1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutsche Justiz ein "Witz" für die Mafia?

Mark Hallam
16. Oktober 2020

Hunderte Mafiosi ziehen von Deutschland aus die Fäden im internationalen Drogenhandel. Einige Verdächtige stehen nun vor Gericht. Doch mit langwierigen Verfahren und milden Urteilen ist ihnen schwer beizukommen.

Deutschland Düsseldorf | Mafia-Prozess
Bild: Roland Weihrauch/dpa/picture-alliance

14 Männer sind angeklagt. In Düsseldorf stehen sie seit dieser Woche vor Gericht, Hauptvorwurf: Drogenhandel. Es geht unter anderem um 680 Kilogramm Kokain, das zu Preisen von bis zu 36.000 Euro pro Kilo verkauft werden sollte.

Alle 14 Angeklagten haben ihren Wohnsitz im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Fünf von ihnen sind mutmaßliche Mitglieder des kalabrischen 'Ndrangheta-Syndikats. Die Reisepässe der Angeklagten zeigen, wie international die Mafia auch in Deutschland rekrutiert. Sie stammen aus Italien, Deutschland, den Niederlanden, der Türkei, Marokko und Portugal. Vor Gericht stehen Übersetzer für Italienisch, Niederländisch und Türkisch bereit.

Der Umfang der Prozessakten ist gewaltig. Der Vorsitzende Richter Jens Luge scherzte, man sei dankbar, dass niemand die 649 Seiten der Anklageschrift in Papierform mitgebracht habe, "dann wäre hier kein Platz mehr".

Mutmaßlich dürften sich die meisten Angeklagten vor Gericht an die Mafia-Schweigeregel halten, die Omerta. Die Ankläger hoffen deshalb auf einen Kronzeugen, den 41-jährigen Giuseppe T. Er wechselte 2015 die Seiten und sagte gegen seine ehemaligen Kumpane im Drogenhandel aus.

Coronavirus bringt Prozess durcheinander

Doch die Corona-Pandemie hat das Gerichtsverfahren in Düsseldorf gleich in der ersten Prozesswoche verzögert. Die Mutter des Angeklagten Halil B. hat COVID-19, so dass er sich zwei Wochen lang selbst isolieren muss - obwohl er negativ getestet wurde. Der Richter entschied, dass der Prozess in Anwesenheit aller 14 Angeklagten ablaufen muss. Am 26. Oktober soll das Verfahren wieder aufgenommen werden - es sei denn, in einer der Familien treten weitere Corona-Fälle auf.

Der Journalist David Schraven kritisiert zu geringe Strafen für Mafia-VerbrecherBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

"Die werden auf jeden Fall alles versuchen, um den Prozess zu unterlaufen", sagt David Schraven, Gründer des Recherche-Büros Correctiv, im Gespräch mit der DW. Er ist Autor eines Bestsellers aus dem Jahr 2017 über die Mafia in Deutschland: "Gleichzeitig kann man damit rechnen, dass es mindestens eineinhalb Jahre dauert, bevor das Urteil kommt."

Bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen den Angeklagten. Ihnen werden neben Drogenhandel auch Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Verstöße gegen Schusswaffen-Gesetze zur Last gelegt.

Allerdings, so sagt Schraven, sei es wahrscheinlicher, dass sie dafür nur zu etwa sechs Jahren Haft verurteilt würden und nach vier Jahren auf Bewährung frei kämen. Dies zeigten bisherige Fälle. Zudem verfügten die Angeklagten in Düsseldorf über ein Heer von 40 Strafverteidigern

"Unser Strafverfolgungssystem ist ein Witz für Mafiagruppen", sagt Schraven. Strafen seien eingepreist: "Sie erwarten, dass sie vor Gericht gestellt und sogar verurteilt werden. Aber die Strafen, die in Deutschland angedroht werden, sind lächerlich gering. Sie sind nicht abschreckend. Die Mafia stört sich nicht an ihnen." Mit ein bisschen Glück könnten die Angeklagten sogar innerhalb von drei Jahren wieder frei kommen, so Schraven: "Das Konzept der Resozialisierung stößt im Umgang mit Berufskriminellen wirklich an seine Grenzen."

'Ndrangheta dominiert den europäischen Kokainhandel

Fast vier Tonnen Kokain wurden in den Niederlanden im Rahmen der europäischen "Operation Pollino" gegen die 'Ndrangheta beschlagnahmt. Aber die großen Razzien im Dezember 2018 machten wohl nur die Spitze des Eisbergs sichtbar. Die italienische Polizei geht davon aus, dass die 'Ndrangheta europaweit 60 bis 80 Prozent des Kokainmarktes dominiert. Das Kokain wird oft aus Lateinamerika zusammen mit legalen Gütern wie Bananen, Reis oder Holz an Unternehmen verschickt, die auf dem Papier legitim aussehen, sich aber im Besitz der Mafia befinden.

Razzia in einem Eiscafé in Duisburg in Nordrhein-WestfalenBild: Christoph Reichwein/dpa/picture-alliance

Die Beschuldigten in Düsseldorf sollen in den Handel über die Häfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen verstrickt sein. Italienische Restaurants oder Eisdielen in Deutschland sollen ihnen als Strohfirmen gedient haben. Nordrhein-Westfalen ist eine strategisch wichtige Region für die Mafia, da es im Westen an Belgien und die Niederlande mit ihren Häfen grenzt und gleichzeitig über die Ostgrenzen Deutschlands die Tür zu weiten Teilen Mitteleuropas öffnet.

Deutschland - wichtiger Standort für das organisierte Verbrechen

Die 'Ndrangheta dominiert nicht nur den europäischen Kokainhandel, sondern ist auch in Deutschland so etwas wie ein Marktführer. Von den 585 mutmaßlichen Mitgliedern italienischer Gruppen der organisierten Kriminalität, die im jüngsten Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) aufgezählt werden, sollen 344 zur 'Ndrangheta gehören. Zwei weitere italienische Gruppen der internationalen organisierten Kriminalität (IOK) wurden vom BKA namentlich genannt: die sizilianische Cosa Nostra und die Camorra aus Kampanien.

"Deutschland bietet unter anderem durch seine Wirtschaftskraft, die gute Verkehrsinfrastruktur und die große Gemeinschaft von Menschen mit familiären Wurzeln in Italien ein wichtiges Territorium für die IOK", teilte das BKA der DW in einer schriftlichen Antwort mit: "Deutschland wird dabei als Rückzugs- und Ruheraum, aber auch als Aktions- und Investitionsraum genutzt."

Legal - Illegal? Auf den ersten Blick lässt sich nicht erkennen, was im Container stecktBild: picture-alliance/ANP/R. Utrecht

Die Ermittler räumen zudem ein, dass den Strafverfolgungsbehörden viele Bandenmitglieder unbekannt sein dürften. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die moderne Mafia versucht, nicht durch spektakuläre Gewaltverbrechen aufzufallen. Die brutalen Morde an sechs Menschen 2007 in Duisburg, Teil einer Fehde zwischen rivalisierenden "'Ndrangheta-Clans", sind eine Ausnahme. Viele italienische Gruppen der organisierten Kriminalität haben ihre oft blutigen Fehden aufgegeben, wenn sie außerhalb des Mutterlandes operieren, und sich stattdessen für eine Zusammenarbeit untereinander entschieden.

"Es kommt immer öfter vor, dass Mafia-Organisationen unterschiedlicher Herkunft miteinander kooperieren. Gerade in Gebieten, die geografisch strategisch liegen, zwischen mehreren Ländern," sagte Laura Garavini, italienische Parlamentarierin und Gründerin der Organisation "Mafia? Nein danke" diese Woche im WDR-Radio: "Dies gibt ihnen die Möglichkeit, sich schneller und geschickt in unterschiedlichen Ländern zu bewegen, in der Hoffnung, ihre kriminellen Geschäfte ohne Verfolgung und Strafe auszuüben."

Italien: Kredite von der Mafia

05:01

This browser does not support the video element.

Italienische Gruppen der organisierten Kriminalität sind laut Statistik besonders in den westlichen und südlichen Bundesländern Deutschlands aktiv. Enthüllungsjournalist Schraven warnt jedoch davor, sich von diesen Zahlen in die Irre führen zu lassen. Jüngste Ermittlungen deuten auf verstärkte Aktivitäten auch in den östlichen Bundesländern hin. Allerdings würden Straftaten dort meist von Mafia-Mitgliedern verübt, die in Westdeutschland wohnten. Die Verdächtigen tauchten dann in den Statistiken mit ihrem registrierten Wohnort auf.

Pandemie bietet Chancen

Die Corona-Pandemie behindert nicht nur Verfahren gegen die Mafia. Der Rückgang beim Schiffs- und Luftfrachtverkehr sowie zeitweise geschlossene Grenzen und Häfen erschweren die Schmuggelaktivitäten der 'Ndrangheta.

Vor Gericht: vorn die Anwälte, hinter Panzerglas die AngeklagtenBild: Roland Weihrauch/dpa/picture-alliance

Allerdings könnte die durch die Pandemie verursachte wirtschaftliche Instabilität der Mafia auch neue Chancen bieten. Das deutsche BKA verfügt zwar noch nicht über verlässliche nationale Daten für das Jahr 2020. Man könne jedoch "nicht ausschließen", dass Gruppen wie die 'Ndrangheta versuchten, aus der Pandemie Kapital zu schlagen. "Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 sowie ein globaler Wirtschaftsabschwung werden eine Vielzahl an Tatgelegenheiten für OK-Strukturen bieten", teilt das BKA der DW mit. Dazu könnte zum Beispiel organisierter Diebstahl und Schwarzmarktgeschäfte mit knappen Gütern gehören, so das BKA.

Laut Enthüllungsjournalist David Schraven gibt es zudem Hinweise darauf, dass die 'Ndrangheta ihre Aktivitäten in einer ihrer bevorzugten Branchen verstärke. "Im Moment kann man beobachten, wie die organisierte Kriminalität sich im großen Maßstab in Gastronomiebetriebe einkauft und zwar wegen der Corona-Krise," sagt Schraven. Denn zur Zeit geraten viele Restaurants in Notlage. "Und da werden ganze Restaurant-Ketten gekauft und dann werden teilweise Strohmänner eingesetzt", so Schraven. Teilweise düften die Betreiber aber auch einfach ihren Job weitermachen. Mit einem Unterschied: Das Geld fließe nun an die Mafiosi.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen