Weltweit sind viele Staudämme durch Erdbeben oder bauliche Mängel gefährdet. Ein deutsch-kirgisisches Forschungsteam will mit einem neuen Überwachungssystem die Schäden und Gefahren rechtzeitig identifizieren.
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Der Mensch hat sehr früh gelernt Flüsse zu zähmen und Dämme zu bauen. Die ältesten archäologischen Belege für ein Staubauwerk im heutigen Iran werden auf 8000 vor Christus datiert. Staudämme dienen seit jeher als Wasserspeicher für die Landwirtschaft und für Trinkwasserversorgung und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch zur Stromerzeugung.
Nach aktuellen Schätzungen gibt es weltweit mehr als 58.000 große Staudämme. Fast 24.000 davon stehen in China. Als Großstaudamm gilt ein Bauwerk mit einer Höhe von mindestens 15 Metern oder ein Staudamm, der mehr als drei Millionen Kubikmeter Wasser aufstauen kann.
Die meisten großen Staudämme wurden in den vergangenen 60 Jahren gebaut. Nach dem ersten intensiven Bauboom in den 1930-er Jahren aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Elektrizität, führte die Ölkrise in den 1970er-Jahren zu einer zweiten intensiven Bauphase von Staudämmen zur Stromerzeugung.
Aber selbst ein gigantisches Gebilde aus Beton und Stahl hält nicht für ewig. Viele Staudämme sind weltweit gefährdet und befinden sich in einem schlechten Zustand. Unterschiedliche Ereignisse können Schäden anrichten: Erdbeben, Erdrutsche, Felsabstürze.
Afrikas leistungsstärkste Staudämme
Nil, Kongo, Niger: Afrikas längste Flüsse bergen großes Potenzial für die Energiegewinnung. Die Regierungen haben das erkannt und setzten immer wieder auf Megaprojekte. Ein Überblick über die größten Wasserkraftwerke.
Bild: William Lloyd-George/AFP/Getty Images
Der Grand Renaissance Dam in Äthiopien
Im Südwesten Äthiopiens soll Afrikas leistungsstärkster Staudamm entstehen. Die Bauarbeiten am Grand Renaissance Dam begannen 2011, in diesem Jahr soll er fertiggestellt werden. Der Staudamm liegt nahe der sudanesischen Grenze am Blauen Nil und hat eine Leistung von 6000 Megawatt - unerreicht in Afrika. Der Stausee wird mit 63 Kubikkilometer Stauvermögen einer der größten des Kontinents sein.
Bild: William Lloyd-George/AFP/Getty Images
Der Assuan-Staudamm, Ägypten
Der Assuan-Staudamm, im Arabischen es-Sadd el-Ali, liegt nahe der gleichnamigen Stadt im südlichen Ägypten. Der See Nasser hinter dem Damm fasst bis zu 169 Kubikkilometer Wasser. Sein größter Zufluss ist der Nil. Die Turbinen haben eine Leistung von 2100 MW. Es dauerte elf Jahre, ihn zu bauen. Eröffnet wurde er 1971.
Eine der größten Talsperren der Welt befindet sich in Mosambik. Die Cahora-Bassa-Talsperre hat eine Leistung von 2075 Megawatt und liegt damit knapp hinter dem Assuan-Staudamm. Der Großteil des erzeugten Stroms wird nach Südafrika exportiert. Allerdings verhinderten Sabotageakte während des Bürgerkriegs ab 1981 die Stromproduktion mehr als zehn Jahre lang.
Bild: DW/M. Barroso
Der Gibe-III-Staudamm in Äthiopien
350 Kilometer südwestlich von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba wurde vergangenes Jahr ein weiteres Mega-Projekt fertiggestellt. Der Gibe-III-Damm kann maximal 1870 Megawatt generieren und ist somit der drittgrößte Staudamm in Afrika. Der Bau dauerte fast neun Jahre und wurde zu 60 Prozent von der chinesischen Exim-Bank finanziert.
Bild: Getty Images/AFP
Der Roseires-Staudamm im Sudan
Am Blauen Nil im Sudan gelegen, ist der Roseires-Staudamm ein weiterer großer Energieerzeuger Afrikas. Durch die Aufstockung der Krone des Damms um zehn Meter, die 2013 fertig gestellt wurde, wurde auch die Leistung des Staudammes auf 1800 Megawatt erhöht. Das war nötig, weil sich das Volumen des Stausees aufgrund von Sedimentation um fast ein Viertel verringert hatte.
Bild: Getty Images/AFP/E. Hamid
Die Inga-Staudämme in der DR Kongo
Die Inga-Staudämme bestehen aus zwei einzelnen Dämmen: Inga I kann 351 MW und Inga II 1424 MW produzieren. In Auftrag gegeben wurden sie 1972 und 1982 als Teil des industriellen Entwicklungsplans des Diktators Mobutu Sese Seko. Der Plan ging nicht auf: Da sich Kongos Elite lieber selbst bereicherte und Wartungen ausblieben, erbringen die Dämme momentan nur noch 50 Prozent ihrer möglichen Leistung.
Bild: picture-alliance/dpa
Die Inga-Staudämme in der DR Kongo
Die zwei Dämme liegen nahe der Mündung des Kongo-Flusses und sind mit einem der größten Wasserfälle der Welt verbunden, den Inga-Fällen. Die kongolesische Regierung plant bereits den Start des neuen Projekts, Inga III, das eine 13 Milliarden Euro teure, 4800 MW Wasserkraft-Anlage beinhaltet. Gemeinsam wären die drei Staudämme die leistungsstärkste Wasserkraftanlage Afrikas.
Der Kariba-Staudamm in Simbabwe/ Sambia
Um den See 1961 hinter dem Kariba-Staudamm füllen zu können, mussten 6000 Tiere in der "Operation Noah" eingefangen und umgesiedelt werden, sowie die 57.000 Menschen, die dort am Sambesi lebten. Der Staudamm liegt an der Grenze zwischen Simbabwe und Sambia und versorgt die beiden Länder mit 1320 Megawatt. Der Kariba-Stausee war nach seiner Füllung 1961 immer wieder für Erdbeben verantwortlich.
Bild: picture-alliance/Arco Images/G. Thielmann
Der Merowe-Staudamm im Sudan
Ein weiterer Koloss unter den afrikanischen Staudämmen ist der Merowe-Staudamm, auch Hamdab High Dam genannt, der 2009 in Betrieb ging. Seine Leistung beträgt 1250 Megawatt. Er beliefert den Sudan aber nicht nur mit Strom - bald sollen auch 400 Kilometer lange Kanäle von ihm abgehen, die das Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung nutzbar machen sollen.
Bild: AP
Der Akosombo-Staudamm in Ghana
Unter den Spitzenreitern findet sich auch der Akosombo-Staudamm. Er staut den Volta-See auf, der mit seiner Fläche von 8502 km² der größte Stausee der Erde ist. Die sechs Turbinen haben zusammen eine Leistung von 912 Megawatt, doch der Damm dient nicht nur zu Erzeugung von Strom, sondern auch als Hochwasserschutz. Der Volta-Stausee hat eine wichtige Bedeutung als Handels- und Verkehrsweg.
Bild: picture-alliance / dpa
Der Kainji-Staudamm in Nigeria
Am Fluss Niger liegt der Kainji-Staudamm. Er hat eine Leistung von insgesamt 760 Megawatt. Der Kainji-Damm ist 65 Meter hoch, 550 Meter lang und erzeugt elektrische Energie. Durch das kontrollierte Ablassen von Wasser wurde ein großer Teil des Flusses beschiffbar. Der Damm dient auch seitdem als Straße über den Niger.
Der Tekeze-Staudamm in Äthiopien
Auch Afrikas elft größte Staudamm liegt in Äthiopien. Der Tekeze-Damm befindet sich zwischen den Regionen Amhara und Tigray. Mit einer Höhe von 188 Meters ist er der höchste Staudamm Afrikas. Trotzdem kann er nur 300 MW generieren und somit nur ein Zwanzigstel der Leistung, die sein großer Bruder, der Grand Renaissance Damm, bringen soll. Bis zu seiner Eröffnung 2009 vergingen sieben Jahre.
Bild: CC/International Rivers
Der Bujagali-Staudamm in Uganda
Der Bujagali-Damm in Uganda liegt in der Nähre des Viktoriasees und kann 250 MW Strom generieren. Seine Kraft bezieht er aus den Bujagali-Fällen. Der Staudamm ist seit 2012 in Betrieb und ist die größte Wasserkraft-Quelle Ugandas. Der Bau zweier neuer Kraftwerke, Karuma und Ayago, könnte dies ändern, würde aber auch die Umsiedlung Tausender Bauern und die Überflutung geschützter Gebiete bedeuten.
Bild: picture-alliance/Yannick Tylle
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Staudämme liegen weltweit in der Regel meistens in engen Flusstälern. Es ist also immer möglich, dass ein Erdrutsch oder Steinschlag entweder die Staumauer selbst beschädigt oder auch in den Stausee hinein fällt. Das kann einen kleinen Tsunami in dem Stausee auslösen.
Neben diesen Gefährdungen weist Geowissenschaftler Pilz auf die Gefahr der Korrosion im Bauwerk selbst hin: "Die natürliche Degeneration, das heißt die mangelhafte Instandhaltung der Staudämme“ berge ein großes Risiko.
Bei Starkregen wird es dann oft kritisch, weil die Last auf die Dämme steigt. Abflüsse sind unter Umständen überlastet oder schlimmstenfalls verstopft. Böden weichen auf und werden instabil. Und ein Staudammbruch kann fatale Folgen für Natur und Menschen haben.
Ertüchtigen, abreißen oder neu bauen?
Kann man einen beschädigten Staudamm retten? "Solange der Staudamm nicht einstürzt, gibt es immer eine Rettung", sagt Pilz. "Aber das kann natürlich teuer sein.“
Als Beispiel führt er den Elwha-Damm im US-Bundesstaat Washington an. Der Damm konnte nicht gerettet werden. Der Abriss war günstiger als eine Sanierung. Der Damm wurde dann aber doch nicht neu gebaut, sondern der Flusslauf, der in einem Nationalpark liegt, wurde renaturiert.
Eine Sanierung ist meist möglich wenn die Schäden rechtzeitig erkannt werden. "Ein Staudamm ist einfach ein Bauwerk, das man wie bei einem leicht beschädigten Haus oder Gebäude mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen verstärken kann", sagt Pilz.
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Frühwarnsysteme für gefährdete Staudämme
Der Experte für seismische Gefahren am GFZ leitet das Projekt MI-DAM. Im Rahmen dieses Projektes hat ein Forscherteam aus kirgisischen und deutschen Erdbeben-Spezialisten ein neuartiges Echtzeit-System für die Überwachung von Staudämmen entwickelt, das Schäden frühzeitig detektiert. "Das Überwachungssystem kann sagen: Es liegen gewisse Unregelmäßigkeiten in der Baustruktur vor," erklärt Pilz.
Staudämme sind riesige Bauwerke und kritische Infrastrukturen. "Natürlich sind in allen Staudämmen weltweit Überwachungssysteme mit eingebaut," betont der Wissenschaftler des GFZ. Anders als bisherige Überwachungssysteme kombiniert MI-DAM allerdings das Kurzzeit- und Langzeit-Monitoring, das bisher oft fünf separate Teile umfasst, in einem einzigen System.
Und dieser Damm steht stellvertretend für viele weitere: Besonders in den postsowjetischen Ländern sind Staudamm-Überwachungssysteme oft noch immer auf dem Stand der Technik, wie sie es bei der Errichtung war. "In unserem Fall sind das noch ganz klassische mechanische Überwachungen, wo man die möglichen Veränderungen visuell anschaut und nicht mit moderner Technologie arbeitet", sagt Geophysiker Pilz.
Die Daten und Schadensprognosen werden von dem Überwachungssystem nach Berlin und Potsdam geliefert, stehen aber auch den kirgisischen Partnern zur Verfügung. Was genau beschädigt ist und welche Reparatur man ergreifen muss, liegt dann in der Verantwortung der Dammbetreiber.
Weitere Staudammprojekte trotz Kritik
Obwohl sie mit der Erzeugung regenerativer Energien zum Klimaschutz beitragen, stehen Staudämme auch bei Umweltschützern immer wieder in der Kritik, weil sie den Flüssen ihren natürlichen Lauf nehmen und die Natur schädigen. Dennoch werden weltweit weiterhin tausende Staudämme weltweit geplant und gebaut. In vielen Ländern hat die grüne Energie aus Wasserkraft also noch immer einen großen Stellenwert.
Bei Neubauten geht es vor allem darum, sie so sicher zu bauen, dass Erdbeben und Erdrutsche keine tödliche Gefahr darstellen. In der Praxis müssen Statiker und Architekten aber häufig - wie bei allen seismisch gefährdeten Gebäuden - Kompromisse eingehen und zwischen entstehenden Kosten und Nutzen abwägen.
Für die alten Staudämme bleibt die Hoffnung, dass mögliche Schäden und Gefahren mit Hilfe von Frühwarnsystemen rechtzeitig erkannt werden, sodass die Betreiber sie rechtzeitig beseitigen können.
Zerstörerische Wasserkraft in Indien
Die "Jahrhundertflut " im südindischen Kerala im August 2018 war teilweise menschengemacht, sagen Experten und Anwohner. Der Grund: Schlecht gemanagte Staudämme.
Bild: Reuters/Sivaram V
Wasser marsch - egal was flussabwärts passiert
Zum Höhepunkt der Regenzeit Mitte August sahen sich die Behörden in Kerala gezwungen, Wasser über insgesamt 35 Dämme abzulassen. So wie hier am Idukki-Stausee, dem größten des Bundesstaates.
Bild: Reuters/Sivaram
Überflutete Vororte
In den Vororten der Hafenstadt Kochi wurden Straßen überflutet, nachdem an drei Staudämmen die Hochwasserklappen geöffnet wurden. Von den Überschwemmungen im August waren fünf Millionen Einwohner Keralas betroffen, es gab 200 Tote. Experten zufolge hat das Ablassen von Wasser aus den Stauseen die "normalen" Schäden durch den Monsun noch verstärkt.
Bild: Reuters/Sivaram V
Dramatische Rettungsaktionen
Teilweise mussten Bewohner der von der "Jahrhundertflut" betroffenen Gebiete aus der Luft gerettet werden.
Bild: Reuters/Sivaram V
"Keine Vorwarnung"
Der Bauer Joby Pathrose hat seinen Plantagenbesitz durch die Fluten verloren. Es habe keinerlei Vorwarnung durch die Behörden gegeben, dass eine solche Katastrophe bevorstehe. Er und andere Farmer sagen, dass die Dammöffnungen wesentlich zur Verschlimmerung der Lage beigetragen hätten.
Bild: Reuters/Sivaram V
Unkontrollierbare Flüsse
Die beiden größten Stauseen Keralas waren im August, am Höhepunkt der Regenzeit, zu über 90 Prozent ihrer Kapazität gefüllt - aufgrund von Sorglosigkeit der Betreiber der Stauseen und fehlender Notfallpläne, wie Experten sagen. Auch die indische zentrale Wasserbehörde (CWC) stellte fest, dass die Stauseen vor den Überflutungen zu hohe Wasserstände hatten.
Bild: Reuters/Sivaram
Große Schäden durch Überschwemmungen
Der normalerweise beschauliche größte Fluss Keralas, der Periyar, ist nach den Dammöffnungen über die Ufer getreten. Die Schäden an Landwirtschaft, Infrastruktur und Häusern sollen sich auf eine Milliardensumme belaufen.
Bild: Reuters/Sivaram V
Rückkehr zur Normalität - bis zur nächsten Flut
Inzwischen haben sich wieder Kühe am schlammigen Ufer niedergelassen. Die Bewohner hoffen auf ein besseres Management der Stauseen, damit sich ein unkontrolliertes Steigen und Sinken der Wasserstände nicht wiederholt. Man sei "dabei, Notfallpläne und Richtlinien für den Betrieb der Dämme zu erstellen", heißt es bei Keralas Stromversorger KSEB.
Bild: Reuters/Sivaram V
Behörden in Kerala: Uns trifft keine Schuld
Der staatliche Stromversorger KSEB weist die Verantwortung für die bisher größten Überflutungen in der Region von sich. Regenfälle in dieser Stärke seien nicht vorhergesagt worden. Im Übrigen habe abgelassenes Wasser aus einem Staudamm des Nachbarstaates Tamil Nadu die Lage verschärft.