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Politik

Deutschland, China und die Digitalisierung

Maximiliane Koschyk
10. Dezember 2018

Die Deutschen hadern, die Chinesen preschen vor, aber die Digitalisierung ist unaufhaltsam. Potentiale oder Gefahren? In der Volksrepublik begibt sich Bundespräsident Steinmeier auf digitale Sinnsuche.

Bundespräsident Steinmeier in China Berufsbildungszentrum für Industriemechanik und Mechatronik Man Sum
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

International ist der englische Begriff ‟digitalisation” kaum gebräuchlich. Was in Deutschland von iPads im Klassenzimmer bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI) so zusammengefasst wird, versteht der Rest der Welt nicht. Außer den Chinesen. Auch sie haben neuerdings ein Wort für Digitalisierung. Shi Zi Hua beschreibt den allumfassenderen Wandel hin zu Smartphones, zu maschinellem Lernen, zu weltweit vernetztem Zugang zu Informationsdatenbanken. Was überall in der Welt stattfindet, ist nirgends so gegensätzlich wie in diesen beiden Ländern.

Unterschiedliches digitales Selbstverständnis

Deutschland hadert mit der Digitalisierung, auch wenn ein Blick auf die Internetseiten der Bundesregierung etwas anderes vermittelt: Es gibt zwar ein Digitalkabinett, einen Digitalrat und eine Digitalstrategie und vor kurzem fanden eine Digitalklausur und ein Digitalgipfel statt. Derzeit streitet man hierzulande aber über die Verabschiedung eines Digitalpakts für digitale Bildung in deutschen Schulen, der flächendeckende Netzausbau geht nicht voran und nur jede vierte Bezahlung in Deutschland wird bargeldlos getätigt.

In China bezahlen Kunden dagegen die Nudelsuppe im Straßenimbiss ebenso mit dem Handy wie ihre Stromrechnung. Das weltweit größte Unternehmen für Finanztechnologie AntFinancial stammt ebenso aus China wie SenseTime, das KI-Startup mit dem derzeit höchsten globalen Marktwert.

Den QR-Code am Tisch scannen, schon ist die Rechnung bezahltBild: DW/M. Koschyk

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in diesen Tagen im chinesischen Kanton auf chinesische Technologie-Firmen traf, faltete ein junger Unternehmer einen Tastbildschirm so dünn wie eine Plastikfolie vor ihm auf. Der Bundespräsident war in die Volksrepublik gereist, um sich diesem Innovationspotential Chinas zu vor dem Hintergrund einer Frage zu stellen, die er mehrfach wiederholt: ‟In welcher Gesellschaft und wie wollen wir in der Gesellschaft zusammenleben?” Das hat vor allem mit einem Projekt zu tun, an dem auch Finanztechnologien wie die von AntFinancial beteiligt sind: Dessen Produkt Sesame Credit gibt Auskunft über die Kreditwürdigkeit seiner Kunden, ähnlich wie es in Deutschland und den USA auch schon Institute tun.

Digitalisierung des sozialen Lebens

Doch China will die finanzielle Kreditwürdigkeit seiner Bürger auf soziale Verhaltensweisen erweitern: Straftaten, Bildung, soziales Engagement könnten dann einen virtuellen Punktestand positiv wie negativ beeinflussen – und somit auch das tatsächliche Leben. In 58 Projekten testet die Volksrepublik derzeit verschiedene Aspekte dieses Sozialen Kreditsystems. Ihre Sesame-Credit-Bewertung können junge Chinesen etwa bereits auf dem Datingportal Baihe angeben. Universitäts-Professor Dai Xin untersucht das Kreditsystem und ist skeptisch: ‟Bis 2020 wird es kein einheitliches System in ganz China geben”, sagt er. Die Regierung müsse erstmal genau festlegen, welche Daten in diesem Projekt vernetzt werden sollen.

Mit Steinmeier, sowie deutschen und chinesischen Experten hat Dai in Peking über die Risiken der Systeme diskutiert. Teilnehmende chinesische Experten sind sich der deutschen Skepsis bewusst: Die Idee hat das Potential einen hyper-technologischen Überwachungsstaat zu schaffen.

Der Bundespräsident und der Leiter des Goethe Instituts Peking bei einem Digitalisierungssymposium Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Die Technologie dafür hat China aber noch nicht, schätzt Daniela Stockmann, Professorin an der Hertie School of Governance in Berlin. In der Diskussion schlagen chinesische Teilnehmer Stockmann und den anderen deutschen Experten vor, gemeinsam ethische Grundlagen für KI-Technologien zu entwickeln. Genau das was sich die deutsche Bundesregierung in ihrer KI-Strategie wünscht. Für die Chinesen hat es praktische Gründe: ‟Das macht von Seite der Entwickler viel mehr Sinn, weil Entwickler viel globalisierter arbeiten”, sagt Stockmann. Deshalb würden Programmierplattformen im Gegensatz zu sozialen Netzwerken auch im chinesischen Netz nicht zensiert.

Vertrauensbildung und Werte

China weiß: Wer neue Technologien entwickeln will, braucht auch Abnehmer, aber die müssen ihm vertrauen. Ein Problem, mit dem der chinesische Telekommunikationskonzern Huawei derzeit konfrontiert ist. In den USA, Australien und Neuseeland wurden sie vom Netzausbau ausgeschlossen, der britische Geheimdienst will keine Garantie für die Technologien des Unternehmens bezüglich kritischer Infrastrukturen geben.

In Deutschland, dessen 5G-Netzvergabe 2019 beginnt, hat die Debatte um Huawei gerade erst begonnen, doch das zuständige Bundesamt will sich auf keine Sicherheitskriterien festlegen. ‟Wir müssel Huawei zwingen uns vollen Zugang zu den notwendigen Informationen zu geben”, sagt Frank Pieke, Direktor des China-Thinktanks MERICS. ‟Wenn sie das nicht tun, bekommen sie keinen Deal.” 

Der Bundespräsident betont stets europäische WerteBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Wenn Deutschland seine Werte wahren will, muss es sie auf Basis von Prinzipien durchsetzen - gemeinsam mit Europa. Eine Studie des MERICS-Instituts stellte jüngst fest: Die Vermittlung politischer Werte gegenüber China funktioniert am besten über die EU. Werte und Gemeinschaft beschäftigen den Bundespräsidenten bei seiner Reise durch die Volksrepublik auch in einem anderen Kontext: ‟Vielleicht erleben wir zum ersten Mal in der Geschichte eine Außenpolitik und Handelspolitik der USA, die sich von einer internationalen Ordnung löst, die sie selbst geschaffen hat”, sagt Steinmeier beim Treffen mit europäischen und chinesischen Experten, die die Zukunft der Beziehungen zwischen China und Europa diskutierten.

‟Wir müssen Bündnispartner finden, die mit uns die gewachsene internationale Ordnung verteidigen”, sagte Steinmeier. Dennoch: ‟Wir müssen Partner wie China darauf hinweisen, dass Differenzen bleiben, über die wir politisch miteinander zu reden haben.” 

Zum Abschluss seiner Reise will der Bundespräsident das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping treffen. Das Bewusstsein eines deutschen Interesses am Dialog - auch über eine ethische Digitalisierung - kann er hier bekräftigen. Die Bundesregierung muss dem aber mit politischem Handeln folgen.

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