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Deutschland: Antisemitische Vorfälle nehmen massiv zu

25. Juni 2024

Bedrohungen, Sachbeschädigungen, extreme Gewalt: Zuletzt wurden deutlich mehr Fälle von Antisemitismus in Deutschland registriert - vor allem seit dem 7. Oktober 2023.

An der katholischen St. Bonifatiuskirche in Frankfurt hängt ein Banner mit der Aufschrift: "Nie wieder ist jetzt - Gegen jede Form von Antisemitismus"
"Nie wieder ist jetzt" - Banner an der katholischen St. Bonifatiuskirche in FrankfurtBild: Heike Lyding/EPD-Bild/picture alliance

Es geht um existenzielle Sorgen. Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland fragten sich, "ob in Zukunft ein freies und sicheres Leben als Juden in Deutschland möglich sein wird”, sagt Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Der Zentralrat wisse aus Umfragen in den jüdischen Gemeinden, dass viele ihrer Mitglieder heutzutage Angst hätten, in der Öffentlichkeit als jüdisch erkannt zu werden. Deshalb nähmen auch weniger Menschen als früher an Veranstaltungen in den Gemeinden teil.

Der Jahresbericht 2023 des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) macht die Dimension des Judenhasses deutlich. Die Experten vermelden einen Anstieg judenfeindlicher Vorfälle im Jahr 2023 um mehr als 80 Prozent auf 4782. Nie zuvor registrierte der 2018 gegründete Bundesverband ähnlich viele Vorkommnisse. Weit häufiger als früher gilt "antiisraelischer Aktivismus" als Hintergrund der antisemitischen Vorfälle. Die Gesamtzahl vervierfachte sich fast, von 157 auf 595.

Allein zwischen dem 7. Oktober 2023, dem ersten Tag des Terrorangriffs der Hamas gegen Israel, und dem Jahresende 2023 registrierte RIAS mehr Vorfälle als im gesamten Jahr 2022: nämlich 2787. Das heißt: 32 pro Tag. Die meisten antisemitischen Vorfälle - seien es konkrete Bedrohungen oder Schmierereien - ereigneten sich im vergangenen Jahr auf offener Straße oder im Internet. 

Ruf nach Verschärfungen beim Strafrecht

Mit Blick auf den massiven Anstieg antisemitischer Übergriffe drängt der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, auf Konkretisierungen im deutschen Strafrecht. So müsste der Gesetzgeber Aufrufe zur Vernichtung anderer Staaten unter Strafe stellen und auch Antisemitismus in codierter Form als Volksverhetzung einstufen. Klein warb ausdrücklich noch für einen konkreten politischen Schritt, der mit dem Strafrecht nichts zu tun hat: Er halte es für "dringend notwendig, dass ein verpflichtendes Fach an den Schulen eingeführt wird, 'Umgang mit den Medien und Medienkompetenz'”.

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen AntisemitismusBild: Juliane Sonntag/picture alliance

Ähnlich äußerte sich im Gespräch mit der Deutschen Welle der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke. Die Entwicklung beim Thema Antisemitismus sei "in höchstem Maße besorgniserregend". Die Gefährdungslage für Jüdinnen und Juden in Deutschland sei seit dem 7. Oktober "höher denn je".

Kopelke plädierte dafür, antisemitische Sympathiebekundungen "wieder unter Strafe" zu stellen und "die gesamte Kette des Rechtsstaats" zu stärken. Ähnlich wie Klein ging auch Kopelke auf den Bildungsaspekt ein. Diesen könne man im Kampf gegen Antisemitismus "gar nicht hoch genug bewerten". Er sei gleichbedeutend mit Vorbeugung. 

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Tags zuvor hatte die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) einen Lagebericht vorgelegt, laut dem sich die Zahl der antimuslimischen Angriffe, Bedrohungen und Diskriminierungen 2023 im Jahresvergleich mehr als verdoppelt hat. Die Zahl der Übergriffe stieg demnach von knapp 900 (2022) auf 1926 (2023). Antimuslimischer Rassismus sei "salonfähiger denn je" und komme "wirklich aus der Mitte der Gesellschaft", so die Leiterin der Claim-Allianz, Rima Hanano.

Und auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, vermeldete alarmierende Zahlen: Wegen Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Behinderung, Krankheit oder Alter wandten sich im vergangenen Jahr 10.772 an die Antidiskriminierungsstelle - gut 20 Prozent mehr als 2022.  

"Mitte der Gesellschaft" immer anfälliger für Rassismus

Bei allen drei Veranstaltungen fiel der Begriff "Mitte der Gesellschaft". Auch dort gebe es heute - anders als noch vor einigen Jahren - Antisemitismus, antimuslimische Ausgrenzung und offenen Rassismus. Klein, seit sechs Jahren der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sagte, "der Kampf gegen die eine Diskriminierung" dürfe nicht "gegen die andere"ausgespielt werden. "Wir müssen Allianzen bilden."

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Durchaus ähnlich, aber deutlicher sprach Ataman die gesellschaftliche und politische Stimmung in Deutschland und das Erstarken von Rechtsextremismus an. Mit den hohen Zustimmungswerten für rechtsextreme Parteien habe sich "auch die Diskriminierung im Land offenbar verstärkt", meinte sie. Solche Ausgrenzung erfolge "offener, direkter und härter, die Hemmschwellen scheinen zu fallen". Ihr Erklärungsansatz: Millionen von Menschen hätten "gerade Angst um ihre Zukunft" in Deutschland. Diese Sorge müsse man ernst nehmen.

Dabei schloss Ataman, die in ihrem Amt unabhängig von der Bundesregierung ist, ausdrücklich die Ängste auf jüdischer Seite ein. Die frühere Journalistin beklagte, dass die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte grundlegende Überarbeitung des 2006 in Kraft getretenen Antidiskriminierungsgesetzes nicht angehe. Noch heute, sagte Ataman, könne jemand ausgegrenzt werden, nur weil er Israeli sei. Das wolle sie ändern. Eine Staatsangehörigkeit dürfe nicht zum Kriterium von Diskriminierung werden.

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