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Risiko von Kriegen verringern

Dagmar Engel3. Dezember 2015

Terroranschläge, türkisch-russische Spannungen, Flüchtlingsströme und ein Konflikt in der Ostukraine - auf der OSZE-Außenministerkonferenz geht es um die fragile Sicherheit in Europa. Aus Belgrad berichtet Dagmar Engel.

Serbien OSZE in Belgrad Gruppenfoto
Bild: Getty Images/AFP/J. Ernst

Wer redet, schießt nicht. Das könnte das inoffizielle Motto der Außenminister Konferenz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) sein. Zu spüren war dies am allseitigen Bemühen, die Außenminister der Türkei und Russlands in ein Zimmer am Rande der OSZE-Ministerratstagung zu bringen, zum Zweiergespräch.

Das ist gelungen - mehr als eine halbe Stunde haben Sergej Lawrow und Mevlut Cavusoglu miteinander verbracht, das höchstrangige türkisch-russische Treffen seit dem Abschuss der russischen Militärmaschine im türkisch-syrischen Grenzgebiet Ende November. Noch ist über Inhalte nichts bekannt, aber angeschwiegen haben sie sich sicher nicht.

Abschied vom Konsens?

Korrekt ist der Anfangssatz trotzdem nicht: In Europa wird geschossen, zum Beispiel in der Ostukraine. Doch gleichzeitig wird auch geredet. Denn die OSZE mit ihren 57 Mitgliedsstaaten ist die einzige Organisation, in der es für Gespräche keiner gesonderten Einladung bedarf.

In den exklusiveren Clubs, der NATO oder der EU, sind die Gemeinschaftsforen mit Russland in der Folge des Kriegs in der Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ausgesetzt. Die OSZE ist in Europa die einzige Stelle, die einfach alle Staaten umfasst, ganz unabhängig von ihrer Haltung.

Entscheidungen allerdings fallen nur im Konsens - und sie sind nicht bindend. Das Bild des zahnlosen Tigers drängt sich auf, eines zahnlosen Tigers mit 57 Beinen, alle unterschiedlich lang und kräftig.

Der deutsche Außenminister greift lieber in die Kiste der Seefahrtsmetaphern: "Europa navigiert durch turbulentes Fahrwasser", eröffnet er seine Rede. Die gemeinsame Sicherheit in Europa bereite ihm tatsächlich Sorge, sagt Frank-Walter Steinmeier und wird dann wirklich laut: "Wir haben uns in der OSZE seit zwölf Jahren auf keine politische Erklärung einigen können! Wir scheinen keinen Konsens mehr zu finden." Vereinbarte Prinzipien, bedauert Steinmeier, seien in inakzeptabler Art und Weise gebrochen worden.

Einsatz in der Krisenregion: Ein OSZE-Beobachter dokumentiert Verstöße gegen die vereinbarte WaffenruheBild: picture-alliance/dpa/J. Sprankle

Stürmische See und ein altes Schiff

Deutschland übernimmt jetzt für ein Jahr den Vorsitz der OSZE. Nicht, weil es turnusgemäß an der Reihe wäre, nicht, weil es muss, sondern weil es will. "Deutschland kann die europäische Sicherheitsordnung während dieses einen Jahres nicht retten," sagt Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, "aber neben dem kurzfristig Notwendigen, der Reduzierung vor allem des Risikos von Krieg, muss Deutschland einen Prozess in Gang setzen, der auch die mittel- und langfristigen Probleme angeht."

Ischinger hat die Gruppe führender Köpfe geleitet, die sich um die "Europäische Sicherheit als Gemeinschaftsaufgabe" Gedanken machen sollte. Der Abschlussbericht zeigt gleichzeitig die Stärke und die Schwäche der OSZE: Der Georgier Sergi Kapadnaze erzählt darin eine andere Geschichte über den eingefrorenen Konflikt in seiner Region als sein Namensvetter Sergej Karaganov aus Russland.

Ihre Wahrnehmungen und Wahrheiten widersprechen sich. Ischinger hofft dennoch auf eine Art von Verständigung. "Wenn es 1975 im Kalten Krieg mit der atomaren Bedrohung möglich war, ein Vertrauenssystem aufzubauen, warum sollte das 2015 nicht gelingen?", fragt er.

Auf der Suche nach verlorenem Vertrauen

Drei Felder hat der deutsche OSZE-Vorsitz als besonders wichtig definiert: Aufgrund der Erfahrungen aus dem Ukrainekonflikt soll die Reaktion auf Krisen früher, entschiedener und substantieller erfolgen. Zweitens muss die Vertrauensbildung vorangetrieben werden, um militärische Risiken zu verringern - siehe den Abschuss der russischen Militärmaschine an der türkisch-syrischen Grenze. Und schließlich geht es um die Gestaltung der europäischen Sicherheitsordnung.

Manche hoffen auf ein neues Helsinki, also eine Art Neugründung, wie sie in der finnischen Hauptstadt 1975 erfolgte. Am liebsten gleich 2016. Auch die Expertengruppe um Ischinger sieht als Ziel einen OSZE-Gipfel auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, der die europäische Sicherheitsordnung verbindlich regelt, aber nicht nächstes Jahr.

Im Boot des deutschen Außenministers heißt das: "Lassen Sie uns nicht in stürmischer See unser Schiff, die OSZE, zerlegen, nur weil es nicht leicht ist, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen! Lassen Sie uns keinen Neubau versuchen, der die Gefahr des Scheiterns birgt, sondern das Schiff härten und stärken!".

Direkt vor diesem Eröffnungsstatement von Außenminister Steinmeier hat ihm sein russischer Amtskollege Lawrow "viel Erfolg auf der Kapitänsbrücke" gewünscht. Die beiden kennen sich eben. Reden hilft.