Deutschland entdeckt Indien neu
18. Oktober 2010Indien ist es schon gewohnt: Deutsche Spitzenpolitiker reisen erst spät in ihrer Amtszeit nach Indien. Auch Außenminister Guido Westerwelle hat in seinem ersten Amtsjahr bereits 60 Länder besucht, ehe er sich auf den Weg nach Neu-Delhi gemacht hat. Ziemlich spät entdeckte die Berliner Politik den Subkontinent für sich. Horst Köhler kam Anfang des Jahres noch als Bundespräsident, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle überzeugte sich im September vom indischen Industrieboom. Nun will der Außenminister mit seinem Besuch die wachsende Bedeutung des Landes würdigen.
Selbstbewusste Gesprächspartner
Der FDP-Politiker trifft auf selbstbewusste Gesprächspartner. "Der Zug der Globalisierung fährt gerade erst richtig an und wir wollen ganz vorn im Führerhaus sitzen", erklärte Industrieminister Anand Sharma bei seinem jüngsten Berlin-Besuch und brachte damit die zumindest gefühlte neue Stärke des 1,2-Milliarden-Volkes auf den Punkt.
Die Wahl beider Länder in den Weltsicherheitsrat vor wenigen Tagen habe dem Besuch zusätzliches Gewicht verliehen, sagt die Politologin Ummu Salma Bava von der Nehru-Universität in Neu Delhi. Indien und Deutschland hätten nun öfter Gelegenheit, sich in wichtigen Themen wie beim Kampf gegen den Terrorismus abzustimmen und eine UN-Reform voranzutreiben.
Wichtig als Wachstumsland
Diese Ausgangsstituation im Kopf hatte Westerwelle schon im Vorfeld des Besuchs im "Hamburger Abendblatt" klar gemacht: "Für uns ist Indien nicht nur wichtig als Wachstumsland, sondern als Land mit wachsendem politischen Einfluss". Dies machte er am Montag (18.10.2010) in seinem Gespräch mit Präsident Manmohan Singh und seinem Amtskollegen S.M. Krishna deutlich. Westerwelle rief die Atommacht Indien zu verstärkten Bemühungen bei der nuklearen Abrüstung auf. Es wäre ein großer Schritt nach vorn, wenn das Land das umfassende Teststoppabkommen ratifizieren würde. Deutschland würde es auch begrüßen, wenn Indien sich dem System der nuklearen Nichtverbreitung annähere.
Gleichzeitig betonte der Vizekanzler das Interesse an deutschen Rüstungslieferungen nach Indien. Es gebe dafür mehrere Angebote. Die deutschen Unternehmen könnten dabei mit Unterstützung der Bundesregierung rechnen. Zur Modernisierung seiner veralteten Luftwaffe prüft die indische Regierung auch die Anschaffung von Eurofightern.
Enge Abstimmung im Sicherheitsrat
Natürlich kam auch die zukünftige Rolle der beiden Staaten im Weltsicherheitsrat zur Sprache. Westerwelle vereinbarte eine enge Abstimmung mit Indien für die Zeit des gemeinsamen nichtständigen Sitzes ab dem 1. Januar. Beide Länder setzen sich für die Reform des Weltsicherheitsrats ein, in dem derzeit nur die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China einen ständigen Sitz und ein Vetorecht haben. Aus Sicht der Bundesregierung spiegelt diese Zusammensetzung die Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg wider, die mittlerweile überholt seien.
Trotz dieser gemeinsamen Absichtsbekundungen: Viele Beobachter warnen vor allzu großen Erwartungen. In strategischen Fragen seien für die indische Regierung die USA, China und auch Russland das Maß aller Dinge. Es gibt auch politische Differenzen zwischen beiden Ländern –zum Beispiel beim Klimaschutz. Hier will sich Indien nicht auf rechtlich verbindliche Vorgaben zur Reduzierung seines CO2-Ausstoßes festlegen lassen.
Handel hat noch Luft nach oben
Der Warenaustausch hat sich dagegen gut entwickelt. Nach Angaben des indischen Wirtschaftsverbands FICCI ist Deutschland inzwischen Indiens fünftgrößter Handelspartner. Das Volumen beträgt derzeit mehr als zwölf Milliarden Euro pro Jahr und soll bis 2012 auf mindestens 20 Milliarden steigen. Laut einer Studie der Hamburger Universität übersteigen die indischen Investitionen in Deutschland mit über vier Milliarden Dollar inzwischen deutlich die von deutschen Unternehmen auf dem Subkontinent, die 2,3 Milliarden Dollar betragen.
Dies soll sich ändern. Deutsche Unternehmen stünden bereit, Indien beim Ausbau der Infrastruktur und einer modernen Energieversorgung mit innovativen und kreativen Lösungen zu helfen, sagte der Außenminister in einer Rede vor dem Institut für Technologie in Neu Delhi. Westerwelle warb dafür, dass mehr als die derzeit etwa 4000 indischen Studenten nach Deutschland zum Studium kommen sollten. "Deutsche Universitäten haben einen hervorragenden Ruf. Laut internationalen Umfragen ist Deutschland einer der attraktivsten Plätze, um zu studieren", betonte er. Deutsche Firmen hätten auch großes Interesse an indischen Ingenieuren und anderen Fachkräften.
Deutschland zeigt in Indien Flagge
Insgesamt will Deutschland in Indien präsenter sein als in der Vergangenheit. Unterzeichnet wurde eine Vereinbarung über ein "Deutschland-Jahr" 2011/12 in Indien und ein "Indien-Jahr" ein Jahr später in Deutschland. Anlass ist die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 60 Jahren.
Geplant sind kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen unter dem Motto: "Deutschland und Indien: Unendliche Möglichkeiten". Dieses Motto drückt es aus. Beide Länder haben sich gegenseitig entdeckt. In Zukunft werden dann wohl schneller als bisher deutsche Spitzenpolitiker Kurs auf den Subkontinent nehmen.
Autor: Walter Lausch (mit dpa, afp)
Redakteur: Reinhard Kleber