Deutscher Musikrat feiert 70. Geburtstag
19. Oktober 2023Die Musikwelt blickt erstaunt und bisweilen auch ein wenig neidisch auf Deutschland - eine Nation, die nicht nur 130 öffentlich geförderte Berufsorchester und acht Dutzend Opernhäuser hat, sondern auch 15 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die regelmäßig Musik machen, ob als Profis oder passionierte Laien. Von über 600 kleineren und größeren Festivals sowie zahlreichen Musikverlagen, Wettbewerben und Bildungsstätten für Musikerinnen und Musiker ganz zu schweigen.
Das Musikland Deutschland floriert - allen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen und üblen Nachreden vom Aussterben der klassischen Musik zum Trotz. Dass es so ist, ist nicht zuletzt einer Institution zu verdanken, die eher im Hintergrund agiert: dem Deutschen Musikrat (DMR). Bei aller Bescheidenheit bezeichnet sich der DMR als der "größte nationale Dachverband der Musikkultur weltweit".
Der DMR - eine Stimme für Millionen
Die Organisation, die von einem schönen Altbau am Rande der Bonner Innenstadt aus die Geschicke der Musiknation Deutschland steuert, ist mit einem gut funktionierenden Motor zu vergleichen: er läuft leise, ist zuverlässig und verbraucht wenig. Knapp 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen es, die Interessen von Millionen Menschen zu vertreten, die in Deutschland Musik machen. Ohne viel Tamtam.
Der DMR steuert Geld- und Informationsströme, strukturiert Prozesse, baut Netzwerke, fördert Talente. "So etwas wie den Deutschen Musikrat gibt es weltweit nicht nochmal", sagt Stefan Piendl, der die Institution seit fünf Jahren leitet. "Ziemlich alles, was in Deutschland irgendwie mit Musik zu tun hat, ist im Deutschen Musikrat zusammengeschlossen." Über 100 Dachverbände des Musiklebens sind Mitglied.
"Für mich ist der DMR ein Zentrum der inhaltlichen musikpolitischen Diskussionen auf der einen Seite und das Kompetenzzentrum für herausragende Projekte auf der anderen Seite", sagt Sönke Lentz, Direktor des Bundesjugendorchesters. "Hier werden kulturelle Bildung, musikalische Karrieren und inspirierende Begegnungen ermöglicht und begleitet. Ohne diese Arbeit wäre die Musiklandschaft in Deutschland kaum vorstellbar."
Aber auch leise Akteure dürfen sich einmal feiern lassen: Am 19. Oktober lädt der Deutsche Musikrat zu einer Geburtstagsparty in die Berliner Philharmonie ein - mit einem Konzertprogramm, das divers ist wie der Verband selbst: vom Bundesjugendorchester bis zum Handglockner-Chor aus Gotha ist einiges geboten.
Denkfabrik und Herzenssache
Stefan Piendl sitzt in seinem Bonner Büro. Sein Arbeitsplatz ist schlicht, die Wand schmückt eine Tafel mit Logos einiger Projekte, die der DMR steuert: Bundesjazzorchester, Deutscher Chorwettbewerb, European Workshop for Contemporary Music, Deutsches Musikinformationszentrum, Dirigentenwettbewerb, um nur einige zu nennen.
Wichtig sind die Projekte Piendl allesamt. Besonders stolz ist er aber vielleicht auf die jüngsten Projekte, etwa auf die Gründung des nationalen Bundesjugendchores vor drei Jahren. Oder darauf, dass der Deutsche Musikrat damit betraut wurde, 74 Millionen Euro öffentliche Fördergelder an tausende musizierende, komponierende und singende Menschen in Deutschland zu verteilen, die an den Folgen der Corona-Pandemie litten und leiden. "Neustart Kultur" hieß die nationale Initiative zur Rettung der Musiklandschaft. Vielen Künstlern bot sie die ersehnte Chance, weiter in der Musikwelt tätig sein zu können und sich nicht nach etwas Neuem umschauen zu müssen.
Auch die Unterstützung des ukrainischen Jugendorchesters liegt dem DMR-Chef persönlich am Herzen. Schließlich stand das deutsche Bundesjugendorchester 2017 Pate bei der Gründung des ukrainischen Pendants. Es entwickelte sich eine enge Partnerschaft, ja Freundschaft. Ob Spendensammlung oder Vermittlung von Studienplätzen, für viele ukrainische Musikerinnen und Musiker war die Unterstützung aus Deutschland regelrecht eine Rettung nach dem Kriegsausbruch.
"Musik stärkt das Gute in den Menschen"
1953, als es zur Gründung des Deutschen Musikrates kam, war die Welt noch von den Folgen des Zweiten Weltkriegs erschüttert. Dass die Musik den Krieg hätte stoppen können, diese Illusion hegte wohl schon damals keiner. "Dennoch sind wir überzeugt, dass sich das gemeinsame Musizieren und die Fähigkeit, einander zuzuhören, positiv auswirkt - sowohl auf jeden Einzelnen, als auch auf die Gesellschaft im Allgemeinen", sagt Stefan Piendl. "Man kann zwar nicht mit Musik allein eine gute, funktionierende Gemeinschaft bilden. Aber sie trägt eben dazu bei."
Die Musik stärke das Gute in den Menschen. Das ist ein Grund zum Feiern - und eine Verpflichtung zum Weitermachen.