massengeschmacks. Experimente, die neue Formen ausloten, die sich thematisch etwas trauen, filmische Wagnisse nicht nur von Newcomern, sondern durchaus auch von erfahrenen, preisgekrönten Regisseuren.

"The Bling Ring" etwa, der neue Film von Sofia Coppola läuft in dieser Nebensektion und nicht im Wettbewerb. Auch ihre Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Erzählt wird von einer Gruppe junger Mädchen, die in die Häuser mehrerer Stars in Beverly Hills einbrechen und schließlich geschnappt werden. Die Realität scheint in diesem Jahr die spannendsten Geschichten an der Côte d'Azur zu liefern.

Geschichte voller Wucht

Katrin Gebbes Regiearbeit wird sich in der Reihe "Un Certain Regard" gegen 17 weitere Spielfilme behaupten müssen. Dabei besticht ihr Film vor allem mit einer glasklaren Bildsprache und einer subtilen Erzählebene. "Natürlich geht es auch um Gewalt", so die junge Regisseurin. "Aber diese Brutalität ist nicht eingebettet in ein Genre, wie zum Beispiel in einem Horrorfilm. Sie resultiert aus dem Alltag heraus. Und das macht das Ganze so eindringlich."

Wie leicht hätte die Figur eines naiven Christen in die Karikatur abgleiten können. Aber Katrin Gebbe vermag es, weder den Glauben zu heroisieren noch das Böse zu verurteilen. Vielmehr legt sie Schicht für Schicht Zweifel und Unsicherheiten frei - auf beiden Seiten. Es sind Bilder, die wehtun, die in ihrer Wucht nachhallen. Und die eine Wahrhaftigkeit besitzen, die man im glamourösen Star-Rummel an der Croisette selten findet.

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