Deutscher Reggae für Afrika
25. Februar 2014"Unglaublich" - immer und immer wieder muss der deutsche Reggae-Musiker Gentleman das Wort wiederholen, während er sich durch einen Berg alter Schallplatten kämpft. "Das ist der beste Plattenladen der Welt", schwärmt er. "Unglaublich", denn das Jazzhole liegt nicht etwa in London oder New York - sondern in der nigerianischen Chaos-Metropole Lagos.
"Es brodelt hier ganz viel"
Auf seiner Afrika-Tour machte Gentleman neben Südafrika, Senegal, der Elfenbeinküste und Äthiopien auch in Nigeria Halt. Es ist sein zweiter Besuch in der pulsierenden Millionenstadt, dieses Mal auf Einladung des Goethe-Instituts. Im Plattenladen trifft Gentleman den deutsch-nigerianischen Musiker Adé Bantu. In ihrer Jugend sind beide gemeinsam in Köln Skateboard gefahren, mittlerweile lebt Adé Bantu in Lagos.
"Es hat sich viel in der nigerianischen Musikszene getan in den letzten Jahren", erklärt Bantu seinem Jugendfreund. "Es ist ein neues Selbstbewusstsein zu spüren." Vor allem nigerianische Pop-Musik hat sich international einen Namen gemacht. In ganz Afrika laufen Songs aus Nigeria, der Pop-Musiker D'Banj ist mit Liedern wie "Oliver Twist" auch in Europa erfolgreich.
"Ich habe den Eindruck, dass hier ganz viel brodelt und es eine unglaubliche musikalische Kultur gibt", sagt Gentleman, der mit bürgerlichen Namen Tilmann Otto heißt. Seit seiner Jugend reist der Pfarrersohn regelmäßig nach Jamaika. Mittlerweile ist er 39 Jahre alt - und macht seit zwei Jahrzehnten Reggae-Musik. 2004 landete er mit "Superior" einen Hit, 2010 kletterte sein Album "Diversity" auf Platz 1 der deutschen Charts. Dabei war ihm stets der Austausch mit anderen Künstlern wichtig - so auch auf seiner Tour durch Afrika.
Gemeinsame afrikanische Wurzeln
"Das Mutterland von Reggae ist Jamaika, aber ganz viele Ursprünge kommen aus Afrika - und das spürt man hier ganz deutlich", erzählt Gentleman auf dem Weg zum Soundcheck vor seinem Auftritt. Links neben ihm sitzt seine Frau Tamika, die ihn als Background-Sängerin begleitet. Rechts neben ihm zieht am Autofenster Lagos vorbei. Glänzende Geländewagen, gigantische Baukräne, achtspurige Brücken. Dann wieder überfüllte Kleinbusse, holprige Sandpisten, heruntergekommene Wellblechhütten. Das Ziel der Autofahrt ist der legendäre New Afrika Shrine, hier soll Gentleman am Abend ein Konzert geben. Es ist ein Ort mit Geschichte, denn er gilt als Herz des sogenannten Afrobeat.
Fela Kuti ist der Begründer der Musikrichtung, die traditionelle Yoruba-Klänge, die Musik der größten Volksgruppe in Lagos, mit Funk, Jazz und anderen Elementen verbindet. Sein Sohn Femi führt im New Afrika Shrine das Erbe seines Vaters fort. An diesem Abend will er sich zusammen mit Gentleman die Bühne teilen. Ein gewagtes Experiment, denn auch wenn Afrobeat und Reggae gemeinsame afrikanische Ursprünge haben, so unterscheiden sie sich musikalisch doch deutlich. "Afrobeat ist wesentlich komplexer. Reggae ist etwas monotoner und hat einen anderen Groove als Afrobeat", erklärt Gentleman vor dem Konzert.
Musik als politisches Druckmittel
Trotz aller Unterschiede genießen die Fans und die beiden Künstler ihren Auftritt im gut gefüllten Shrine - auch wenn Gentlemans aus Deutschland mitgereister Tontechniker für die Akustik der Halle nur ein trauriges Kopfschütteln übrig hat. Doch darum geht es an dem Abend nur nebenbei, denn sowohl Femi Kuti als auch Gentleman haben eine wichtige Gemeinsamkeit: "Viele Reggae-Musiker wollen mit ihren Texten Botschaften verbreiten", sagt Femi Kuti. "Genau das versuchen wir beim Afrobeat auch."
In vielen seiner Lieder kritisiert Femi Kuti Missstände in der Gesellschaft - wie die allgegenwärtige Korruption in Nigeria. Femis Vater Fela Kuti wurde wegen seiner kritischen Texte in den 1970er Jahren von der damaligen Militärregierung sogar ins Gefängnis gesteckt, musste zeitweise das Land verlassen. "Ganz einfach: Reggae und Afrobeat sind beides Musikrichtungen für die Unterdrückten", fasst es Gentleman zusammen. "Radikal und trotzdem süß. Zeitlos und trotzdem traditionell."
Kaum eine Überraschung also, dass sich der Kölner Reggae-Musiker kurz vor Abreise in seinem neuen Lieblingsplattenladen noch mit einem halben Dutzend Afrobeat-Platten eindeckt.