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Politik

Abschiebungen nach Afrika: Kein Pardon in der Pandemie

Daniel Pelz
11. März 2021

Mehr als 750 Menschen hat Deutschland 2020 nach Afrika abgeschoben. Dabei ist die Lage in vielen Herkunftsländern wegen der Corona-Pandemie besonders hart. Auch gut integrierte Migranten sind bedroht.

Deutschland Asylpolitik | Symbolbild Abschiebung
Bild: Daniel Kubirski/picture alliance

Im Januar drohte sein Alptraum Wirklichkeit zu werden: Toure drohte die Abschiebung. "Ich habe mir so viele Gedanken gemacht, dass ich krank geworden bin. Ich konnte mich drei Wochen überhaupt nicht bewegen, ich hatte Übelkeit, Schwindel, konnte nicht mehr raus", sagt er im DW-Interview. Toure ist sein Nachname, sein Vorname soll nicht genannt werden. Zu groß ist seine Angst. Nicht vor den deutschen Behörden, sondern vor den Sicherheitskräften in seiner Heimat Guinea. Dort wurde er von der Polizei verhaftet und gefoltert, weil er sich in einer Oppositionspartei engagiert hatte, erzählt er per Videotelefonat.

Keine Chance auf einen Pass

Eigentlich müsste sich Deutschland über jemanden wie Toure freuen: Er spricht fließend Deutsch, hat einen festen Job in einer Wohngemeinschaft für Jugendliche, im Sommer wird er sein Studium beenden. Und doch ist er nur auf Bewährung hier: Die drohende Abschiebung konnte verhindert werden, aber die Behörden gaben ihm nur eine sechsmonatige Duldung. "Manchmal kann ich nicht mehr schlafen, weil ich daran denke, dass man mich irgendwann mal mitten in der Nacht abholen könnte", sagt Toure. Auch sein Studium leidet, erzählt er, weil er manchmal so nervös war, dass er nicht für Klausuren lernen konnte.

Wer eine Duldung hat, ist nach geltender Rechtslage verpflichtet auszureisenBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Der einzige Ausweg: ein Reisepass, den die deutschen Behörden von ihm fordern. Die guineische Botschaft in Berlin stellt keine Pässe aus. Er müsste nach Guinea fliegen. Für ihn unvorstellbar. "Wahrscheinlich passiert dann das Gleiche: Diese Folter, wie ich es damals erlebt habe. Wer weiß, vielleicht komme ich am Flughafen an und danach hört niemand wieder von mir", erzählt er stockend, während seine Augen unsicher im Raum herumspringen.

Nicht nur Toure hat Angst. Trotz Corona-Pandemie gehen die Abschiebungen aus Deutschland weiter. 755 Menschen hat die Bundesrepublik vergangenes Jahr nach Afrika abgeschoben, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage hervorgeht. Die meisten in nordafrikanische Länder wie Tunesien, Marokko und Algerien, aber auch nach Nigeria, Ghana oder Gambia.

Auch 2021 starten wieder Abschiebeflüge von deutschen Flughäfen: Im Januar wurden 24 Menschen aus Deutschland von München nach Nigeria abgeschoben, darunter verurteilte Straftäter. Der Flüchtlingsaktivist Rex Osa hat dafür kein Verständnis. Mit seinem Netzwerk "Refugees 4 Refugees" unterstützt der gebürtige Nigerianer Flüchtlinge in Süddeutschland: "Die Bundesregierung empfiehlt, dass wir alle 1,50 Meter Abstand voneinander halten. Dann packt man Menschen für sechs, sieben Stunden in ein Flugzeug. Wenn da eine infizierte Person in der Nähe ist, bekommt man es schnell ebenfalls", sagt er zur DW. Was dann auch für die Heimatländer der Abgeschobenen eine Gefahr darstellt. Osa: "Für uns ist es so, als ob Corona exportiert würde. Das ist ein Skandal."

Forderung nach Abschiebestopp

Nicht nur Osa fordert einen Abschiebestopp. Flüchtlingsorganisationen, aber auch die großen Kirchen stellen ähnliche Forderungen. Denn viele afrikanische Länder haben gar nicht genug Ärzte, Intensivbetten oder Beatmungsgeräte, um Corona-Patienten zu behandeln. Auch Corona-Impfungen gibt es bisher nur in wenigen Staaten. Zweites Problem für viele Abgeschobene: Die Wirtschaft liegt vielerorts am Boden. Viele Migranten, denen die Abschiebung droht, wissen daher nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.

Daher urteilen Gerichte auch inzwischen strenger. Im Dezember verbot der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof die Abschiebung eines Asylbewerbers nach Afghanistan. Begründung: Die Lage im Land habe sich durch die Pandemie so drastisch verschlechtert, dass abgeschobenen Migranten, die keine Familien oder Vermögen vor Ort hätten, "Verelendung" drohe.

Es ist in Afrika nicht einfach, eine Corona-Impfung zu bekommenBild: Jerome Delay/AP/dpa/picture alliance

Es gibt noch ein weiteres Problem: Manchen Flüchtlingen droht die Abschiebung, weil sie ihre Identität nicht nachweisen können. Sprich: Wie Toure fehlen ihnen Papiere. Die zu besorgen, kann in Pandemie-Zeiten besonders schwierig sein. Osa: "Trotz Corona wurden Flüchtlinge immer noch mit Fristen schikaniert, bis wann sie ihre Identität nachweisen sollten. Dabei waren Grenzen geschlossen und Botschaften hatten den Publikumsverkehr eingestellt". Trotz Lockerungen ist das Reisen innerhalb Europas auch jetzt noch schwierig.

Behörden halten an Abschiebungen fest

Die Behörden halten trotzdem grundsätzlich an Abschiebungen fest. "Die aktuelle Corona-Pandemie stellt das Landesamt für Asyl und Rückführungen und auch viele Herkunftsländer vor neue Herausforderungen. An der grundsätzlich rechtlichen Bewertung ändert sich durch die derzeitige medizinische Sonderlage aufgrund des 'Coronavirus' grundsätzlich nichts", teilte das Bayrische Landesamt für Asyl und Rückführungen nach der Sammelabschiebung nach Nigeria im Januar mit. Eine DW-Anfrage an das Bundesinnenministerium blieb bis zur Veröffentlichung unbeantwortet.

Der Guineer Toure hofft derweil auf ein Happy End: Die guineische Botschaft in Paris soll in diesem Jahr damit beginnen, Passanträge zu bearbeiten. Nun hofft er, dass die Corona-Lage es ihm erlaubt, dorthin zu fahren und einen Pass zu beantragen. Dann könnten seine Träume wahr werden - ein Leben in Deutschland und eine gemeinsame Zukunft mit seiner Freundin.

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