Der steile Aufstieg des Robin Gosens
20. Mai 2020Seinen ersten Titel verdankt Robin Gosens seinen Fans: Bei der Publikumswahl zum Deutschen Fußball Botschafter 2020 gewann der 25-jährige Profi von Atalanta Bergamo in einem Online-Voting vor Dzsenifer Marozsán (Olympique Lyon) und Toni Kroos (Real Madrid). Die Auszeichnung erhielt Gosens zunächst virtuell, denn die ursprünglich für kommende Woche geplante Verleihungsveranstaltung sagte der Verein Deutscher Fußball Botschafter aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen ab. In einer Videobotschaft bedankte sich der Verteidiger: "Ich freue mich gigantisch über diese Auszeichnung und sehe sie als Bestätigung für die Entwicklung, die ich vor allem in dieser Saison genommen habe", sagt Gosens. Dass in dieser Aussage auch eine kräftige Portion Selbstbewusstsein durchschimmert, hat gute Gründe.
Beim BVB fiel er durch
Gosens hat sich durchgesetzt, nach oben gespielt. Er hat maßgeblichen Anteil am sportlichen Aufstieg von Atalanta Bergamo, dem Überraschungs-Champions-League-Viertelfinalisten auf dem Norden Italiens. Als kraftvoller, vielseitiger Außenverteidiger räumt er nicht nur auf Bergamos linker Seite auf, er schaltet sich auch aktiv ins Spiel nach vorne ein: Acht Tore und fünf Vorlagen in bisher 30 Saisonspielen zeugen von seiner offensiven Klasse. Und die wird inzwischen auch weit jenseits der Grenzen der Serie A wahrgenommen. Die Tatsache, dass ihn die Fans für seine gezeigten Leistungen auszeichnen, macht Gosens stolz: "Wenn man sich dann gegen so namhafte Kollegen durchsetzt, heißt das vielleicht, dass mich einige Leute cool finden und wertschätzen, wie ich mich als Person gebe und was ich auf dem Platz leiste. Deswegen sehe ich den Preis auch als Motivation an, meinen Weg genauso weiterzugehen."
Sein Weg begann in einem kleinen Dorf an der deutsch-niederländischen Grenze: In Elten am Niederrhein lernte Gosens als Sechsjähriger bei Fortuna Elten das Fußballspielen, arbeitete sich durch die Jugendligen, konnte als A-Jugendlicher in einem Probetraining bei Borussia Dortmund aber nicht überzeugen. Gosens zog damals nach eigener Aussage gerne mit seinen Freunden um die Häuser. Ein Profivertrag schien weit weg.
Bei einem Amateurspiel konnte der Sohn eines niederländischen Vaters und einer deutschen Mutter aber die Scouts des niederländischen Vereins Vitesse Arnheim auf sich aufmerksam machen. Der Klub, der damals vom heutigen Leverkusener Coach Peter Bosz trainiert wurde, verpflichtete ihn, lieh ihn aber nach einem halben Jahr nach Dordrecht in die 2. Liga aus. Der Durchbruch oder gar ein Transfer in die Bundesliga schienen in weiter Ferne. Anderthalb Jahre später wechselte Gosens zu Heracles Almelo, wo er zwei Saisons spielte. Die Wende seiner Karriere gelang ihm schließlich mit dem Transfer in die Serie A in Italien: Bei Atalanta Bergamo erreichte er zunächst das Achtelfinale der Europa League und nun das Viertelfinale der europäischen Königsklasse.
Eine überraschende Meldung
Erfolge, die den Bundestrainer auf Gosens aufmerksam machten. Joachim Löw reiste mehrfach nach Norditalien, um Gosens zu sehen - wohl auch, weil das DFB-Team seit langer Zeit nach einem starken Linksverteidiger sucht. Für die Länderspiele im März war Gosens fest eingeplant, sagte der Bundestrainer dem "Kicker": "Schade, dass jetzt erst mal nichts daraus geworden ist, aber wir behalten ihn im Auge, sobald der Ball wieder rollt", so Löw. "Er ist ein vielseitig einsetzbarer Spieler, dessen Dynamik, Einsatzfreude und Zielstrebigkeit beeindruckend sind." Gosens reagierte erfreut und überrascht, denn er wusste von nichts. Aus den Medien erfuhr er von seiner geplanten Nominierung.
Doch dann kam das Virus. Und es traf Gosens Wahlheimat Bergamo mit voller Wucht. Das Coronavirus wütete in der Stadt und ganz Norditalien, brachte das Gesundheitssystem ans Limit und viel Leid für die Bürger. Die Todesanzeigen füllten mehrere Seiten in den Lokalzeitungen, die Bestattungsunternehmen kamen kaum hinterher. Rund 3000 Menschen starben an den Folgen der Pandemie. "Außer Rand und Band" erlebte Gosens die Stadt nordöstlich von Mailand.
Das "Game zero" der italienischen Corona-Krise
Und möglicherweise war ausgerechnet ein Spiel von Atalanta Bergamo eine Ursache des Ausbruchs. Das Achtefinalspiel zwischen Bergamo und dem FC Valencia im Februar brachte die Italiener in der Champions League eine Runde weiter, doch der Preis dafür war unfassbar hoch. Das Spiel, ausgetragen im San Siro Stadion in Mailand, gilt vielen Italienern als Brutstätte der Corona-Krise im Land. Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" nannte das Spiel eine "biologischen Bombe", andere sprechen vom "Game zero", dem Ausgangsort des italienischen Corona-Dramas.
Für Gosens begann eine achtwöchige Quarantänezeit, die ihn nachdenklich gemacht hat. "Haben wir nicht andere Sorgen?", sagte er dem ZDF mit Blick auf die Wiederaufnahme des Spielbetriebs im Fußball. "Da stelle ich mir die Gerechtigkeitsfrage, wenn ich ehrlich bin." Gosens zeigte sich schon vor der Krise reflektiert und mit einem gewissen Abstand zu seiner Branche: "Viele der Jungs, die ihren Fußball schon früh auf den Fußball ausgerichtet haben, denken nur an sich. Das meine ich nicht wertend, ich stelle es nur fest", sagte er dem Fußball-Magazin "11Freunde".
Ein Herz für Königsblau
Gosens Gedanken drehten sich zuletzt vor allem um die Gesundheit. Sein Teamkollege Marco Sportiello erkrankte am Corona-Virus, mehrere Gegner vom besagten Spiel gegen Valencia ebenfalls. An Fußball wollte er lange Zeit nicht denken. Ob die Serie A wie die Bundesliga ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen wird, steht aktuell noch nicht fest. Der früheste Termin, den die italienische Regierung nannte, ist der 12. Juni. So kommt die gute Nachricht von der Preisverleihung für Gosens gerade recht. Die Auszeichnung Deutscher Fußballbotschafter ehrt deutsche Spieler und Trainer, die sich um das positive Image des hiesigen Fußballs verdient gemacht haben. Das hat Gosens getan, er hat in Bergamo viele Anhänger.
Sein steiler Aufstieg vom Amateurkicker zum Fast-Nationalspieler ist durch die Pandemie unterbrochen worden. Seinen Lauf will er unbedingt fortsetzen, zeigen, was er kann. Zunächst noch weiter in Bergamo, wo Robin Gosens inzwischen neuerlangte Freiheiten genießt und mit seiner Partnerin Rabea wieder durch die Straßen flanieren kann: "Es fühlt sich sehr, sehr besonders an."
Möglicherweise flaniert das Paar ab Sommer durch eine andere europäische Stadt. Denn Gosens hat zwar einen noch bis 2023 gültigen Vetrag in Bergamo, doch bei einem entsprechenden Angebot, wird die Überraschungsmannschaft aus der Lombardei wohl kaum auf das gebotene Geld verzichten können. Der FC Chelsea, Inter Mailand, aber auch Klubs aus der Bundesliga wie Borussia Dortmund oder Eintracht Frankfurt haben nach Medienberichten Interesse an einer Vepflichtung. Und der Umworbene machte keinen Hehl daraus, das sein Ziel die Bundesliga bleibt - ein Kindheitswunsch. Und auch das ist eher ungewöhnlich für einen Fußballprofi: Gosens sagt klipp und klar, für welchen Klub sein Herz schon lange schlägt. "Wenn Schalke anklopft, gehe ich.“ Man dürfte es gehört haben in Gelsenkirchen.