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Deutschland: Die Kosten für die Altenpflege explodieren

4. August 2025

Die Pflegeversicherung in Deutschland gerät unter Druck: Die Kosten steigen und es fehlen Reformen. Warum immer mehr Senioren ihre Pflege nicht mehr selbst finanzieren können – und was sich ändern muss.

Pflegerin mit einer Bewohnerin auf dem Flur im Altenpflegeheim, die an einem Rollator geht. Die Pflegerin legt den Arm um die Schulter der Frau.
Pflege - immer mehr Menschen werden sie brauchen, immer größer werden die Löcher in den KassenBild: Tim Wegner/epd-bild/picture alliance

Diese Meldung der vergangenen Tage hatte nicht nur Senioren und Seniorinnen aufgeschreckt: "Kosten für die Pflege erneut angestiegen; über 3000 Euro im Monat" oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen. Die Kosten für einen Pflegeplatz liegen ohne Zuschüsse bei durchschnittlich 3248 Euro, teilt der vdek (Verband der Ersatzkassen e. V.) der DW mit - ein Verband, der die Interessen mehrerer gesetzlicher Krankenkassen vertritt. Eine gewaltige Summe, bedenkt man, dass eine Durchschnittsrente in Deutschland bei rund 1100 Euro monatlich liegt.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sieht dringenden Bedarf bei der Reform der Pflegeversicherung. Diese sei zwar eine große Errungenschaft, so Warken: "Mittlerweile klaffen Einnahmen und Ausgaben aber eklatant auseinander. So kann es nicht weitergehen", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Von großer Verunsicherung in ihrer Einrichtung berichtet etwa die Geschäftsführerin des Seniorenzentrums Erikaweg im nordrhein-westfälischen Hilden. Beate Linz-Eßer sagt im Interview mit der DW: "Diese ständig steigenden Pflegekosten sind für unsere Bewohnerinnen und Bewohner eine starke Belastung. Und dann gibt es die ständige Angst davor, nicht zu wissen, wie lange es gut geht mit dem eigenen Einkommen oder Vermögen, um die Kosten zahlen zu können." Die Bewohner müssen sich mit ihrem Einkommen oder Ersparnissen an den Pflegekosten beteiligen.

Seniorenzentrumsleiterin Beate Linz-Eßer machen die steigenden Pflegekosten SorgenBild: privat

Linz-Eßer berichtet weiter: "Ich habe zum Beispiel eine Bewohnerin, die in der Situation ist, dass das eigene Einkommen aufgebraucht ist, und sie jetzt Unterstützung beantragen muss. Sie schämt sich dafür und sagt: Mein Leben lang bin ich allein klargekommen. Ich habe immer gearbeitet und am Ende meines Lebens bin ich auf Sozialhilfe angewiesen." Immer wieder komme die Bewohnerin zu ihr ins Büro, weil sie darüber reden wolle, sagt die Heimleiterin.

Die Pflegeversicherung - Hilfe im Alter

Die gesetzliche Pflegeversicherung ist seit 30 Jahren ein Teil des deutschen Sozialversicherungssystems. Sie gilt in vielen Ländern als Vorzeigemodell. Sie soll pflegebedürftigen Menschen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Pflegeversicherung übernimmt einen Teil der Kosten, die durch Pflegebedürftigkeit entstehen. Sie ist eine Pflichtversicherung, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragen wird. Dafür sind derzeit 3,6 Prozent vom Einkommen fällig. Im Regelfall deckt die Pflegeversicherung jedoch nicht alle Kosten der Bedürftigkeit ab. Fast jeder dritte Bewohner eines Pflegeheims ist auf Zuschüsse aus den Sozialkassen angewiesen, weil das eigene Einkommen nicht reicht.

Immer mehr Alte, immer höhere Kosten

Die Deutschen werden immer älter. Die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener liegt für Männer bei rund 79 Jahren, für Frauen bei 84. Das Problem: Wer sehr alt wird, braucht oft Pflege. Im Dezember 2023 waren rund 5,7 Millionen Menschen pflegebedürftig, meldet das Statistische Bundesamt. Die Zahl wird durch die zunehmende Alterung bis 2055 um 37 Prozent ansteigen. Immer noch werden sehr viele alte Menschen zu Hause von Angehörigen gepflegt, rund 85 Prozent. Viele pflegebedürftige Menschen leben jedoch in Heimen. Dort steigen die Kosten seit Jahren stark an.

Der Ersatzkassenverband vdek erklärt gegenüber der DW, dass der Eigenanteil für Pflege von 1772 Euro 2018 auf nun 3248 Euro angestiegen sei.

Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang erklärt im Interview mit der DW, dass der Anstieg vor allem durch zwei Faktoren zu erklären sei: "Pflege war lange Zeit ein schlecht bezahlter Beruf. Aber in den letzten zehn Jahren sind die Löhne in der Pflege immer stärker gestiegen als im Rest der Wirtschaft; ungefähr um das Doppelte. Ähnlich ist es im Bereich Personal: Wir haben in Deutschland zu wenig Pflegepersonal in den Einrichtungen. Das wird aber gerade sukzessive geändert. Insgesamt heißt das: Wir haben jetzt mehr Personal in den Einrichtungen, und wir bezahlen das Personal besser. Dadurch ist Pflege teurer geworden."

Deutschlands Altenpflege krankt

05:23

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Heimleiterin Linz-Eßer ärgert vor allem dies am Konzept der Pflegeversicherung: "Es kann doch nicht sein, dass die Ausbildung für die Pflegekräfte von den Bewohnern gezahlt werden muss. In anderen Berufen wird die Ausbildung vom Staat bezahlt. Auch bei den Investitionskosten, die ebenso von den Bewohnern bezahlt werden, stimmt es nicht. Bei den Krankenhäusern übernimmt das der Staat oder das Land. Unsere Bewohner müssen auch dafür zahlen." Tatsächlich müssen die Heimbewohner nicht nur für Pflege, Unterkunft und Verpflegung zahlen, sondern auch für die Instandhaltung der Heime und die Altenpflegeausbildung. Von den 3248 Euro Pflegekosten macht das 1488 Euro aus. Und: Alle Kosten steigen weiter an.

Einrichtungsleiterin Beate Linz-Eßer will die Qualität im Seniorenheim Erikaweg halten, hat gerade genau gerechnet und muss die Kosten anheben. "Der Eigenanteil bei uns wird steigen müssen, auf bis zu 3700 Euro für neue Gäste."

Mit den Jahren sinkt die Eigenbeteiligung jedoch, die die Pflegebedürftigen zahlen müssen, der Heimaufenthalt wird dann billiger. Einen festen Sockelbetrag übernimmt die Pflegeversicherung. Außerdem erhalten viele aufgrund ihrer Einschränkungen oder Erkrankungen weitere Zuschüsse. Doch das System steht vor dem Kollaps.

Wie raus aus der Misere?

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), schlägt eine Reformkommission vor. Private Vorsorge müsse eine größere Rolle spielen, sagt sie. In diesem und dem kommenden Jahr springt der Bund ein, mit einer Finanzspritze für die Soziale Pflegeversicherung von zwei Milliarden Euro. Doch dieses staatliche Darlehen aus Steuergeldern hilft nur kurzfristig.

Will eine "mutige Reform" der Pflegeversicherung - Gesundheitsministerin Nina WarkenBild: Bernd Elmenthaler/ESDES.Pictures/IMAGO

Im DW-Interview erläutert Gesundheitsökonom Rothgang seine Ideen für eine grundlegende Reform: "Eine Option ist, Steuermittel in das System einführen, Bundeszuschüsse, wie man sie jetzt schon in der Renten- und Krankenversicherung kennt. Eine zweite Möglichkeit wäre es, die Beitragszahler stärker einzubinden, insbesondere solche mit höherem Einkommen. Man könnte sagen, alle Einkünfte werden beitragspflichtig, also zum Beispiel auch Kapital- oder Mieteinkünfte."

Der Bundesrechnungshof jedenfalls schlägt Alarm: Der Pflegeversicherung drohe bis 2029 ein Finanzloch von über 12 Milliarden Euro.

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