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Politik

Deutschland braucht Einwanderer

16. Dezember 2019

Wenn Angela Merkel zu einem "Gipfel" ins Kanzleramt einlädt, dann muss das Problem groß sein. Tatsächlich wird der Fachkräftemangel drängender. Ein Gesetz soll helfen. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Deutschland ymbolbild Junge Ausländer bei Ausbildungsbeginn
Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

In den letzten vier Jahren haben 430.000 Flüchtlinge in Deutschland einen Arbeitsplatz gefunden. Darunter sind über 40.000 Auszubildende. Doch das reicht bei weitem nicht aus, um die Nachfrage nach Fach- und Arbeitskräften zu befriedigen. Für jedes zweite Unternehmen in Deutschland ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bereits zum größten aller Geschäftsrisiken geworden. Das hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, ein großer Wirtschaftsverband, in einer Umfrage festgestellt.

Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: In den kommenden Jahren werden absehbar so viele Arbeitnehmer in Deutschland in Rente gehen, dass ab 2030 rund sechs Millionen Erwerbstätige fehlen werden. In deutschen Handwerksbetrieben fehlen aktuell 250.000 Arbeitskräfte, die sofort eine Stelle bekommen könnten.

Schulterschluss auf höchster Ebene

Das Problem ist so groß, dass Angela Merkel am Montagabend zu einem Fachkräftegipfel ins Kanzleramt bat. Neben Ministern und Politikern aus den Bundesländern saßen Vertreter der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesagentur für Arbeit mit am Tisch.

Angela Merkel mit BDA-Präsident Ingo Kramer (Mitte) und Handwerkspräsident Hans Peter WollseiferBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach von einem weitreichenden Schritt in der Geschichte Deutschlands. Erstmals in seiner langen politischen Laufbahn sei es so gewesen, dass sich alle einig gewesen seien, "dass wir Einwanderung brauchen und dass es nur darum geht, wie wir das möglichst gut organisieren können". Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer ergänzte: "So viel Konsens war selten."

Ein Paradigmenwechsel

Am 1. März 2020 tritt das Gesetz in Kraft, das qualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten den Zuzug nach Deutschland erleichtern soll. "Das Gesetz ist ein Paradigmenwechsel in unserer Art, wie wir auf Fachkräfte auch außerhalb der Europäischen Union zugehen wollen", so Kanzlerin Merkel. Bei dem Spitzentreffen ging es darum, wie das Gesetz so flankiert werden kann, dass es möglichst schnell wirkt. "Die Wirtschaft braucht das", betont Arbeitgeberpräsident Kramer. Es dürfe keine langen bürokratischen Verfahren geben, kein monatelanges Warten auf Termine und Prüfverfahren.

"Wir brauchen Abläufe, die deutlich machen, dass wir daran interessiert sind, dass die Menschen zu uns kommen", so die Kanzlerin, die ein "reibungsloses Miteinander" aller beteiligten Behörden, auch der Ausländerbehörden, anmahnte.

Unter anderem sollen Einreisegenehmigungen beschleunigt bearbeitet werden. Das verspricht Außenminister Heiko Maas, der die Kapazitäten bei der Visa-Erteilung erhöhen und Abläufe digitalisieren will. Dadurch könnten Anträge zunehmend auch von Deutschland aus bearbeitet werden und nicht nur in den deutschen Botschaften. Ab 2021 soll diese Aufgabe ein neues Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten übernehmen.

Das größte Problem bleibt die Sprache

Auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen soll verbessert werden. Da sie nicht immer mit deutschen Abschlüssen vergleichbar sind, soll die Wirtschaft mit eigenen Bildungseinrichtungen und mit Unterstützung in Betrieben bei der Qualifikation helfen. Sprachprogramme sollen ausgebaut werden, da fehlende Deutschkenntnisse immer noch das größte Problem sind. Es werde kein Germanistik-Studium verlangt, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, "aber wichtig ist, dass man in der Wirtschaft und in der Gesellschaft zurechtkommt".

Die geplanten Maßnahmen zur Fachkräftesuche wurden in einer Erklärung festgehaltenBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist sich sicher, dass deutsche Unternehmen, in denen Englisch die Arbeitssprache sei, auch "Fachkräfte rekrutieren, die diesen Anforderungen entsprechen".

Pilotprojekte in Indien, Vietnam und Brasilien

Die Bundesregierung hofft, dass ihr Online-Informationsportal "Make it in Germany" mit Hotline und Jobbörse in Zukunft noch stärker genutzt wird und Unternehmen mehr Stellenangebote für ausländische Fachkräfte melden. Arbeitsminister Heil erwartet von der Wirtschaft Hinweise darauf, in welchen Ländern sie vorrangig Fachkräfte anwerben will. "Wir werden dann die entsprechenden bürokratischen Hürden weghauen", so Heil.

Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier laufen bereits Pilotprojekte unter anderem in Indien, Brasilien und in Vietnam, in denen die Bundesagentur für Arbeit erprobt, "wie man Arbeitskräfte gezielt für den Bedarf der beteiligten Unternehmen gewinnen" könne. Die Erfahrungen aus diesen Projekten würden in die weitere Entwicklung der Fachkräftestrategie einfließen.

Bürokratieabbau allein reicht nicht

Jenseits aller Maßnahmen sei das"wirklich Wichtige" aber, so Angela Merkel, "dass wir in den Drittländern als ein weltoffenes, als ein interessiertes Land rüberkommen". Deutschland müsse "attraktive Arbeitsbedingungen bieten und auch ein attraktives gesellschaftliches Umfeld." 

Genau das ist aber oft nicht der Fall. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und der Industriestaaten-Organisation OECD ist die Bundesrepublik für ausländische Akademiker nicht sonderlich attraktiv. Innerhalb der 36 Mitglieder zählenden OECD kommt Deutschland lediglich auf Platz zwölf. Spitzenreiter sind Australien, Schweden und die Schweiz.

Eine überzeugendere Willkommenskultur

Die Gründe sind vielfältig. In Deutschland wird schlechter bezahlt als in anderen OECD-Staaten. Berücksichtigt man die Steuern und das Preisniveau, dann liegt die Bundesrepublik auf Platz 25. Zudem ist es nicht gerade einfach, mit einem ausländischen Studien- oder Berufsabschluss Karriere in Deutschland zu machen. Während 77 Prozent der im Inland geborenen Menschen mit akademischem Abschluss in einem hoch qualifizierten Beruf arbeiten, sind es bei Zugewanderten aus Nicht-EU-Staaten mit ausländischen Abschlüssen knapp 40 Prozent.

Ausschlaggebend ist am Ende vor allem aber auch die Integration in die Gesellschaft. "Wenn die Menschen hierbleiben sollen, dann ist es wichtig, dass sie sich nach einer gewissen Zeit hier zuhause fühlen", da ist sich Arbeitgeberpräsident Kramer sicher. Deutschland brauche eine überzeugendere Willkommenskultur. "Da müssen wir besser werden."

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