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Deutsche Unternehmen locken Fachkräfte mit Werkswohnungen

1. Februar 2025

Die Wohnungsnot verschärft den Fachkräftemangel in Deutschland. Unternehmen bauen oder mieten deshalb immer häufiger selbst Wohnraum für ihre Mitarbeiter.

Ein Mann steht vor einem im Bau befindlichen, mehrstöckigen Wohnblock. Er trägt einen weißen Helm mit dem Logo der DB auf dem Kopf.
Auch die Deutsche Bahn baut wieder Wohnungen für ihre Mitarbeiter, wie hier in MünchenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Busfahrer, Elektrotechniker, Monteure für Photovoltaikanlagen, IT-Fachleute - die Stadtwerke München offerieren derzeit fast 200 offene Stellen. Das städtische Unternehmen, zuständig unter anderem für die Energie- und Wasserversorgung sowie den öffentlichen Nahverkehr, ist einer der großen Arbeitgeber in der bayerischen Landeshauptstadt. "In München finden wir schon seit längerem kein ausreichendes Fachkräftepersonal mehr", erklärt Bernhard Boeck von den Stadtwerken München die Lage. "Wir nehmen inzwischen regelmäßig an Rekrutierungs-Events beispielsweise in Sarajewo, Tirana oder Malaga teil."

Die Einstellungsgespräche drehen sich aber längst nicht mehr nur um den Job. "Bei fast jeder Bewerbung werden wir nach einer Wohnung gefragt", berichtet Boeck. Die Wahrscheinlichkeit, in München eine bezahlbare Wohnung zu finden, sei mit einem Lottogewinn zu vergleichen. Für Ausländer auf Wohnungssuche ist die Lage noch schwieriger.

Wohnungsmangel erschwert Fachkräftesuche

In einer Befragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC sagen vier von fünf Unternehmen in Deutschland, dass es die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich erschwert, Fachkräfte zu finden und zu halten. Ganz besonders gilt dies in Branchen, die keine Spitzenlöhne zahlen, also in Gesundheitswesen, Gastronomie, Handwerk und Gewerbe. 

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Jeder dritte Berufstätige in Großstädten und Ballungsgebieten gibt an, bereits über einen Wegzug und einen Jobwechsel nachgedacht zu haben, weil die Mieten zu hoch seien. Für den wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät, hat der Wohnungsmangel bereits "negativen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung", hemmt also das Wachstum in Deutschland. Menschen könnten nicht mehr dort hinziehen, wo die guten Arbeitsangebote zu finden seien.

Ein Mietvertrag ist ein großes Plus

25 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter werden in München bei Neuvermietungen durchschnittlich verlangt. "Unsere Mitarbeiter sind überwiegend in mittleren und unteren Lohngruppen, die können das nicht bezahlen", so Stadtwerker Boeck. Das Unternehmen hat daher eine eigene Immobiliensparte gegründet, die Boeck leitet. 1500 Wohnungen wurden bereits gebaut oder gekauft, bis 2030 sollen es 3000 sein. "Wenn man einem Bewerber sagen kann, dem Arbeitsvertrag liegt ein Mietvertrag bei, dann ist das ein Pfund, mit dem man wuchern kann."

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Die Miete wird mit dem Betriebsrat abgestimmt und richtet sich nach dem Einkommen. "IT-Leute zahlen mehr als technische Mitarbeiter." Durchschnittlich zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter werden verlangt. "Wir müssen keinen Gewinn mit den Wohnungen machen, sondern insgesamt kostendeckend arbeiten", erklärt Boeck das Konzept. Einfach sei das angesichts der massiv gestiegenen Baukosten nicht. "Wir versuchen, möglichst kostengünstig zu bauen und zu sanieren, arbeiten viel mit Fertigbauteilen."

Werkswohnungen gibt es seit dem 19. Jahrhundert

Wohnraum für Arbeiter bereitzustellen, hatte über Jahrzehnte Tradition in Deutschland. Es begann Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung. Um die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften zu decken und diese langfristig an das Unternehmen zu binden, baute zunächst der Stahlbauer Krupp tausende Wohnungen und Häuser. Andere zogen nach. Ob im Kohlebergbau, bei der Post oder der Bahn: Große Siedlungen entstanden, die nicht nur bezahlbaren Wohnraum boten, sondern auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Arbeitern förderten.

Die Siedlung Baumhof in Essen wurde 1872 für Beschäftigte der Krupp-Werke erbaut, hier ein Foto aus dem Jahr 1910Bild: akg-images/picture alliance

Doch Ende des 20. Jahrhunderts, als es keinen Wohnungsmangel mehr gab und Arbeitskräfte im Überfluss, wurden die meisten Immobilien abgestoßen. 

Wohnungsfrage als zentrale Herausforderung

Inzwischen hat sich die Lage grundlegend gewandelt. "Die Wohnungsfrage ist zu einer der zentralen Fragen für den Wirtschaftsstandort Deutschland geworden", stellt Rolf Bösinger fest, Staatssekretär im von der SPD geführten Bundesbauministerium. Vor zehn Jahren hätten ausländische Firmen, die sich in Deutschland ansiedeln wollten, vor allem nach Kita- und Schulplätzen gefragt. "Jetzt lautet die erste Frage: Wo sind die Wohnungen für unsere Beschäftigten?"

400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen - das war der Anspruch, mit dem SPD, Grüne und FDP 2021 in ihre Regierungszeit starteten. Doch explodierende Energie- und Materialkosten und die allgemeine Inflation ließen die Baukosten massiv steigen. 2022 wurden deutschlandweit nur 295.300 neue Wohnungen gebaut, 2023 waren es noch 900 weniger. Inzwischen fehlen nach Angaben der Immobilienbranche 800.000 Wohnungen im Land.

Wirtschaft unter Druck 

Wohnraum für Beschäftigte zur Verfügung zu stellen, sei auch "eine Zukunftsaufgabe für Unternehmen", sagt Staatssekretär Bösinger, der sich gegen den Vorwurf wehrt, der Staat wolle seine Wohnungsprobleme auf dem Rücken der privaten Wirtschaft lösen. Staatliche Hilfen seien ausgebaut worden. Es gebe steuerliche Anreize, Förderprogramme mit finanziellen Zuschüssen und günstige Kredite über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Werkswohnungen der Berliner Charité - vor allem Krankenhauspersonal, das im Ausland angeworben wurde, kann hier wohnenBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

In einem Forschungsprojekt hat das Institut der deutschen Wirtschaft erhoben, dass inzwischen gut fünf Prozent der Unternehmen ihre Mitarbeiter direkt durch konkrete Wohnungsangebote unterstützen. Dazu gehört auch, Wohnungen auf dem freien Markt anzumieten und an die Mitarbeiter weiterzuvermieten. Weitere elf Prozent der Unternehmen bieten indirekte Maßnahmen an, wie beispielsweise Tauschbörsen für Wohnungen oder Mietzuschüsse.

Wohnraum als Teil des Geschäftsmodells

Der Industrie- und Handelskammertag, ein großer Wirtschaftsverband, stellt einen wachsenden Beratungsbedarf beim Thema Werkswohnungen fest. Wohnraum anzubieten, ist ein Kostenfaktor, der im Geschäftsmodell zu berücksichtigen ist. Lässt sich trotz erhöhter Kosten noch ausreichend Gewinn erwirtschaften? Das hängt auch von der jeweiligen Wirtschaftskraft des Unternehmens ab. 

Dazu kommen juristische und soziale Fragen. Was passiert, wenn Mitarbeiter kündigen, in Rente gehen oder gekündigt werden? Verlieren sie dann den Anspruch auf die Werkswohnung und müssen ausziehen oder sind Regelungen möglich, wonach die Betroffenen dann "nur" ortsübliche Mieten zahlen müssen? Für Werkswohnungen gilt das normale Mietrecht mit seinem strikten Kündigungsschutz nur sehr eingeschränkt. Stattdessen gilt, was beim Einzug vertraglich vereinbart wurde.

Ehemalige Werkswohnungen des Chemiekonzerns Bayer in LeverkusenBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Vergrößern Werkswohnungen die Wohnungsnot?

In der Politik wächst die Sorge, dass der Wohnungsmarkt noch angespannter werden könnte, wenn Unternehmen mehr Wohnungen aus dem Bestand kaufen oder anmieten, anstatt neue zu bauen. Das Angebot könnte so noch knapper werden. Sozialneid ist vorprogrammiert, auch angesichts der Tatsache, dass Werkswohnungen bei jedem zweiten Unternehmen vorzugsweise eingesetzt werden, um Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert daher, dass Unternehmen, die sich neu ansiedeln, zum Bau von Mitarbeiterwohnungen verpflichtet werden sollen. So pauschal könne das nicht laufen, wehrt sich Bernhard Boeck von den Stadtwerken München. "Es geht vor allem ums Geld, der Staat muss noch zielgenauer fördern." Boeck sieht auch Länder und Kommunen in der Pflicht. Wenn sie Grundstücke aus ihrem Bestand zur Verfügung stellen würden, wäre schon viel geholfen.

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