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Politik

Deutscher YPG-Kämpfer in Nord-Syrien getötet

Naomi Conrad
4. November 2019

Konstantin G. hatte gegen den IS gekämpft, in Syrien, auf Seiten der kurdischen YPG. Im Oktober wurde der Deutsche getötet, mutmaßlich durch einen türkischen Luftangriff. Die DW sprach mit seinen Eltern.

Irak Sindschar-Gebirge YPG-Kämpfer
Konstantin G. im Shingalgebirge - wenige Wochen vor seinem TodBild: privat

Die letzte Nachricht, die Konstantin G. an seine Eltern schickte, bestand nur aus wenigen Worten: "Ich muss weg." Drei Tage später war er tot. Getötet durch einen türkischen Luftangriff auf die Stadt Ras-al-Ain im Nordosten Syriens, davon sind seine Eltern überzeugt.

Konstantin G. war einer von hunderten internationalen Freiwilligen bei der linksgerichteten kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG. Die galten bis vor kurzem als wichtigster Verbündeter der USA bei der Bodenoffensive gegen den selbsternannten "Islamischen Staat".

YPG: Der verlassene Bündnispartner

Kämpfer der YPG stellen die Mehrheit der "Syrischen Demokratischen Kräfte" (engl. Syrian Democratic Forces, kurz SDF). Dem 2015 im syrischen Bürgerkrieg entstandenen Militärbündnis gehören neben kurdischen auch arabische oder christliche Einheiten an. Sie alle unterstützten den von den USA geführten Kampf gegen den IS. Mehr als 10.000 Kämpfer aus den Reihen der SDF bezahlten diesen Einsatz mit ihrem Leben.

Mitte Oktober hatte US-Präsident Donald Trump überraschend den Abzug der US-amerikanischen Truppen aus dem Norden Syriens angekündigt. Für die lokalen Partner der USA auf dem Boden ein verhängnisvoller Schritt: Von einem Tag auf den anderen standen sie ohne ihre wichtigste Schutzmacht da.

Nur wenige Stunden, nachdem sich die US-Soldaten mit ihrem Abzug den Weg frei gemacht hatten, startete der türkische Präsidenten Recep Tayyib Erdogan eine Militäroffensive. Türkische Truppen und mit der Türkei verbündete Milizen rückten in die kurdisch kontrollierten Gebiete in Nordsyrien vor. Erdogan will die YPG aus dem Grenzgebiet vertreiben und einen 30 Kilometer tiefen "Sicherheitskorridor" entlang der türkischen Grenze einrichten.

Die Türkei sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und stuft sie als Terrororganisation ein. International und auch in Deutschland wurde die türkische Invasion heftig kritisiert.

Der Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien hatte Anfang Oktober den Weg für die türkischen Truppen frei gemachtBild: picture-alliance/AP Photo/Baderkhan Ahmad

Vom Gerücht zur traurigen Gewissheit

Im Zuge der türkischen Offensive wurde die Lage in Syrien innerhalb kürzester Zeit immer chaotischer und unübersichtlicher. So dauert es mehrere Tage, bis die Nachricht vom Tod ihres Sohnes die Eltern von Konstantin G. in Deutschland erreicht.

Die Eltern stehen danach unter Schock. Trotzdem erklären sie sich bereit zu einem Interview mit der DW - unter der Voraussetzung, dass nicht der volle Name von Konstantin preisgegeben wird. Sie wollen die Identität ihrer Familie schützen.

Zunächst seien es nur Gerüchte gewesen: Es hieß, dass ein ausländischer Kämpfer gestorben sei. Unermüdlich recherchieren die Eltern im Internet, in sozialen Netzwerken. Sie wollen Gewissheit, versuchen verzweifelt Personen zu finden, die mehr wissen und ihnen Auskunft geben können. Am Ende werden ihre Befürchtungen bestätigt: Ihr Sohn ist tot, umgekommen bei einem türkischen Luftangriff.

Wie und wann Konstantin G. genau ums Leben kam, kann die DW nicht unabhängig überprüfen. Ein deutscher Staatsbürger, der ebenfalls in den Reihen der kurdischen Truppen kämpfte, bezeugt gegenüber der DW, dass Konstantin G. bei einem Luftangriff ums Leben kam. Darüber hinaus sandte er der Deutschen Welle ein Foto von G.'s Reisepass zu.

Einsatz für Rojava

Konstantin G. war gelernter Landwirt. Im Jahr 2016 hatte er Deutschland in Richtung Syrien verlassen. G. ist kein Einzelfall: Hunderte von Ausländern schlossen sich den kurdischen Streitkräften an. Sie kämpften mit ihnen in Syrien und im Irak gegen den "Islamischen Staat". Und sie halfen, ein de facto autonomes Gebiet mit basisdemokratischen Elementen entlang der türkischen Grenze aufzubauen: Rojava. Dort wird Säkularismus gelebt, Männer und Frauen gelten als gleichberechtigt. Rojava wurde zum Sehnsuchtsort für linke Idealisten aus aller Welt.

Nach offiziellen Schätzungen der Behörden könnten bis zu 200 deutsche Staatsangehörige in Nordsyrien das Projekt Rojava unterstützt haben. Mindestens zwei Deutsche kamen im Kampf gegen den IS ums Leben.

Ob sich allerdings alle der YPG anschlossen, ist unklar. Ein Sprecher des Rojava Information Centers bestätigte zwar gegenüber der DW, dass unter den hunderten von ausländischen Freiwilligen in Nordsyrien auch Deutsche gewesen seien, allerdings "meist in ziviler Funktion".

"Er wusste, dass er sich in Gefahr begab"

Die deutschen Behörden unternahmen lange nichts gegen Staatsangehörige, die sich wie der jetzt getötete Konstantin G. kurdischen Einheiten angeschlossen hatten. Mittlerweile aber gehen sie vermehrt gegen Kämpfer vor: Es werden Reiseverbote verhängt und Ermittlungen wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet.

Auch G. sei von deutschen Beamten befragt worden, nachdem die Behörden von britischer Seite einen entsprechenden Hinweis auf ihn erhalten hätten, berichten seine Eltern gegenüber der DW.

"Andok Cotkar", so nannte sich Konstantin G. bei der YPG. Diesen Kampfnamen hatte er angenommen, nachdem er im Herbst 2016 nach Syrien gegangen war. Auslöser für seine Entscheidung, Deutschland zu verlassen, soll die Schlacht um die Stadt Kobane gewesen sein. Dort war es den kurdischen YPG-Einheiten nach monatelangen blutigen Kämpfen im Februar 2015 gelungen, die Milizen des Islamischen Staates aus der Stadt zurückzudrängen und die Kontrolle zu übernehmen.

Konstantin G., der sich bei der YPG "Andok Cotkar" nannte, hatte einen ausgeprägten Sinn für GerechtigkeitBild: privat

"Konstantin wusste, dass er sich in Gefahr begibt", erklären seine Eltern. Der Familie gegenüber verheimlichte Konstantin seine Reisepläne zunächst. Später habe Konstantin ihnen gestanden, er habe das getan, "weil er befürchtete, es würde uns gelingen, ihn davon abzuhalten", erinnern sich die Eltern.

Als Konstantin sich der YPG anschloss, war er Anfang 20. Er habe damals nach seinem Platz im Leben gesucht, sagen seine Eltern. Sie beschreiben den jungen Mann als "eher zurückhaltend, freundlich, hintergründig-humorvoll, sehr bescheiden bis anspruchslos, klug, belesen". Konstantin habe schon immer ein "ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden" gehabt. Als er von den Gräueltaten des "Islamischen Staates" erfuhr und von der Lage der Kurden, da habe er den Menschen helfen wollen.

Die Beweggründe ihres Sohnes können die Eltern grundsätzlich nachvollziehen. Sie seien "gut und richtig". Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass "der Weg, den er wählte, nicht der unsere wäre".

Die türkische Offensive hat hunderttausende Menschen zur Flucht gezwungenBild: DW/K. Zurutuza

Aus freien Stücken in den Kampf

Ihr Sohn sei glücklich gewesen in Rojava, sind Konstantins Eltern überzeugt. "Das ist ein Trost für uns." Sie übermitteln der DW Bilder von Konstantin. Er posiert in Uniform und mit Brille gemeinsam mit anderen Kämpfern. Auf einem der Fotos lächeln die Männer, auf anderen schneiden sie Grimassen für die Kamera. Dann wieder umklammern sie mit ernsten Mienen ihre Waffen.

Bilder aus jüngerer Zeit zeigen Konstantin G. im Sindschar-Gebirge im Norden des Iraks. Beim Beginn der türkischen Offensive habe sich "Andok Cotkar" freiwillig für den Einsatz an der Front in Nordsyrien entschieden, heißt es von Seiten seines YPG-Kommandanten gegenüber der DW. Als er ums Leben kam, war Konstantin G. gerade einmal 24 Jahre alt.

Kurz nach seinem Tod einigten sich Ende Oktober die Türkei und Russland, das als Schutzmacht der syrischen Regierung gilt, auf eine Waffenruhe.

Die Eltern von Konstantin G. wollen gemeinsam mit der kurdischen Gemeinde ihrer Heimatstadt eine Gedenkfeier für ihren Sohn abhalten. Der Gedanke, Konstantin "kein Ruhebett geben zu können, ist überaus schmerzhaft und belastend". Sie würden sich wünschen, den Sohn in Rojava begraben zu dürfen. Dort, wo er ihrer Meinung nach glücklich war. "Wir möchten sagen dürfen: Sein Herz ruht in Rojava."

 

Mitarbeit: Esther Felden