Keine Gala, dafür eine TV-Show ohne Publikum - der höchstdotierte deutsche Kulturpreis muss sich bei seiner 70. Ausgabe in schwierigen Zeiten anpassen. Ein Blick auf die Favoriten - und eine verunsicherte Branche.
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Deutscher Filmpreis 2020: die Nominierten
Von "Berlin Alexanderplatz" bis "Undine" - bei den Nominierungen für den Deutschen Filmpreis 2020 gab es keine großen Überraschungen. Zwei Preisträger stehen schon im Vorfeld der Preisvergabe am 24. April fest.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen
Berlin Alexanderplatz
Sechs Filme wurden in der Königskategorie "Bester Spielfilm" nominiert. Dabei ist auch der gerade bei der 70. Berlinale uraufgeführte "Berlin Alexanderplatz". Regisseur Burhan Qurbani hat den literarischen Stoff von Alexander Döblin aus dem Berlin der 1920er Jahre in die Gegenwart transportiert - und ein eindrucksvolles, dreistündiges Epos über Flucht, Migration und Großstadtleben geschaffen.
Bild: Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany
Es gilt das gesprochene Wort
Auch "Es gilt das gesprochene Wort" von Regisseur İlker Çatak greift brennende Themen der deutschen Gegenwart auf - und weist einige Parallelen zu "Berlin Alexanderplatz" auf. Hier ist es ein Kurde (gespielt von Oğulcan Arman Uslu), der in Deutschland Fuß fassen will und sich dabei auf eine Scheinehe mit einer Deutschen einlässt.
Bild: Filmfest München 2019/Erik Mosoni
Undine
Regisseur Christian Petzold wird in den Statistiken des Deutschen Filmpreises als diejenige Persönlichkeit geführt, die bisher am häufigsten nominiert wurde - den Preis aber nie erhalten hat. Nun hat er mit seinem zwischen Märchen und Gegenwartsdrama changierenden Film "Undine" wieder eine Chance. Auch "Undine" (mit Paula Beer) feierte seine Welturaufführung gerade bei der 70. Berlinale.
Bild: Christian Schulz/Schramm Film
Lara
Ein intensives Schauspieler-Drama ist der Film "Lara", Nummer 5 auf der Liste der sechs nominierten Filme in der Königskategorie. Regisseur Jan-Ole Gerster erzählt die von Corinna Harfouch ungeheuer eindrucksvoll gespielte Frau, die eine Pianistinnen-Laufbahn abbrechen musste und die nun ihren Frust und ihre Leidenschaft bei ihrem Sohn ablädt - ebenfalls Pianist, gespielt von Tom Schilling.
Bild: FILMFEST MÜNCHEN 2019/STUDIOCANAL/Frederic Batier
Lindenberg! Mach Dein Ding
Eine Zeitreise in die Bundesrepublik der 1960er und 70er Jahre bietet die sehr unterhaltsame Musiker-Biografie "Lindenberg! Mach Dein Ding", der die Frühphase der Karriere Udo Lindenbergs präsentiert. Regisseurin Hermine Huntgeburth schafft es - nicht zuletzt mit ihrem hervorragenden Hauptdarsteller Jan Bülow - einen Mix aus Musikerfilm, Zeitkolorit und Drama auf die Leinwand zu zaubern.
Bild: DCM/Letterbox/Gordon Timpen
Systemsprenger
Schließlich macht der vielfach ausgezeichnete "Systemsprenger" das halbe Dutzend Filme voll, das sich nun am 24. April um den Hauptpreis in der Kategorie "Bester Spielfilm" bewirbt. Regisseurin Nora Fingscheidt und ihre eindrucksvolle Erzählung eines Kindes (Helena Zengel), das scheinbar in kein deutsches Erziehungs-System passen will, war als deutscher Beitrag zum Oscar eingereicht worden.
Bild: Yunus Roy Imer/Port au Prince Pictures
Born in Evin
In der zweiten Hauptkategorie "Bester Dokumentarfilm" schafften es drei Werke in die Endausscheidung. Neben "Schlingensief" (über den 2010 verstorbenen Regisseur) und "Heimat ist ein Raum aus Zeit" (ein Kino-Essay über deutsche Geschichte) wurde als dritter Film "Born in Evin" (Foto) nominiert - ein persönlicher Rückblick von Maryam Zaree, die in einem berüchtigten Gefängnis in Iran geboren wurde.
Bild: Tondowski Films
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Die dritte Hauptkategorie beim 70. Deutschen Filmpreis, "Bester Kinderfilm", sieht lediglich zwei Werke in der Endausscheidung. "Fritzi - eine Wendewundergeschichte" ist ein Animationsfilm für Kinder über deutsch-deutsche Geschichte. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (unser Foto: Riva Krymalowski) ist die Literaturverfilmung eines populären Romans von Judith Kerr, inszeniert von Caroline Link.
Bild: Sommerhaus/Warner Bros.
Das perfekte Geheimnis
Fest steht bereits die Auszeichnung in der Kategorie "Besucherstärkster Film". Hier machte "Das perfekte Geheimnis" von Regisseur Bora Dagtekin das Rennen. Die Komödie ist ein Remake eines italienischen Kassenschlagers und ist mit einer Reihe prominenter deutscher Darsteller besetzt (u.a. Karoline Herfurth und Elyas M’Barek). "Das perfekte Geheimnis" zog bisher über fünf Millionen Besucher an.
Bild: 2019 Constantin Film/Lucia Faraig
Ehrenpreis 2020: Edgar Reitz
Und auch er hat den Filmpreis schon sicher: Edgar Reitz. Der Regisseur, der 1984 mit "Heimat" eine Spielfilm-Serie schuf, die dem deutschen Kino weltweit Anerkennung verlieh, ist Ehrenpreisträger. Reitz wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er war einer der Gründerväter des "Neuen Deutschen Films" in den 1960er Jahren und drehte seither vielfach ausgezeichnete Spiel- und Dokumentarfilme.
Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase
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"Es wird wieder Sehnsucht nach Kino geben", gibt sich Martin Moszkowicz, Chef der großen deutschen Filmproduktionsfirma "Constantin", in einem Interview optimistisch. "Es gab eine Zeit vor Corona, und es wird eine Zeit danach geben", so Ulrich Matthes, Präsident der Deutschen Filmakademie kurze Zeit später. Man spüre, selbst in ihrer Abwesenheit, die Energie, die ein Kino- oder Theaterbesuch den Menschen schenkt, fügte Matthes noch hinzu.
Eine ganze Kultur-Branche liegt im Koma
Ist dies nun Zweckoptimismus oder eine realistische Einschätzung? Die Filmtheater sind derzeit geschlossen: keine Filme, keine Zuschauer, keine Einnahmen. Die Kino-Branche liegt derzeit, wie so viele andere auch, darnieder. Aber es ist ja noch schlimmer: Denn die Kinos, ob große Multiplex-Betriebe oder kleinere Arthaus-Spielstätten, sind nur ein Baustein in einer komplexen Kultursparte. Auch in Sachen Produktion passiert derzeit nicht viel. Überall in der Republik ruhen wegen der Corona-Krise die Dreharbeiten.
Hilfe wird von allen Seiten angekündigt. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat ein umfangreiches Hilfspaket für die Kultur und Zeit "danach" versprochen, von dem auch die Kinobranche profitieren soll. "Danach" heißt: Wenn der Alltag in Deutschland wieder Fuß fassen kann, wenn Kulturveranstaltungen wieder stattfinden können. Wann das sein wird, kann allerdings derzeit niemand sagen. Die Kinobranche gilt als besonders sensibel - weil sie von verschiedenen Komponenten abhängig ist.
Eine Normalität in der Film-Branche liegt noch in weiter Ferne
Das hat mehrere Gründe. Ein Kinobesuch heißt ja immer auch: Viele Menschen sitzen dichtgedrängt in einem dunklen Raum - derzeit wegen der Ansteckungsgefahr durch das Virus undenkbar. Und: Auch Dreharbeiten leben vor allem von Nähe und Intimität. Kaum denkbar, dass an einem Drehort, an dem Regisseure, Techniker und Schauspieler eng und intensiv zusammenarbeiten - mit dem so viel zitierten Sicherheitsabstand von 1,50 Meter -, in naher Zukunft arbeiten können.
Auch die vielen kleinen und großen Filmfestivals, die eine so wichtige Startrampe für neue Filme darstellen, finden derzeit nicht statt. Eine ganze Branche liegt also im Tiefschlaf.
Wann wieder Normalität einkehren wird, kann derzeit niemand ernsthaft prognostizieren. Man darf gespannt sein, was Ulrich Matthes beim bevorstehenden Deutschen Filmpreis am 24. April sagen wird. Oder Monika Grütters. Sie werden sicherlich Mut machen - viel anderes bleibt ihnen auch kaum übrig. Sie werden dann, am Abend der Verleihung, in Fernseh-Kameras sprechen. Auf die festliche Gala, normalerweise ein Höhepunkt im deutschen Kinojahr, muss diesmal aus naheliegenden Gründen verzichtet werden.
Mit dem Deutschen Filmpreis sind Fördergelder verbunden
Doch den Deutschen Filmpreis wird es auch 2020 geben. Schließlich handelt es sich um den höchstdotierten deutschen Kulturpreis überhaupt. Er wird von den rund 2000 Mitgliedern der "Deutschen Filmakademie" vergeben - das Prozedere ähnelt dem des Oscar. Mit einem wichtigen Unterschied: In Deutschland fließt Geld. Fast drei Millionen Euro werden an die Nominierten und dann natürlich an die Sieger ausgeschüttet. Es ist mit der Auflage verbunden, in neue Projekte zu investieren.
Bereits im März machten sich die Verantwortlichen der Filmakademie Gedanken, wie der Deutsche Filmpreis in diesem Jahr verliehen werden könnte. Ein kompletter Ausfall stand nie zur Debatte. Warum auch? Die Nominierungen stehen seit dem 11. März 2020 fest. Es galt nur noch, die Siegerkandidaten auszuwählen. Die werden nun bei einer live ausgetragenen Fernsehshow verkündet - natürlich ohne Zuschauer.
Sehnsuchtsort Kino muss warten
Die "Sehnsucht nach Kino" ist, da darf man Martin Moszkowicz ohne Abstriche folgen, nach wie vor vorhanden - das sieht man, wenn man sich die Streamingzahlen der Filme anschaut, die gerade überall bei den verschiedenen Portalen angeboten werden. Es sind vor allem Filme, die fürs Kino produziert wurden. Und die nun auf kleinem Bildschirm konsumiert werden.
Das mag für eine Zeit lang in Ordnung sein. Doch auf Dauer wird die Sehnsucht nach einem realen Kinobesuch wachsen. Kino bietet ein unvergleichliches Gemeinschaftserlebnis. Und Kino hat einen unschlagbaren Vorteil: Filme werden auf großer Leinwand projiziert, ohne Toilettenpause, ohne Stopptaste, ohne ablenkende Gespräche, Kommentare und sonstige Unterhaltung - das setzt eine höhere Konzentration und eine ganz andere emotionale Reaktion beim Zuschauer frei.