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Suche nach Beutekunst

Anastassia Boutsko20. November 2013

Seit 1992 fahnden Wissenschaftler aus Deutschland und Russland gemeinsam nach russischen Kulturgütern, die von Nazis geraubt wurden. Mit Erfolg: 125 wertvolle Bücher konnten nun zurückgegeben werden.

Der Hauptkustos des Schlossmuseums Pawlowsk bei St. Petersburg, Alexej Gusanow (r.), und Stephan Graf von der Schulenburg blättern am 18.11.2013 in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig (Sachsen) in 125 historischen Büchern. Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Was aussah, wie eine kleine Geste, war in Wahrheit ein großer Augenblick in den deutsch-russischen Kulturbeziehungen: Am Montag den 18.11.2013 nahm ein Vertreter des Schlossmuseums Pawlowsk bei Sankt Petersburg 125 von den Nazis geraubte Bücher entgegen. Seit Sommer dieses Jahres war klar, dass sie im Privatbesitz der Familie von der Schulenburg waren. Ein Vorfahre, Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg, war bis zum Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 deutscher Botschafter in Moskau. Er erhielt die Bücher als Geschenk, wohl wissend, dass die Nazis sie in Pawlowsk beschlagnahmt hatten.

Gemeinsame Suche nach Raubkunst

Dass die ganze Geschichte nun ans Tageslicht kam, ist Resultat akribischer Forschung. Bereits 1992 wurde an der Universität Bremen eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Beutekunst-Experten Wolfgang Eichwede gegründet. Die Wissenschaftler machten sich zur Aufgabe, in Deutschland nach verlorenen Werken aus russischen Beständen zu fahnden. "Die ganze Beutekunstdebatte in Deutschland ist bis heute bestimmt von unseren, also deutschen Verlusten, während die Philosophie der Bremer Arbeitsgruppe die umgekehrte Perspektive war: Was haben die Deutschen in der Sowjetunion, in Russland beschlagnahmt, geklaut, geplündert, zerstört?", erläutert Professor Eichwede im Gespräch mit der DW.

Die Zusammenarbeit machte Schule, Eichwede leitet bereits das Folgeprojekt: 2012 riefen die Kulturstiftung der Länder, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Volkswagen-Stiftung die deutsch-russische Arbeitsgruppe "Deutsche Museen im Zweiten Weltkrieg" ins Leben. Es geht vor allem um den Verbleib von Artefakten aus sechs russischen Museen, die unter den deutschen Besatzern besonders litten, darunter auch das Zarenschloss Pawlowsk.

Beutekunst-Experte Wolfgang EichwedeBild: picture-alliance/dpa

"Sehr geehrter Herr Botschafter" – "Lieber Baron"

Wie jene 125, nun zurückgegebenen Bücher in den Besitz der Familie von der Schulenburg kamen, ist unter Experten seit den frühen 1990er Jahren bekannt. Denn damals, genauer 1992, publizierte die Historikerin Ulrike Hartung den Briefwechsel zwischen Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg und SS-Mann Eberhard Künsberg. Er war damals für die Raubzüge durch russische Museen, Bibliotheken und Schlösser in der Gegend um die belagerte Metropole Leningrad, wie St. Petersburg damals hieß, verantwortlich.

"Mein Lieber Baron!", schreibt von Schulenburg an Künsberg am 25. November 1942. "Sie haben in meiner, leider von Lücken klaffenden Bücherreihe ein erhebliches Loch ausgefüllt. Sollen Sie wieder Bücher bekommen und in der Lage sein, davon etwas abzugeben, so würde ich glücklich sein, wenn Sie wieder an mich denken wollten".

Die Recherchen der Forscher

Von insgesamt 300.00 Büchern, die Künsberg und seine Leute nach Deutschland schafften, stammen 11.500 Bände aus der Schloßbibliothek in Pawlowsk. Sie gelangten nach Berlin. Dort durften sich der ehemalige Botschafter Schulenburg und einige andere bedienen. Der bibliophile Diplomat entschied sich für echte Raritäten: eine sehr frühe Gesamtausgabe von Lessing und einige französische Memoiren, insgesamt 170 Bände. So weit war die Geschichte bereits Anfang der 1990er Jahre bekannt.

Die Bibliothek des Schlosses Pawlowsk vor dem Zweiten WeltkriegBild: Museum Pawlowsk

Doch die Wissenschaftler fahndeten weiter. "Wir haben in den Archiven der Stasi eine Liste der Bücher gefunden, die damals von Künsberg an Schulenburg gingen", so Eichwede. Auch diese Ergebnisse wurden schon 1997 veröffentlicht, jedoch nur von wissenschaftlichen Kreisen zur Kenntnis genommen.

Wie die Bücher auf Odyssee gingen

Von der Schulenburg brachte die Bücher aus Pawlowsk nach Falkenberg, eine mittelalterliche Burg in Bayern, die der Diplomat zu seinem Sitz machen wollte. Inzwischen aber hatte er sich dem Widerstand um die Männer 20. Juli 1944 angeschlossen. Nach dem mißglückten Attentat Stauffenbergs auf Hitler wurde von der Schulenburg im November 1944 hingerichtet. Die Bücher verblieben in der Burg.

Dort waren die Bücher aus Pawlowsk jahrzehntelang im Besitz der Familie. Wie sie dorthin gelangten, sei der Familie nicht bewusst gewesen, sagt Stephan Graf von der Schulenburg. Hätte er den Ursprung dieser Bücher gekannt, hätte er sie bereits früher zurückgegeben. "Es klebt Blut an diesen Büchern. Diese infame Raubzugaktion ist ein Teil eines Kriegsverbrechens", sagte Stephan von der Schulenburg im Gespräch mit der DW.

Burg Falkenberg in BayernBild: picture-alliance/dpa

Zurück am alten Platz

Erst eine von Professor Eichwede und seinen Mitarbeitern initiierte Publikation in der Süddeutschen Zeitung vom Sommer 2013 brachte die Familie Schulenburg auf den Plan. "Noch im Sommer habe ich vom Grafen Schulenburg einen sehr schönen Brief bekommen, in dem er um eine Rückgabemöglichkeit der Bücher an unser Museum bittet", sagt der Aleksej Gusanov vom Schlossmuseum Pawlowsk der DW. "Mit dieser Rückgabe wird nicht nur unsere Verlustliste kürzer", freut er sich. "Es wird auch dazu beitragen, das einmalige Interieur der Schlossbibliothek wiederherzustellen".

Die Bibliothek der Zarin Maria Feodorovna war ein veritables Schmuckstück. Die als deutsche Prinzessin geborene Sophie Dorothee von Württemberg und Gattin des Zaren Pavel I. las in vier europäischen Sprachen, war gebildet und humanistisch gesinnt. Ihre Bücher ließ sie nach einem ausgeklügelten System in die Regale aufstellen. "Wir haben einen genauen Plan, nach dem wir feststellen können, wo jedes einzelne Buch gestanden hatte. Stellen sie sich mal vor: Nach über 70 Jahren kommen die Bücher zurück!", schwärmt Aleksej Gusanov. Doch nach der feierlichen Rückgabe geht die Arbeit für die Forscher beider Länder weiter.

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