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Politik

Deutschland beklagt mehr als 100 Hochwasser-Tote

16. Juli 2021

Die Unwetter in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben Zerstörung in furchtbarem Ausmaß gebracht. Die Bundesregierung verspricht rasche Hilfe.

Deutschland Unwetter Schäden Erftstadt Bessem
Schwere Schäden durch Erdrutsche in ErftstadtBild: Rhein-Erft-Kreis/dpa/picture alliance

Nach der Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands steigt die Zahl der Toten immer weiter. Nach jüngsten Behördenangaben kamen mindestens 106 Menschen ums Leben. Die Helfer befürchten einen nochmaligen Anstieg der Opferzahlen, denn noch dauert die Suche nach Verschütteten und Vermissten an. Hinzu kommt, dass Gefahr von Talsperren in der Region ausgeht, die überlaufen oder zu brechen drohen. "Die Lage ist nach wie vor dramatisch", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Trier. In ihrem Bundesland kamen 63 Menschen zu Tode. In Nordrhein-Westfalen wurden bisher 43 Tote gefunden. 

"Dass so viele Menschen sterben bei dieser Katastrophe, das ist wirklich ganz furchtbar." Die Rettung der Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen sei zudem schwierig, da der Zugang kaum möglich ist. "Das alles ist eine große, große Herausforderung für unsere Einsatzkräfte, die rund um die Uhr arbeiten", betonte Dreyer.

Die Sorge steht Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ins Gesicht geschriebenBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

"Ein erster Hoffnungsschimmer in dieser schlimmen Stunde" sei die Zusage des Bundes, den betroffenen Menschen schnell helfen zu wollen, so die SPD-Ministerpräsidentin weiter. Sie dankte dem angereisten Vizekanzler Olaf Scholz "für das starke Signal der Solidarität". "Die Schäden in den Kommunen sind immens", fügte die Regierungschefin hinzu. "Das können wir als Land nicht alleine auffangen und sind dankbar für den Bund an unserer Seite."

Kein Handy-Netz in vielen Orten

In den Hochwassergebieten besteht zu vielen Menschen immer noch kein Kontakt. Die Mobilfunknetze sind teilweise lahmgelegt. Allein im Keis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz galten zwischenzeitlich 1300 Personen als vermisst. Inzwischen korrigierten die Behörden die Angaben nach unten, ohne sich allerdings genau festzulegen. Der Ahr-Fluss war an vielen Stellen über die Ufer getreten und hatte Gebäude, Straßen und Brücken mit sich gerissen. Extrem schwer traf es die Ortschaft Schuld an der Ahr.

In Schuld an der Ahr ist nach den Unwettern nichts mehr so wie es einmal warBild: Christoph Reichwein/TNN/dpa/picture alliance

Zahlreiche Bewohner flüchteten vor den Fluten auf die Dächer ihrer Häuser. Die Polizei setzte Hubschrauber ein, um die Menschen an Seilwinden von den Dächern zu retten. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren 15.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen und Bundeswehr vor Ort. 

Neben dem Kreis Ahrweiler ist auch die Region rund um das nordrhein-westfälische Erftstadt südlich von Köln sowie das nahegelegene Gebiet rund um Euskirchen von schweren Zerstörungen gezeichnet. 

Überschwemmungen im Westen Deutschlands

In Erftstadt-Blessem südwestlich von Köln führten gewaltige Erdrutsche am Freitag zu einer dramatischen Lage. Es bildeten sich Krater im Erdreich. Nach jüngstem Stand stürzten drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg ein. Eine Behördensprecherin sagte, es sei zu befürchten, dass es Opfer gebe. Nach Angaben der Kölner Bezirksregierung gibt es in der Region immer wieder Notrufe, da Personen trotz Warnung ins Schadensgebiet zurückkehrten oder es gar nicht verlassen hatten.

In Liege in Belgien trat die Maas über die Ufer und riss Autos mit sichBild: Valentin Bianchi/AP/dpa/picture alliance

Breiter Bundeswehr-Einsatz

Das Verteidigungsministerium löste wegen der Unwetter den militärischen Katastrophenalarm aus. Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer habe diese Entscheidung getroffen, hieß es in Berlin. Grund für die schwerste Unwetterkatastrophe in Deutschland seit Jahrzehnten ist ein Tiefdruckgebiet, das seit Tagen über dem Westen Deutschlands festhängt. 

Die Bundeswehr ist nach eigenen Angaben derzeit mit rund 700 Soldaten in 20 Landkreisen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Hochwasser-Einsatz. Die Soldaten helfen demnach mit Schlauchbooten und Krankenwagen bei Evakuierungen sowie mit Großgeräten beim Räumen der Straßen.

Auch in Baden-Württemberg machten am Freitag Unwetter und Hochwasser den Menschen zu schaffen. In einigen Regionen wurden erneut Straßen gesperrt, im Allgäu stand ein Wohngebiet unter Wasser.

Das benachbarte Belgien wurde ebenfalls mit großer Wucht von den Unwettern getroffen. Wie die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf den Gouverneur der Provinz Lüttich berichtet, kamen in Wallonien mindestens 23 Menschen ums Leben. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Die Pegelstände der Maas, die unter anderem durch Lüttich fließt, steigen weiter.

Der Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz gehört zu den am schwersten betroffenen RegionenBild: Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

165.000 ohne Strom

Der wirtschaftliche Schaden lässt sich noch nicht beziffern. Da Straßen, Brücken, Häuser und auch Bahnlinien betroffen sind, dürften auch die wirtschaftlichen Auswirkungen massiv sein. Infolge der Katastrophe sind derzeit rund 165.000 Menschen ohne Strom. Weil die starken Regenfälle den Pegel der Flüsse stark ansteigen und den Boden aufweichen ließen, wurden Ortsnetzstationen und Umspannwerke überflutet. Aus Sicherheitsgründen mussten die Anlagen abgeschaltet werden.

Wie die Straßen in der Ortschaft Walporzheim im Ahrtal mit Schlamm, Bäumen und Schutt gefüllt sind, zeigt die DW-Reporterin Claudia Saudelli auf Twitter. 

Der Bahnverkehr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist aufgrund der Hochwasserschäden stark beeinträchtigt. Die Wassermassen beschädigten nach Angaben der Deutschen Bahn Gleise, Weichen, Signaltechnik, Bahnhöfe und Stellwerke. Allein in Nordrhein-Westfalen seien Gleise auf einer Länge von rund 600 Kilometern betroffen.

Biden kondoliert

Die schweren Unwetter waren auch Thema beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den USA . Präsident Joe Biden sagte:  "Es ist eine Tragödie und unsere Herzen sind bei den Familien, die geliebte Menschen verloren haben". Merkel betonte, das Ausmaß der Tragödie sei noch unüberschaubar, das Leid der Betroffenen gehe ihr sehr nahe.

Hunderttausende hätten erleben müssen, dass Wohnhäuser zu "Todesfallen" geworden seien. Sie sicherte den Betroffenen Unterstützung zu. "Wir werden sie in dieser schwierigen, schrecklichen Stunde nicht allein lassen und werden auch helfen, wenn es um den Wiederaufbau geht."

Hilfszusagen und Spendenaufrufe

Rheinland-Pfalz stellte als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereit, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben. Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte, für den Aufbau der betroffenen Landstriche sei auch die Hilfe des Bundes nötig. Die Bundesregierung will nach Auskunft des Finanzministeriums nächste Woche über Aufbauhilfen für Bürger und Kommunen entscheiden. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet kündigte ein mehrstufiges Hilfsprogramm für die Opfer der Unwetterkatastrophe in seinem Bundesland an.

Hilfsorganisationen und Kirchen riefen derweil zu Spenden und Unterstützung für die Betroffenen auf. Angesichts der enormen Schäden hat die Landesregierung in Rheinland-Pfalz ein Spendenkonto für Betroffene eingerichtet. Der Chemiekonzern BASF spendet eine Million Euro zur Hilfe in den betroffenen Hochwasser-Regionen. Die katholischen Erzbistümer Paderborn und Köln kündigten an, jeweils 100.000 Euro für Hochwasseropfer zu spenden. Nach einem Aufruf der Stadt Bonn, Menschen aus den Unwettergebieten eine Unterkunft anzubieten, gingen Hilfsangebote für mehr als 1000 Betroffene ein.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte, er wolle sich selbst einen Eindruck von der Lage im Hochwassergebiet machen. "Ich werde mir zu gegebener Zeit ein Bild der Lage vor Ort machen, vor allem das Gespräch mit Helferinnen und Helfern und den Betroffenen suchen", sagte Steinmeier. Er nannte die Überschwemmungskatastrophe eine Tragödie. "Das macht mich fassungslos", sagte der Bundespräsident. In Gedanken sei er bei den Hinterbliebenen der Opfer. "Ihr Schicksal trifft mich ins Herz." 

haz/jj/kle (afp, dpa, rtr, kna)

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