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Film

Aufstieg und Fall des deutschen Trickfilms

2. Februar 2020

Vor 100 Jahren war Deutschland das Zentrum der Trickfilm-Avantgarde. Dann kam die NS-Diktatur und damit der Bruch: Die staatlich verordnete Konkurrenz zu Disney scheiterte. Der Glanz alter Tage war für immer verloren.

Die Abenteuer des Prinzen Achmed von Lotte Reiniger
Bild: picture-alliance /United Archives

Tanzende Streichhölzer, die sich in verschiedene Figuren verwandeln, mal in einen Vogel, der davonfliegt, mal in eine Windmühle, deren Rad sich dreht. "Geheimnisvolle Streichholzdose" nannte Guido Seeber sein Experiment. Minutiös zeichnete er in Skizzen die Bewegungsphasen der Streichhölzer. In mühsamer Alleinarbeit entstand der erste bekannte deutsche Animationsfilm, der 1910 Premiere feierte.

Das waren die ersten Sprösslinge des Trickfilms, die in Deutschland schnell einen fruchtbaren Boden fanden. "Es war die Zeit, in der Animatoren in ihren Schlafzimmern Zeichnungen anfertigten - alleine, in Nachtarbeit", sagt Rolf Giesen, Historiker und Forscher auf dem Gebiet des animierten Films. Während zur selben Zeit in den USA die Industrialisierung des Films vorangetrieben wurde, waren es in Deutschland "die kleinen Manufakturen", die diese Technik forcierten, so Giesen. 

Die Blütezeit

In den 1920er Jahren wird Deutschland zu einem Inkubator für die Trickfilm-Avantgarde. Beeinflusst durch wegweisende Strömungen in der Kunst, wie Bauhaus und Dada, wagen sich die Animatoren an den "absoluten Film", eine experimentelle Filmbewegung der Avantgarde. Sie spielen mit Farben, Ton, Geometrie und Schatten. Die künstlerische Freiheit bringt viele neue Trickfilme hervor. Der erste abendfüllende Trickfilm in Europa entsteht in Deutschland - mit Scherenschnitten von Lotte Reiniger: "Die Abenteuer des Prinzen Achmed". Ihre Inspiration und Motive schöpfte die Künstlerin aus den orientalischen Geschichten von "1001 Nacht": Mächtige Zauberer und böse Geister als animiertes Schattenspiel, ein für jene Zeit innovativer Animationsfilm.

Lotte Reiniger und Walter Ruttmann: zwei Pioniere des deutschen AnimationsfilmsBild: picture-alliance /dpa

Mit solchen kreativen Filmen konnte man allerdings kaum Geld verdienen. Doch die Animatoren hatten die boomende Werbebranche für sich entdeckt. "Das meiste Geld haben die Zeichner mit Werbefilmen verdient. Es wurde für Suppen, Konserven und Liköre geworben. Aber Produzenten wie Julius Pinschewer haben nicht nur auf den Kommerz, sondern auch auf die Kunst gesetzt. Er hat vielen jungen Künstlern die Möglichkeit gegeben, sich im Werbefilm experimentell auszudrücken", sagt Rolf Giesen. Mehr noch: Die Leute seien damals oft eher wegen der Werbefilme als wegen der Spielfilme ins Kino gegangen.

In dieser sehr kreativen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 1930er hinein sind viele Filme entstanden und Filmtechniken entwickelt worden - mit großen Freiheiten für deutsche Künstler. Aber dann kam der plötzliche Bruch.

Der Nationalsozialismus und Disney

Mit Beginn der NS-Diktatur wurde unliebsame Kunst, vor allem abstrakte, moderne Strömungen, als "entartet" abgestempelt. Der letzte abstrakte Animationsfilm, der in Deutschland öffentlich vorgeführt wurde, war "Tanz der Farben" (1939) von Hans Fischinger. Mit diesem Angriff auf die Kunst kamen viele Zeichner nicht klar: Filmemacher, wie Julius Pinschewer, Peter Sachs und George Pal, emigrierten in den 1930ern. Andere, wie Walter Ruttmann, arrangierten sich mit den Nazis.

Die nationalsozialistische Gleichschaltung der Kulturlandschaft hat aber im Bereich des animierten Films nicht zu einer gänzlichen Zäsur geführt. Denn Hitler und Goebbels liebten den Animationsfilm. Wie groß die Begeisterung für Disney-Filme in der NS-Riege war, zeigt auch ein Tagebucheintrag von Joseph Goebbels am 22. Dezember 1937 über sein Weihnachtsgeschenk von 18 Disney-Filmen für Adolf Hitler.

Hitlers Lieblingsfilm: "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (1937)Bild: Imago/United Archives

"Als der Disney-Film 'Schneewittchen und die sieben Zwerge'" rauskam, waren die Nazis begeistert. In Anwesenheit von Eva Braun wurden regelmäßig Disney-Filme auf dem Berghof vorgeführt - auch für die Kinder der Hitler-Vasallen. 'Schneewittchen und die sieben Zwerge' war der Höhepunkt", erzählt Rolf Giesen. Die NS-Führung wollte "Schneewittchen und die sieben Zwerge" unbedingt in die deutschen Kinos bringen: "Die zwei Filmgesellschaften Bavaria und Ufa wetteiferten um den Erwerb der Lizenz. Disney hat sehr viel Geld gefordert, es war ein gewaltiger Preis. Aber es war nun mal Hitlers Lieblingsfilm. Und es war klar, dieser Film sollte auch im Deutschen Reich laufen." Doch dann kam der Boykott deutscher Filme in den USA - und kurze Zeit später brach der Krieg aus.

Der Größenwahn und die staatlich verordnete Trickfilmproduktion

"Goebbels sah 1939/1940 einen zweiten amerikanischen Animationsspielfilm, 'Gullivers Reisen' - und dann dachte er, Deutschland könne doch auch so eine Animationsindustrie aufbauen, die in der Lage sei, in Europa die Führung zu übernehmen", sagt Rolf Giesen. So wurde die Deutsche Zeichenfilm GmbH gegründet und mit Millionenbeträgen finanziert. Ein riesiges Studio wurde aufgebaut, circa zweihundert Mitarbeiter angestellt. Der Fehler: Statt erfahrene Regisseure, Zeichner und Künstler einzustellen, engagierten sie regimetreue Grafiker und junge Designerinnen, die frisch von der Modeschule kamen, jedoch vom Filmemachen wenig Ahnung hatten.

Herausgekommen ist letztlich nur ein einziger Kurzfilm: "Armer Hansi", die Geschichte eines Kanarienvogels. "Er fliegt aus seinem Käfig in die Freiheit und hat dann so viel Angst in der Freiheit und so viel Abenteuer und Ungemach erlebt, dass er zum Schluss wieder in den Käfig zurück flüchtet. Ich frage mich: Wer flieht denn aus der Freiheit zurück in den Käfig?! Aber das war eben das Denken damals, das fanden sie gut, dass man nur im Käfig sicher ist, in einer Diktatur. Und dieser Film wurde mit großem Aufwand hergestellt und war zum Schluss nur ein mittelmäßiger Erfolg", so Giesen.

Die Nationalsozialisten wollten weniger direkte Propaganda betreiben, sondern die heile Welt zeigen, um von den Sorgen und Nöten des Krieges abzulenken. Das Bestreben der Nazi-Führung, eine große Animationsindustrie zu schaffen, ist jedoch gescheitert. Gleichwohl haben sie Studios in den besetzten Gebieten finanziell unterstützt: in den Niederlanden, in Dänemark, in Belgien, Frankreich und in der Tschechoslowakei. "Deren Produktionen waren aber plötzlich viel besser als die der Deutschen." Vor allem in Dänemark begann man, einen abendfüllenden Zeichenfilm in Farbe zu produzieren: "Das Feuerzeug" entstand nach einem Märchen von Hans Christian Andersen. Nach 1945 blühte die Animationsproduktion überall in Europa auf - nur in Deutschland nicht.

Dreharbeiten in den DEFA-StudiosBild: Imago Images/H. Härtel

DIAF und die Chronologie des Trickfilms in Deutschland

Die meisten Animationsfilme aus den Anfangsjahren sind verschollen oder wurden vernichtet. Es gibt wenige Sammlungen und Experten, die sich dem Thema widmen. Das Deutsche Institut für Animationsfilm (DIAF) in Dresden hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte des Trickfilms in Deutschland in einer umfassenden Online-Chronologie zusammenzufassen. "Das DIAF wurde 1993 als Verein gegründet und hatte die Aufgabe, die Hinterlassenschaften des DEFA-Studios für Trickfilme Dresden, das nach der Wende abgewickelt wurde, zu retten und zu archivieren. Zugleich kam das selbsternannte Ziel hinzu, sich um diese Hinterlassenschaft auch wissenschaftlich, medienpädagogisch, publizistisch zu kümmern", sagt Dr. Volker Petzold, DIAF-Vorstandsmitglied. In den letzten 100 Jahren hat die Trickfilmindustrie viele Brüche erlebt.

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