Keine Entwarnung
4. Januar 2012Das neue Jahr beginnt mit den gleichen Fragen, mit denen das alte zu Ende gegangen ist: Wie geht es weiter im krisengeschüttelten Euro-Raum? Wann wird die Finanzkrise vorbei sein? Wie stark wird die Wirtschaft leiden? Wissenschaftler wie Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf, können keine Entwarnung geben. Im Gegenteil: "Der Patient lebt, aber er lebt am Tropf und das ist keine Lösung der Krise!"
Im Euro-Raum, so Horn weiter, gebe es eine massive Vertrauenskrise, die sich vor allem in dem Misstrauen niederschlage, das Anleger gegenüber Staatsanleihen hätten. Die Lage habe sich in den letzten Tagen zwar etwas beruhigt, aber die Zinssätze seien immer noch nicht so niedrig, um auf Dauer für die Staaten tragfähig zu sein, so der Wirtschaftsforscher.
Die Uhr tickt
Knapp sieben Prozent für italienische Staatsanleihen, das bleibt auch 2012 auf Dauer ruinös. Ein drängendes Problem - umso mehr, weil allein zwischen Februar und April italienische Anleihen im Volumen von rund 150 Milliarden Euro auslaufen, die mit neuen Krediten ersetzt werden müssen. Ähnliches gilt für Spanien.
Die Uhr tickt und der Druck lässt den europäischen Politiker keine Alternative, als ihren auf dem letzten Krisengipfel getroffenen Beschlüssen nun auch Taten folgen zu lassen. Das glaubt jedenfalls Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin: "Die Probleme auf dem Interbankenmarkt werden sich weiter verschärfen und die Rezession wird dazu beitragen, dass ein durchgreifendes Handeln notwendig ist."
Doch wie wird und kann dieses Handeln aussehen angesichts einer rapide nachlassenden Wirtschaftsleistung im Euro-Raum? Die Rezession ist nicht mehr abzuwenden, da sind sich die Experten einig.
Auch Deutschland betroffen
Als Exportnation trifft es auch die Konjunkturlokomotive Deutschland. Nach den vergangenen beiden Boomjahren rechnet das DIW für 2012 nur noch mit 0,6 Prozent Wachstum. Gustav Horn vom IMK ist pessimistischer und geht von -0,1 Prozent aus: "Ich halte es für eine Illusion, dass die Nachfrage aus den Schwellenländern dies kompensieren könnte, dazu ist sie rein quantitativ schon nicht genug." Außerdem zeigten auch diese Länder derzeit alles andere als eine boomende Entwicklung.
Gänzlich verfehlt hält Horn die Hoffnung, dass die amerikanische Wirtschaft wie in früheren Phasen die Weltwirtschaft aus der Tiefe des Konjunkturtals zieht: "Dazu ist der Konsolidierungsbedarf in den USA sowohl bei den privaten, als auch beim Staat einfach zu groß."
Ein wirtschaftlich schwieriges Umfeld, in dem die Politiker in der Euro-Zone nun auch noch den Rotstift ansetzen wollen. Horn hält drastische Sparbemühungen in dieser Situation für Gift. Wenn alle gleichzeitig konsolidieren würden, dann gebe es keinen Stabilitätsanker mehr, dann würden alle wegdriften. Der Abbau der Staatsverschuldung könne nur langfristig erfolgen.
Konsolidierung ist der zweite Schritt
Für die Ökonomen ist die Konsolidierung der zweite Schritt auf einem Weg, der sich zunächst damit beschäftigen muss, die Vertrauenskrise zu lösen. Das aber sei nur noch über ein massives Eingreifen der Europäischen Zentralbank möglich. Es sei richtig, so argumentiert Gustav Horn, dass die EZB die Banken stütze, indem sie ihnen für drei Jahre praktisch unbegrenzt Geld zur Verfügung stelle. Die Zentralbank müsse aber unbedingt auch die Staaten stützen: "Die EZB muss auch den Märkten deutlich machen, dass sie im Fall von Turbulenzen und wenn die Staatsanleihen massiv belastet sind, bereit ist, diese aufzukaufen."
Sie habe das schon getan, sagt Horn, nur müsse es selbstverständlicher und von der Politik nicht immer wieder in Frage gestellt werden: "Und es muss auch klar sein, dass dies ein Konsens der europäischen Politik ist, nämlich der Konsens, den Währungsraum zu erhalten." Doch ist ein solches Signal im Moment politisch überhaupt erwünscht?
Nicht-Handeln vertieft Krise
Konjunkturforscher Ferdinand Fichtner gibt zu bedenken, dass Deutschland an einem schnellen Ende der Krise eigentlich kein Interesse haben kann. Der Druck der Finanzmärkte sei doch der Rückenwind bei der institutionellen Reform der Währungsunion.
Das aber wäre eine gefährliche Strategie angesichts der drohenden Rezession. "Die wird die Konsolidierungsbemühungen der Schuldenstaaten noch einmal zusätzlich erschweren und wenn dann noch einzelne Banken in die Zahlungsunfähigkeit gedrückt werden, kann uns das innerhalb kürzester Zeit wieder in eine extrem schwierige Situation bringen", sagt Fichter. Durch "Nicht-Handeln" könnte die Krise erheblich vertieft werden mit gravierenden Auswirkungen auch für die deutsche Wirtschaft.
Wohin steuert Europa? Die Aussichten für 2012 sind im Moment noch nicht allzu rosig und sie sind so unsicher, wie nie zuvor. Nur in einem Punkt scheinen sich alle einig. Das laufende Jahr werde ein wirtschaftspolitisch historisches werden. Ein Jahr der Entscheidungen – so oder so. Durchwursteln, weiter so, diese Strategie scheide definitiv aus.
Autor: Sabine Kinkartz
Redaktion: Monika Lohmüller