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Literatur

Deutscher Buchpreis: Shortlist bekanntgegeben

Christine Lehnen
20. September 2022

Der mit 25.000 Euro dotierte Preis kurbelt die Verkäufe des Gewinners meist kräftig an. Die Shortlist in diesem Jahr erzählt vom modernen Deutschland.

Shortlist Deutscher Buchpreis 2022 | Finale: Die sechs ausgewählten Romane stehen nebeneinander.
Das sind die sechs Anwärter auf den Deutschen Buchpreis 2022Bild: vntr.media

Mit der Veröffentlichung der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht fest, welche sechs Romane sich Hoffnung auf die hochdotierte Auszeichnung machen dürfen. Der Deutsche Buchpreis wird häufig mit dem britischen Booker, dem französischen Prix Goncourt oder dem US-amerikanischen Pulitzer-Preis verglichen.

Die am Dienstag (20.9.2022) bekanntgegebene Shortlist stellt das ganze Panorama zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur dar: Vom Schelmen- und Kunstroman über den feministischen Arbeiterroman bis hin zur Postmigrantischen Literatur. Die Romane spielen im Hunsrück, Istanbul, oder der Schweiz, sie beschäftigen sich mit der menschlichen Dummheit, Genderfluidität und der Geschichte der Bundesrepublik aus der Sicht derer, die sie mit aufgebaut haben: Gastarbeiter.

"Ein Roman gibt sich eigene Gesetze und steht doch unweigerlich in Kontakt zur Gegenwart, in der er geschrieben und gelesen wird", so Jurysprecherin Miriam Zeh in der Pressemitteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis jährlich vergibt. Mit ihren Büchern würden die Autorinnen und Autoren Position beziehen, sie "zeigen sich streitbar und zugleich offen für den Dialog", fährt Zeh fort. "So laden wir mit der Lektüre dieser Shortlist auch ein, in einen Austausch zu treten und den eigenen Blick auf die Welt neu zu justieren.“

Hier ein Überblick über die diesjährigen Auserwählten, die es auf die Shortlist geschafft haben:

1. Fatma Aydemir: "Dschinns"

"Dschinns", veröffentlicht im Münchener Hanser-Verlag, ist bereits ein BestsellerBild: Hanser

In den letzten Jahren hat die deutsche Literatur endlich ihre Vielfalt entdeckt. Autorinnen und Autoren, die nicht in Deutschland geboren sind, oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren sind, erzählen vom Leben zwischen den Welten. Das Stichwort: "Postmigrantische Literatur" - die dennoch nur vom ganz normalen Leben in Deutschland erzählt, wo rund ein Viertel der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte besitzt.  

In "Dschinns" erfüllt sich Hüseyin, der 30 Jahre in Deutschland gearbeitet hat, den lebenslangen Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul. Am Tag des Einzugs stirbt er an einem Herzinfarkt. Die Beerdigung führt die ganze Familie zusammen. Fatma Aydemir erzählt in ihrem virtuosen Familienroman "Dschinns" vielstimmig von menschlichen Sehnsüchten, verpassten Träumen, großen und kleinen Geheimnissen und deutscher Nachkriegsgeschichte.

2. Kristine Bilkau: "Nebenan"

Der Luchterhand-Verlag, der zum globalen Großverlagshaus Penguin Randomhouse gehört, veröffentlichte "Nebenan"Bild: Luchterhand

Wohlbekannt für ihre zurückgenommene Prosa, schreibt Kristine Bilkau in "Nebenan" über die Themen, die sie bisher in allen ihren Romanen beschäftigt haben: Das Leben, die Sorgen und Neurosen der gehobenen Mittelklasse. In einem Städtchen ohne Namen am Nord-Ostsee-Kanal trifft eine 30-jährige schüchterne Frau, die aus der Großstadt aufs Land gezogen ist, auf eine etablierte 60-jährige Hausärztin, die seit Jahrzehnten ihre Praxis in dem Ort betreibt. Eine Nachbarsfamilie verschwindet spurlos, die Ärztin erhält Drohbriefe, das Städtchen verändert sich schleichend.

Bilkau erzählt mit subtiler Spannung von den diffusen Ängsten der wohlsituierten Mittelschicht in Deutschland.

3. Daniela Dröscher: "Lügen über meine Mutter"

"Lügen über meine Mutter" ist im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenBild: Kiepenheuer & Witsch

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie, entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.

Einerseits Erzählung über eine Kindheit auf dem Land im Hunsrück, ist dieser Roman auch eine Verhandlung darüber, wie wir von heute auf die Frauenfeindlichkeit der Vergangenheit blicken - und wie diese die Gesellschaft noch heute verfolgt. Eine Tochter erzählt von ihrer Mutter, die in Polen geboren und nach Deutschland gekommen ist, erlaubt ihr, sowohl komplexe Persönlichkeit als auch starkes Vorbild zu sein.

"Lügen über meine Mutter" ist auch ein Klassenroman. Daniela Dröscher hat sich dem Thema bereits in der Vergangenheit angenommen: Ihre Memoiren über das Aufwachsen als Arbeiterkind in Deutschland erschienen 2018 unter dem Titel "Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft".

4. Jan Faktor: "Trottel"

"Trottel" ist ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienenBild: Kiepenheuer & Witsch

Was ist der Grund für meine gute Laune?

Einfach alles.

So beginnt der Roman von Jan Faktor - und wenn eines angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie, Energiekostenkrise und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine dringend nötig scheint, dann gute Laune. Dieser Schelmenroman bietet genau das: Leserinnen und Leser folgen dem Schicksal eines Mannes, der sich selbst als Trottel bezeichnet, und sein Trottelsein voll und ganz auskostet - zum nicht enden wollenden Vergnügen der Lesenden.

Wie im Schelmenroman üblich, ist der Trottel natürlich eigentlich dazu da, seine Umgebung zu entlarven: Die Rotwein-schlürfenden Intellektuellen, die eigene Schwiegermutter, den noch trotteligeren Sohn. Wer sich nicht in der ein oder anderen Szene wiedererkennt, ist vermutlich vor allen Dingen eines: ein klein wenig trottelig.  

5. Kim de l’Horizon: "Blutbuch"

"Blutbuch" ist ebenfalls in einem Kölner Verlagshaus erschienen: bei DumontBild: Dumont

Die nicht-binäre Erzähler:in von "Blutbuch" lebt in Zürich, nachdem sie aus dem kleinen, konservativen Dorf in der Schweiz geflohen ist, in dem sie aufgewachsen ist. In der Großstadt ist sie mit ihrem Leben zufrieden und kann ihre Identität frei leben.

Als ihre Großmutter an Demenz erkrankt, beginnt für die Erzähler:in das Nachdenken: Sie spricht ihre Großmutter im Roman direkt an, beginnt mit einer Auflistung von all den Themen, über die sie nie gesprochen haben, unter anderem die fluide Geschlechtsidentität der Protagonist:in oder den Rassismus der Großmutter.

Geheimnisse und Schweigen in Familien sind ein so beliebtes wie zeitloses Thema in der Literaturgeschichte. De l’Horizon begegnet dem Thema durch ihre nicht-binäre Protagonist:in aus einer neuen Perspektive und fügt den vielfältigen Vorwürfen, die man sich in Familien macht, einen weiteren hinzu. Nachdem die Bundesregierung im Juni 2022 Eckpunkte für ein Gesetz zur einfachen Änderung des Geschlechtseintrags vorgestellt hat, kommt "Blutbuch" politisch zum richtigen Zeitpunkt - und rundet eine Shortlist ab, die die moderne Gesellschaft darstellt, zu der die Bundesrepublik im 21. Jahrhundert geworden ist.

6. Eckhart Nickel: "Spitzweg"

Eckhart Nickels Roman "Spitzweg" ist im Piper-Verlag erschienenBild: Piper

In Nickels Roman entdecken drei Schüler, zwei Jungen und ein Mädchen, die Anziehungskraft der Kunst. Der Erzähler bewundert Carl, einen Jungen, der kurz vor dem Abitur an seine Schule kommt. Um ihn zu beeindrucken, verteidigt er seine Mitschülerin Kirsten nicht, als die Kunstlehrerin ihr für ihr Selbstporträt "Mut zur Hässlichkeit" bescheinigt. Ein Männerbuch über Kunst, eine Dreiecksbeziehung, ein hochbegabtes Mädchen und raffinierte Rachepläne.

Eckhart Nickel war schon einmal für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2019 stand er mit seinem Roman "Hysteria" auf der Longlist.

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