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Politik

Weniger Auskommen mit dem Einkommen

Marko Langer (mit dpa)
7. Oktober 2019

Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Doch das kommt nicht bei jedem an. Viele müssen den Euro zweimal umdrehen, damit es bis zum Monatsende reicht. Und die Ungleichheit wächst, so Wissenschaftler.

Deutschland Symbolbild Kinderarmut
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Die Armut ist eine komplizierte Sache. Wie schlimm das Problem ist, hängt zum Beispiel davon ab, wen man fragt. Soll man bei den Tafeln nachfragen, die gerade wieder über eine steigende Nachfrage nach Gratis-Lebensmitteln berichten? Soll man Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) fragen, der gerne eine gute Konjunktur verkündet? Oder fragt man besser bei den Gewerkschaften nach, die sich für mehr Lohngerechtigkeit einsetzen? Jeder wird die Situation anders beschreiben. Auch der Erstklässler, dessen Eltern den teuren Ranzen oder ein eigenes Handy nicht kaufen können, wird einiges erzählen. Vielleicht reicht es für's Kino, ein- bis zweimal im Monat.

Immer mehr Menschen abgehängt

Denn es gilt in Deutschland im Jahr 2019: "Immer mehr Menschen sind von Armut betroffen." Das geht aus dem neuen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hervor, den die Forschungseinrichtung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht hat. Eines der Hauptprobleme: Die Schere zwischen den Wohlhabenden und den unteren Einkommengruppen hat sich nach WSI-Erkenntnissen in den vergangenen Jahren noch weiter geöffnet. "Immer mehr Einkommen konzentriert sich bei den sehr Reichen", heißt es in der Studie. Und auf der anderen Seite: Die Zahl der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und deshalb nach gängiger wissenschaftlicher Definition als arm gelten, sei zwischen 2010 und 2016 von 14,2 Prozent auf 16,7 Prozent gestiegen.

Dorothee Spannagel forscht beim WSI über die Themen Armut und LohngleichheitBild: WSI/Karsten Schöne

Und den Haushalten unterhalb der Armutsgrenze gehe es immer schlechter. Die Armutslücke - der Betrag, der dem durchschnittlichen armen Haushalt fehlt, um über diese 60-Prozent-Hürde zu kommen - sei beträchtlich größer geworden. Lag der Fehlbetrag 2005 noch bei 2873 Euro im Jahr, so erreichte er 2016 inflationsbereinigt schon 3452 Euro - eine Steigerung um fast 30 Prozent. "Da werden immer mehr Menschen abgehängt", beschreibt WSI-Forscherin Dorothee Spannagel im Gespräch mit der DW die Lage.

"Und trotzdem geschieht nichts"

Die promovierte Soziologin befasst sich seit 15 Jahren mit dieser Thematik und kann genau begründen, mit welchem Index oder welchen Koeffizienten sie die Entwicklung begründen kann. Eine wachsende Bevölkerungsgruppe am unteren Rand habe den Anschluss an die Lohnsteigerungen in der Mitte der Gesellschaft verloren, beklagt sie. 

Wer die Forscherin fragt, was für sie die erschreckendsten Punkte sind: "Da fallen mir zwei Sachen ein. Zum einen, dass es uns nicht gelingt, trotz guter Konjunktur und trotz einer guten Lage auf dem Arbeitsmarkt die Dinge zu verbessern, also Ungleichheit abzubauen." Und zum zweiten, dass es eigentlich so klar sei, was zu geschehen habe, "und trotzdem geschieht nichts".

Wer wenig hat, dem droht im Alter endgültig die ArmutBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Bei den Forderungen, die sich aus der Studie ergeben, wird die Gewerkschaftsnähe des Absenders klar: Stärkung der Tarifbindung, Erhöhung des Mindestlohns, stärkere Besteuerung von Spitzeneinkommen und eine deutliche Anhebung der Regelsätze im Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"). Politische Ziele, die man gegenwärtig in Berlin oft von der schwächelnden SPD und kaum innerhalb der Union hört, die ja die Kanzlerin und den Wirtschaftsminister stellt. Für Mitte Oktober haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Hans-Böckler-Stiftung daher zu einer "Verteilungskonferenz" in Berlin eingeladen - und dazu auch den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck gebeten. Es wird spannend sein, wie sich der Mann positioniert, den manche für einen politischen Hoffnungsträger nicht nur innerhalb seiner Partei halten.

Schlechte Entwicklung trotz einer guten Bilanz auf dem Arbeitsmarkt - die Schere in Deutschland geht mehr und mehr auseinanderBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

WSI-Forscherin Spannnagel, die bei der Konferenz ihre Forschungsergebnisse vorstellt, will das Thema auf der politischen Agenda halten.

Sie weiß, dass man ihr mitunter vorwirft, nicht zu berücksichtigen, dass sich die schlechte Entwicklung in Deutschland etwas verlangsamt habe. Doch man soll sich nichts vormachen. "Die aktuellen Daten zeigen, dass all jene Politiker und Ökonomen falsch liegen, die Entwarnung geben wollten, weil sich der rasante Anstieg der Einkommensspreizung nach 2005 zunächst nicht fortgesetzt hat", sagt die Forscherin. "Denn damals hatten wir Massenarbeitslosgkeit und eine schlechtere konjunkturelle Lage." Das dürfe man nicht vergessen. 

Wer reich ist

Und wenn man von Reichtum spricht: Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem Ergebnis, dass auch das Vermögen in Deutschland sehr ungleich verteilt ist. Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens (56 Prozent). Die ärmere Hälfte hat dagegen nur einen Anteil von 1,3 Prozent. Es wird also auch ein kleines Stück von Deutschland immer reicher. 

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